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Desulforudis audaxviator
Ein Bakterium auf Wanderschaft

Von Dagmar Röhrlich |
    Anfang des Jahrtausends entdeckte Princeton-Geologe Tullis Onstott in südafrikanischen Goldminen unter fast drei Kilometern Gestein ein ungewöhnliches Bakterium:
    "Desulforudis audaxviator."
    Es sieht unter dem Mikroskop aus wie ein dürrer Wurm, und es lebt in Klüften drei Milliarden Jahre alter Sedimente - mit Hilfe der Radioaktivität. Durch die Strahlung entsteht Wasserstoff, und der dient dem Bakterium als Energiequelle. Seinen Namen erhielt Desulforudis audaxviator nach einer Inschrift in Jules Vernes' "Reise zum Mittelpunkt der Erde":
    descende, audax viator, et terrestre centrum attinge
    Steige hinab - mutiger Reisender - und gelange zum Zentrum der Erde.
    Der "mutige Reisende" erschien uns passend, schließlich lebt das Bakterium überall in den Klüften der Goldminen im südafrikanischen Witwatersrand-Becken."
    Inzwischen haben sich die Wanderungen dieses "Reisenden" als sehr viel umfangreicher erwiesen als zunächst angenommen: Geomikrobiologen spürten ihn in Bohrungen auf der Nevada National Security Site auf, in New Mexico oder in Finnland, wo er sich in warmem, salzreichem Grundwasser wohl fühlt. Verwandte sind sogar in einem Tiefseehydrothermalsystem vor der Küste Seattles aufgetaucht, wo der Wasserstoff aus chemischen Reaktionen zwischen Meerwasser und Gestein stammt:
    "Der Untergrund vor der Küste Seattles ist weit entfernt von südafrikanischen Goldminen. Diese Bakteriengruppe kommt anscheinend überall im Untergrund vor. Aber sie wächst und gedeiht nur, wenn die Bedingungen passen - wenn etwa Temperaturen um die 65 Grad herrschen und es keinen freien Sauerstoff gibt. Dann vermehren sich diese Bakterien", erklärt Beth Orcutt, Geomikrobiologin am Bigelow Laboratory for Ocean Sciences in Maine. Genomanalysen zeigen, dass Desulforudis audaxviator und sein mariner Cousin wirklich sehr nah miteinander verwandt sind, eine gemeinsame Stammform besitzen:
    "Wir versuchen herauszufinden, wie sich diese Organismen erfolgreich an das Leben in der tiefen Biosphäre anpassen. Unsere genetischen Untersuchungen an Desulforudis audaxviator zeigen, dass diese Bakterien anscheinend in einem sehr hohen Maße untereinander Erbmaterial austauschen. Wir vermuten, dass sie diesen sogenannten horizontalen Gentransfer brauchen, um in ihrer fast schon unveränderlichen Umwelt zu leben: in Klüften, auf denen kein Wasser fließt, wo es kaum Nährstoffe gibt und nichts von außen hinein kommt - daran müssen sie sich anpassen. Ihre Umgebung ist extrem stabil, ihr Genom eher instabil", beschreibt Jessica Labonte vom Bigelow Laboratory.
    Den Analysen zufolge ist der Austausch beispielsweise in den Genabschnitten besonders hoch, die mit dem Stoffwechsel zu tun haben: Anscheinend passt sich Desulforudis so an das an, was gerade an Nährstoffen in seiner Umgebung vorhanden ist. Der horizontale Gentransfer sei vermutlich ein zentraler Faktor bei der Anpassung an die sehr harschen Lebensbedingungen.