Nach dem Krieg ermöglichte die Demontage ostdeutscher Industrieanlagen der UdSSR einen enormen Modernisierungsschub. Beide Prozesse - der Aufstieg der Sowjetunion zur militärischen Großmacht im Zweiten Weltkrieg und die umfangreichen Demontagen in den deutschen Ostgebieten und der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 beschreibt der deutsch-polnische Historiker Bogdan Musial in seinem Buch unter dem Titel "Stalins Beutezug".
"Damit aber ist nunmehr die Stunde gekommen, in der es notwendig wird, diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der ebenso jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten."
Mit diesen Worten verkündete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 22. Juni 1941 den Überfall auf die Sowjetunion. Nach dem erfolgreichen Feldzug im Westen glaubten Hitler und seine Generäle, dass die Wehrmacht auch im Osten leichtes Spiel haben würde.
"Der Russe ist uns waffenmäßig unterlegen wie der Franzose",
erklärte Hitler seinen Generälen in einer Besprechung im Dezember 1940:
"Unsere Jagdwaffe ist den Russen an Modellen überlegen. Die Masse der russischen Panzer ist schlecht gepanzert. Der russische Mensch ist minderwertig. Die Armee ist führerlos."
Diese Einschätzung stimmte nur bedingt, denn seit den 30er-Jahren verfolgte Stalin ein massives Aufrüstungsprogramm, um - wie Bogdan Musial in seinem früheren Werk "Kampfplatz Deutschland" beschrieben hat - einen Angriffskrieg gegen Westeuropa zu führen. Für die russische Waffenproduktion lieferten deutsche Firmen im großen Stil Maschinen und Anlagen.
Die enge Kooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Rüstungssektor hatte bereits in den 20er-Jahren begonnen. Erstaunlicherweise geht Musial darauf in seinem neuen Buch nicht ein. Um die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags zu umgehen, entwickelte die Reichswehr seit 1921 in geheimer Zusammenarbeit mit der Roten Armee auf russischem Boden neue Waffensysteme. Der Handel zum gegenseitigen Nutzen blühte bis 1941.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion und den ersten Siegesmeldungen erklärte Hitler Anfang Juli, der Feind habe den Krieg praktisch schon verloren. Eine fatale Fehleinschätzung. Goebbels notierte am 1. August in seinem Tagebuch:
"Die Bolschewisten zeigen doch stärkeren Widerstand, als wir vermuteten, und vor allem die materiellen Mittel, die ihnen dabei zur Verfügung stehen, sind größer, als wir angenommen haben."
Bogdan Musial zeichnet minutiös nach, wie Stalin die Kriegswirtschaft und die Gesellschaft mobilisierte, um den Vormarsch der Wehrmacht aufzuhalten. Dies konnte nur gelingen, weil der sowjetische Diktator rücksichtslos alles dem Ziel unterordnete, den Feind zurückzuschlagen. Gegen die schlechte Kampfmoral der Rotarmisten – dem sowjetischen Geheimdienst fielen bis Ende 1944 1,3 Millionen Deserteure in die Hände – ging Stalin mit Kriegstribunalen, Erschießungen und Strafbataillonen vor.
Doch Musials Interesse gilt nicht so sehr dem Alltag und Elend der Rotarmisten. Er richtet sein Augenmerk auf die Materialschlachten und die Methoden Stalins, die Rüstungsindustrie zu Höchstleistungen anzutreiben:
"Ich gebe Euch zwei, drei Tage für die Aufnahme der Massenproduktion",
heißt es in einem Befehl des Diktators an die Leitung einer Munitionsfabrik:
"Wenn in dieser Zeit die Produktion nicht aufgenommen wird, werden alle Schurken, mit denen das Werk übersät ist, erschossen."
Der Titel "Stalins Beutezug", den Bogdan Musial gewählt hat, ist zumindest für den ersten Teil seines Buches irreführend, geht es darin doch um die Abwehrschlacht der Roten Armee gegen die nationalsozialistischen Invasoren. Die Plünderung Deutschlands behandelt Musial erst im vierten und letzten Kapitel seiner Darstellung. Auch hier streift der Autor nur knapp das Leid der Zivilbevölkerung. Er beschränkt sich darauf, Umfang und Ausmaß der Demontagen zu dokumentieren. Bereits im Juni 1944 empfahl die sogenannte Moskauer Wiedergutmachungskommission, Deutschland alles zu entziehen, was diesem Land zu entziehen sei, und machte konkrete Angaben:
"468.000 Werkzeugmaschinen, zwei Millionen Elektromotoren, 117 Generatoren und Turbinen, 168 Kaltwalzstraßen, 12.500 Dampflokomotiven, 500.000 Güterwaggons, etwa drei Millionen Tonnen Gleise ..."
Bis Anfang 1948 verließen über 210.000 Eisenbahnwaggons mit demontierten Industrieanlagen und anderen Gütern die ostdeutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße. Aus der sowjetischen Besatzungszone kamen bis 1950 noch einmal 600.000 Waggons hinzu. Nur zum Teil war Stalins Beutezug durch Beschlüsse der Alliierten gedeckt. Doch mit seinem raschen und rigorosen Vorgehen schuf der sowjetische Diktator Fakten.
Wie umfangreich die Demontagen waren, beschreibt Bogdan Musial am Beispiel des Kreises Gleiwitz, wo die sowjetischen Beutekommandos weniger als zehn Prozent aller Maschinen und Anlagen zurückließen:
"Demontiert und abtransportiert wurden unter anderem die komplette Ausrüstung zweier Krankenhäuser, die Einrichtung des städtischen Schlachthofes sowie zwei zerstörte Wassertürme. Im Schlachthof wurde alles abgebaut und ausgeführt, nicht nur Maschinen, sondern auch Büro- und Telefonanlagen."
Die Demontagen betrafen nicht nur den industriellen Sektor und die Infrastruktur. Schon im September 1944 kursierte in Moskau eine Liste mit 2000 ausgewählten Kunstobjekten, die beschlagnahmt und in die sowjetische Hauptstadt gebracht werden sollten.
Mit der Roten Armee kamen dann Kunstbeutegruppen nach Deutschland, die Bibliotheken, Museen, Schlösser und Depots nach wertvollen Kulturgütern durchforsteten. Allein aus der Sammlung der Dresdener Galerie nahmen die Experten 600 Gemälde mit, darunter 14 Rembrandts, elf Rubens' und fünf Tizians.
Darüber hinaus organisierten Offiziere und Soldaten der Roten Armee ihren eigenen privaten Beutezug. Der sowjetische Zoll beschlagnahmte zum Beispiel sieben Güterwaggons mit Möbeln, die Marschall Georgi Schukow aus Deutschland geschickt hatte. Daraufhin durchsuchten Sicherheitsorgane seine Datscha; sie glich einem Antiquitätenladen:
"Die Ermittler fanden dort wahre Schätze vor, Truhen voller Silber, Porzellan und Kristall, teure Stoffe, Hunderte von Pelzen, 44 Teppiche und Gobelins, 55 Gemälde, 20 teure Jagdgewehre sowie große Mengen anderer Gegenstände."
Stalins Beutezug kompensierte die durch Krieg und deutsche Besatzung verursachten materiellen Schäden. Es dauerte aber noch Jahre, bis Anlagen und Maschinen in Betrieb genommen wurden. Manches verrottete und war nicht mehr funktionsfähig. Dennoch bescherte die Kriegsbeute der Sowjetunion einen Modernisierungsschub, den sie aus eigener Kraft nicht erreicht hätte.
"Während die westlichen Länder (mit Westdeutschland) vom Marshallplan profitierten und sich wirtschaftlich frei entwickeln konnten, plünderte die Sowjetunion ihre Satelliten erbarmungslos aus. Schlimmer noch, sie zwang diesen Ländern ein wirtschaftliches System nach sowjetischem Vorbild auf, welches das Bestehende zerstörte und militarisierte, was fatale soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge hatte."
Bogdan Musial wartet in seinem Buch zwar mit beeindruckendem Quellenmaterial auf, wirklich Neues aber präsentiert er nicht. Den an Details interessierten Wirtschaftshistoriker mögen die umfangreichen Statistiken, Tabellen und Zahlenkolonnen erfreuen, andere Leser dürfte seine Darstellung bisweilen eher ermüden.
Bogdan Musial: "Stalins Beutezug. Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht".
Propyläen Verlag; 512 Seiten, Euro 26,95.
ISBN: 978-354-907370-4
"Damit aber ist nunmehr die Stunde gekommen, in der es notwendig wird, diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der ebenso jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten."
Mit diesen Worten verkündete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 22. Juni 1941 den Überfall auf die Sowjetunion. Nach dem erfolgreichen Feldzug im Westen glaubten Hitler und seine Generäle, dass die Wehrmacht auch im Osten leichtes Spiel haben würde.
"Der Russe ist uns waffenmäßig unterlegen wie der Franzose",
erklärte Hitler seinen Generälen in einer Besprechung im Dezember 1940:
"Unsere Jagdwaffe ist den Russen an Modellen überlegen. Die Masse der russischen Panzer ist schlecht gepanzert. Der russische Mensch ist minderwertig. Die Armee ist führerlos."
Diese Einschätzung stimmte nur bedingt, denn seit den 30er-Jahren verfolgte Stalin ein massives Aufrüstungsprogramm, um - wie Bogdan Musial in seinem früheren Werk "Kampfplatz Deutschland" beschrieben hat - einen Angriffskrieg gegen Westeuropa zu führen. Für die russische Waffenproduktion lieferten deutsche Firmen im großen Stil Maschinen und Anlagen.
Die enge Kooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Rüstungssektor hatte bereits in den 20er-Jahren begonnen. Erstaunlicherweise geht Musial darauf in seinem neuen Buch nicht ein. Um die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags zu umgehen, entwickelte die Reichswehr seit 1921 in geheimer Zusammenarbeit mit der Roten Armee auf russischem Boden neue Waffensysteme. Der Handel zum gegenseitigen Nutzen blühte bis 1941.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion und den ersten Siegesmeldungen erklärte Hitler Anfang Juli, der Feind habe den Krieg praktisch schon verloren. Eine fatale Fehleinschätzung. Goebbels notierte am 1. August in seinem Tagebuch:
"Die Bolschewisten zeigen doch stärkeren Widerstand, als wir vermuteten, und vor allem die materiellen Mittel, die ihnen dabei zur Verfügung stehen, sind größer, als wir angenommen haben."
Bogdan Musial zeichnet minutiös nach, wie Stalin die Kriegswirtschaft und die Gesellschaft mobilisierte, um den Vormarsch der Wehrmacht aufzuhalten. Dies konnte nur gelingen, weil der sowjetische Diktator rücksichtslos alles dem Ziel unterordnete, den Feind zurückzuschlagen. Gegen die schlechte Kampfmoral der Rotarmisten – dem sowjetischen Geheimdienst fielen bis Ende 1944 1,3 Millionen Deserteure in die Hände – ging Stalin mit Kriegstribunalen, Erschießungen und Strafbataillonen vor.
Doch Musials Interesse gilt nicht so sehr dem Alltag und Elend der Rotarmisten. Er richtet sein Augenmerk auf die Materialschlachten und die Methoden Stalins, die Rüstungsindustrie zu Höchstleistungen anzutreiben:
"Ich gebe Euch zwei, drei Tage für die Aufnahme der Massenproduktion",
heißt es in einem Befehl des Diktators an die Leitung einer Munitionsfabrik:
"Wenn in dieser Zeit die Produktion nicht aufgenommen wird, werden alle Schurken, mit denen das Werk übersät ist, erschossen."
Der Titel "Stalins Beutezug", den Bogdan Musial gewählt hat, ist zumindest für den ersten Teil seines Buches irreführend, geht es darin doch um die Abwehrschlacht der Roten Armee gegen die nationalsozialistischen Invasoren. Die Plünderung Deutschlands behandelt Musial erst im vierten und letzten Kapitel seiner Darstellung. Auch hier streift der Autor nur knapp das Leid der Zivilbevölkerung. Er beschränkt sich darauf, Umfang und Ausmaß der Demontagen zu dokumentieren. Bereits im Juni 1944 empfahl die sogenannte Moskauer Wiedergutmachungskommission, Deutschland alles zu entziehen, was diesem Land zu entziehen sei, und machte konkrete Angaben:
"468.000 Werkzeugmaschinen, zwei Millionen Elektromotoren, 117 Generatoren und Turbinen, 168 Kaltwalzstraßen, 12.500 Dampflokomotiven, 500.000 Güterwaggons, etwa drei Millionen Tonnen Gleise ..."
Bis Anfang 1948 verließen über 210.000 Eisenbahnwaggons mit demontierten Industrieanlagen und anderen Gütern die ostdeutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße. Aus der sowjetischen Besatzungszone kamen bis 1950 noch einmal 600.000 Waggons hinzu. Nur zum Teil war Stalins Beutezug durch Beschlüsse der Alliierten gedeckt. Doch mit seinem raschen und rigorosen Vorgehen schuf der sowjetische Diktator Fakten.
Wie umfangreich die Demontagen waren, beschreibt Bogdan Musial am Beispiel des Kreises Gleiwitz, wo die sowjetischen Beutekommandos weniger als zehn Prozent aller Maschinen und Anlagen zurückließen:
"Demontiert und abtransportiert wurden unter anderem die komplette Ausrüstung zweier Krankenhäuser, die Einrichtung des städtischen Schlachthofes sowie zwei zerstörte Wassertürme. Im Schlachthof wurde alles abgebaut und ausgeführt, nicht nur Maschinen, sondern auch Büro- und Telefonanlagen."
Die Demontagen betrafen nicht nur den industriellen Sektor und die Infrastruktur. Schon im September 1944 kursierte in Moskau eine Liste mit 2000 ausgewählten Kunstobjekten, die beschlagnahmt und in die sowjetische Hauptstadt gebracht werden sollten.
Mit der Roten Armee kamen dann Kunstbeutegruppen nach Deutschland, die Bibliotheken, Museen, Schlösser und Depots nach wertvollen Kulturgütern durchforsteten. Allein aus der Sammlung der Dresdener Galerie nahmen die Experten 600 Gemälde mit, darunter 14 Rembrandts, elf Rubens' und fünf Tizians.
Darüber hinaus organisierten Offiziere und Soldaten der Roten Armee ihren eigenen privaten Beutezug. Der sowjetische Zoll beschlagnahmte zum Beispiel sieben Güterwaggons mit Möbeln, die Marschall Georgi Schukow aus Deutschland geschickt hatte. Daraufhin durchsuchten Sicherheitsorgane seine Datscha; sie glich einem Antiquitätenladen:
"Die Ermittler fanden dort wahre Schätze vor, Truhen voller Silber, Porzellan und Kristall, teure Stoffe, Hunderte von Pelzen, 44 Teppiche und Gobelins, 55 Gemälde, 20 teure Jagdgewehre sowie große Mengen anderer Gegenstände."
Stalins Beutezug kompensierte die durch Krieg und deutsche Besatzung verursachten materiellen Schäden. Es dauerte aber noch Jahre, bis Anlagen und Maschinen in Betrieb genommen wurden. Manches verrottete und war nicht mehr funktionsfähig. Dennoch bescherte die Kriegsbeute der Sowjetunion einen Modernisierungsschub, den sie aus eigener Kraft nicht erreicht hätte.
"Während die westlichen Länder (mit Westdeutschland) vom Marshallplan profitierten und sich wirtschaftlich frei entwickeln konnten, plünderte die Sowjetunion ihre Satelliten erbarmungslos aus. Schlimmer noch, sie zwang diesen Ländern ein wirtschaftliches System nach sowjetischem Vorbild auf, welches das Bestehende zerstörte und militarisierte, was fatale soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge hatte."
Bogdan Musial wartet in seinem Buch zwar mit beeindruckendem Quellenmaterial auf, wirklich Neues aber präsentiert er nicht. Den an Details interessierten Wirtschaftshistoriker mögen die umfangreichen Statistiken, Tabellen und Zahlenkolonnen erfreuen, andere Leser dürfte seine Darstellung bisweilen eher ermüden.
Bogdan Musial: "Stalins Beutezug. Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht".
Propyläen Verlag; 512 Seiten, Euro 26,95.
ISBN: 978-354-907370-4