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Destillieren, Extrahieren und Experimentieren

Sein unbändiger Wissensdurst, sein Ehrgeiz und etwas Glück machten Caspar Neumann zum Ersten Hofapotheker am preußischen Hof. Er baute die Hofapotheke zu einer international angesehenen Forschungs- und Ausbildungsstätte aus. Er gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen wissenschaftlichen Pharmazie und pharmazeutischen Chemie.

Von Andrea Westhoff | 20.10.2012
    Musik war Caspar Neumann durchaus in die Wiege gelegt: Seine Vorfahren waren seit vier Generationen "Stadtpfeifer", die Vorläufer städtischer Orchestermusiker.

    Der Sohn sollte allerdings einen anderen Berufsweg einschlagen und Theologie studieren, so der Wille der Eltern. Weil die aber früh verstarben, wuchs er bei seinem Taufpaten auf, einem Apotheker, der ihn dieses Handwerk lehrte. 1705 verließ Caspar Neumann sein Heimatstädtchen Züllichau im Südosten Brandenburgs und kam nach Berlin, wo er bald eine Anstellung als "Königlicher Reiseapotheker" fand. Er begleitete Friedrich I. zu seinen verschiedenen Residenzen und tat ansonsten Dienst in der Hofapotheke im Berliner Schloss. Hier, erzählt sein Biograf Christoph Heinrich Kessel, vertrieb er sich die freie Zeit mit seinem Clavicordium:

    "… da er in seiner Jugend zur Music war angeführet worden, so dient ihm diese zur angenehmen Gemüths-Ergötzung.."

    Und sie wurde ein wichtiger "Karrieremotor" für Caspar Neumann, denn eines Tages hörte ihn der König: "…und schöpfte darüber ein solch Vergnügen, daß Seine Majestät beym Weggehen mit gnädiger Mine den Befehl ertheilten, daß alle Abend, ehe sie sich auskleiden lassen wollten, Neumann in der Vorkammer spielen sollte …"

    Als Anerkennung für seine musikalischen Darbietungen bezahlte Friedrich ihm eine mehrjährige Bildungsreise durch Europa, die 1711 begann und auf der Neumann seine pharmazeutischen und chemischen Kenntnisse erweiterte und sich einen hervorragenden Ruf in Wissenschaftlerkreisen erwarb. Davon ließ sich schließlich auch der neue Preußenkönig, Friedrich Wilhelm I., überzeugen, der ihn 1719 zum Ersten Hofapotheker in Berlin ernannte – und damit einen guten Griff tat.

    Denn Caspar Neumann baute die Hofapotheke zu einem für seine Zeit modernen pharmazeutischen Betrieb und Labor um, in dem er selbst von früh bis spät destillierte, extrahierte und experimentierte.

    So findet sich zum Beispiel eine königliche Order:
    "...dass zur Verfertigung eines gewissen Spiritus 300 Maas Regen-Würmer, ferner 12 gute Säcke Ameisen mit den Eiern und 4 Säcke voll Tannen- oder Fichten-Zapfen gesammelt und an die Hofapothecke abgeliefert werden sollen."

    Hier hielt Caspar Neumann auch wissenschaftliche Vorlesungen – sehr anschaulich mit vielen chemischen Experimenten, zu denen sich nicht nur Studenten, sondern viele neugierige Bürger einfanden. Denn obwohl er selbst kein Universitätsstudium hatte, war Neumann 1724 zum Professor für praktische Chemie berufen worden, im Collegium Medico-Chirurgicum, der neuen Ausbildungsstätte für Medizinberufe. Seine Manuskripte bildeten später den Grundstock für das erste ausführliche Lehrbuch der Pharmazie in deutscher Sprache.

    "Ihm bleibt das Verdienst, wissenschaftliche Klarheit und Schärfe und sichtende Kritik in die Arzneibücher der Ärzte und Apotheker gebracht zu haben", schrieb der französische Pharmaziehistoriker Adrien Philippe über Caspar Neumann.

    Zwar gelangen ihm keine besonderen Entdeckungen, aber er beschrieb chemische Prozesse, analysierte und ordnete die einzelnen Stoffe, überprüfte althergebrachte Erkenntnisse der Arzneikunde und legte so den Grundstein für die Pharmazie als wissenschaftliche Disziplin. Aufgrund seiner vielen Reisen war Neumann zudem eine international anerkannte Autorität in seinem Fach geworden und Mitglied berühmter europäischer Wissenschaftsakademien wie der Royal Society, des päpstlichen Instituts von Bologna oder der "Leopoldina". Diese würdigte ihn anlässlich seines Todes am 20. Oktober 1737 mit den Worten:

    "Glücklich, wen (…) der gütige Schöpfer mit ungemeinen Kräften des Geistes ausgezeichnet hat. Glücklicher, wer diese durch unermüdlichen Eifer steigerte und dem Vaterlande weihte. Am glücklichsten aber, wem eine günstige Gelegenheit den ersehnten Beistand gewährte. Ein Beispiel dieser dreifachen Glückseligkeit gibt der vor allem berühmte Neumann."

    Denn tatsächlich verdankte Caspar Neumann seinen Ruhm nicht nur seinem umfassenden Wissen und Fleiß, sondern letztlich auch dem Zufall, dass der König ihn musizieren hörte und "solch Vergnügen daraus schöpfte".