"In der Nacht, als diese Mauer fiel, prasselte auf meinem Herd in Washington Popcorn gegen die Innenseite des Topfdeckels. Im Fernsehen waren Leute zu sehen, die auf dieser Mauer standen, Schampus tranken und sich generell aufführten, als spielten die Rolling Stones. Dabei war doch nur der kalte Krieg zu Ende. Das amerikanische Fernsehen sendete wegen des Falls dieser Mauer Sondersendungen, weshalb die von mir so geschätzten Quizshows einfach abgesetzt wurden. Verflixt, fuhr es mir durch den Kopf: Nach all den Jahren in Amerika war ich zu einem Hybriden geworden. Mehr amerikanisch als sonst was. Europa, diese Mauer. Na und? Warum das Glücksrad sich heute abend nicht drehte und stattdessen die ausgeflippten Feiernden auf dieser Mauer das Abendprogramm besetzt hielten, wollten meine amerikanische Freunde telefonisch wissen. Ob ich schon einmal von dieser Mauer gehört hätte? In China stünde eine Mauer. Handelte es sich etwa um Maos Mauer? Und warum hatte Mao diese Mauer bauen lassen? Wer hatte den Befehl gegeben, sie abzuräumen? Fragen über Fragen, auf die ich Antworten schuldig blieb, derweil im amerikanischen Fernsehen die Einschaltquoten rapide sanken. Der Fall dieser Mauer irritierte nicht nur mich; meine Nachbarn waren außer sich. In Washington Gettos wie in Suburbia flohen die Zuschauer in Massen vor dieser Mauer. Entnervte Fernseh-Aficionados hieben auf der Suche nach Sport und Entertainment auf ihre Fernbedienungen ein. Wer weniger süchtig war, ging vorzeitig ins Bett und möbelte das Liebesleben auf."
Martin Kilian, der Nord Amerika Korrespondent der Schweizer "Weltwoche" beginnt so: "Eine Moritat über die Nacht, als die Mauer fiel." Nachzulesen ist diese, wie 23 weitere bizarr-heitere Geschichten aus dem skurrilen Alltag in den USA in dem kleinen Band "Yo, Amerika, Bosheiten und Liebeserklärungen". Erschienen ist er im Züricher "Weltwoche" ABC Verlag. Ganz anders klingt, was Detlef Junker, der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts über den Fall der Mauer und dessen Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen schreibt.
"Der Plan zu der hier vorgelegten Forschungssumme zum Thema "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges 1945-1990" wurde in einer revolutionären Zeit geboren: in den Jahren von 1989 bis 1991, als nicht nur für das geübte Auge des Historikers erkennbar wurde, dass durch das Ende des Kalten Krieges, den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, die Neuordnung Mittel- und Osteuropas, den Fall der Mauer, die Vereinigung Deutschlands, und das Ende der Sowjetunion auch eine Epoche der amerikanisch-deutschen Beziehungen zu Ende ging. Beflügelt durch das Diktum Hegels, dass die Eule der Minerva, der Vogel der Weisheit, ihren Flug erst in der Dämmerung beginne, fasste der Herausgeber den Entschluß, die amerikanisch-deutschen Beziehungen von 1945-1990 zum ersten Male in allen ihren Dimensionen zu dokumentieren."
Nachzulesen ist das im Vorwort des von Detlef Junker bei der DVA herausgegebenen zweibändigen Handbuch "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges".
Außergewöhnliche Sachverhalte verlangen außergewöhnliche Darstellungen. Von dieser Idee ließ sich Detlef Junker, der langjährige Chef des Deutschen Historischen Instituts in Washington, leiten, als er 1989 eine Bilanz der deutsch-amerikanischen Beziehungen zur Zeit des Kalten Krieges anregte. Zu untersuchen war ein Geflecht von Interessen und Abhängigkeiten, das selbst in der klein gewordenen Welt des 20. Jahrhunderts seinesgleichen sucht. Über zehn Jahre waren Junker und seine Mitarbeiter Philipp Gassert, Wilfried Mausbach und David B. Morris damit beschäftigt, die internationale Forschung zu sichten, ausgewiesene Kenner der Materie als Autoren zu gewinnen und deren Beiträge für ein historisches Handbuch zusammenzustellen. Jetzt liegt, ermöglicht durch die bis in die Gegenwart verzinsten Gelder aus dem Marshall-Plan, ihr "Opus Magnum" vor. 132 Autorinnen und Autoren aus den USA und Deutschland vermessen mit 146 Beiträgen das geschichtliche Terrain. Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft - in zwei Bänden und auf fast zweitausend Seiten wird nichts von Interesse ausgelassen.
Wer an Verstädterung, Architektur und Verkehrsplanung interessiert ist, wird ebenso fündig wie jene, die sich noch einmal die Hintergründe der Währungsreform, die Vorbereitungen zur Gründung der Bundeswehr oder den Streit um die Annäherung an den Ostblock in Erinnerung rufen möchten. Und auf dem Umweg über Amerika begegnen wir noch einmal den moralischen Verwüstungen, die der Nationalsozialismus hinterlassen hatte. Sie begründeten, gerade in der jüngeren Generation, den Wunsch, mittels amerikanischer Ideen und Vorbilder wieder Anschluss an die Gegenwart der zivilisierten Welt zu finden. Daher zahlte es sich von Anfang an aus, dass die US-Army nicht nur Munition, sondern auch 15 Millionen Bücher im Gepäck hatte, als sie den Rhein überquerte - die Grundausstattung für die Bibliotheken der später gut besuchten Amerikahäuser. Die seit den frühen fünfziger Jahren mit viel Geld und noch mehr Energie betriebenen Austauschprogramme taten ein Übriges, um die junge Demokratie auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Herausgeber und Autoren waren gut beraten, nicht den ebenso unendlichen wie fruchtlosen Streit weiterzuführen, ob man die Veränderungen an Geist und Seele der Deutschen als "Amerikanisierung", "Verwestlichung" oder "Globalisierung" bezeichnen sollte. Sie verweisen vielmehr darauf, dass es sich um das "Einarbeiten" und "Übersetzen" amerikanischer Angebote in den Kontext deutscher Kultur und Geschichte handelt - und stets um eine Chance, die republikanischen Traditionen der eigenen Geschichte vom Schutt antiliberaler und totalitärer Epochen zu befreien. In diesem Sinne sind die kulturhistorisch orientierten Beiträge zu Film, Literatur und moderner Kunst besonders aufschlussreich.
Das Werk erfüllt alle Ansprüche, die man an historische Handbücher stellten kann und muss. Mit dem gravierenden Unterschied, dass die einzelnen Beiträge im Vergleich zum klassischen Handbuch wesentlich umfangreicher sind. Von der Fülle sachlicher Informationen abgesehen, stellen sie den Stand der Forschung vor und erläutern, warum Historiker in manchen Fragen übereinstimmen, in anderen hingegen scheinbar nie auf einen Nenner kommen werden - z.B., wenn es darum geht, ob die Besatzungspolitik zwischen 1945 und 1949 die Chancen für einen demokratischen Neubeginn eher erleichterte oder verstellte. Grundsätzlich richten die Herausgeber den Blick über die engen Grenzen der historischen Zunft hinaus auf ein größeres Publikum. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Laien und Anfänger finden mühelos Zugang zu komplizierten Sachverhalten. Zugleich kommen Experten selbst dort, wo im Grunde Bekanntes resümiert wird, auf ihre Kosten - in Gestalt thematischer Einleitungen und kommentierter Bibliographien, die jeweils auf ihre Weise mit grundlegender Literatur und Neuerscheinungen vertraut machen. Ein ausführliches Sach- und Personenregister ermöglicht es überdies, sich schnell einen Überblick über die Vielfalt historischer Deutungsmöglichkeiten zu verschaffen. In anderen Worten: Die beiden Bände haben gute Chancen, unter dem Kürzel "der Junker" diesseits wie jenseits des Atlantik als Standardwerk anerkannt zu werden.
Seinen besonderen Charme verdankt dieses Handbuch dem Mut der Herausgeber zum Risiko. Es bleibt nämlich über weite Strecken unfertig, offen, experimentell - wenn man so will, sehr amerikanisch. Diese Offenheit liegt in der Natur der Sache. Während die fünfziger Jahre, auch hinsichtlich ihrer alltagsgeschichtlichen und kulturellen Seiten, mittlerweile gut erforscht sind, steckt die Zeitgeschichte der folgenden Dekaden noch in den Anfängen. Mit dieser Einschränkung muss der zweite Teil des Handbuchs, der sich mit den Jahren 1968 bis 1990 befasst, gelesen werden. Zumal er von einer Zeit handelt, in der sich das vermeintlich Eindeutige der frühen Jahre aufzulösen beginnt und Entwicklungen angestoßen werden, deren Tragweite selbst heute noch nicht zu übersehen ist. Die meisten Beiträge werden mit dieser Herausforderung fertig. Sie sind nicht im Gestus einer abschließenden Bilanz geschrieben, sondern regen zu weiteren Erkundungen in unbekanntem Gelände an. Alte und neue Forschung, konventionelle und innovative Methoden finden auf diese Weise zusammen - eine fast beiläufige Erinnerung daran, dass Wissenschaft mit jeder Antwort ein vielfaches an neuen Fragen aufwirft.
Gerade die Beziehungen zwischen den USA und dem zweiten deutschen Staat bleiben für Zeithistoriker eine Herausforderung. Wir wissen, dass das Verhältnis von beiden Seiten mit Vorsatz negativ überhöht wurde: Von Washington, indem man die DDR in die zweite, wenn nicht die dritte Reihe der Diplomatie rückte. Von Ostberlin, indem der "Yankee-Imperialismus" zur Erklärung des permanenten Ausnahmezustands und mithin zur politischen Disziplinierung im Innern herhalten musste. Über den realen Einfluss Amerikas auf Leben und Politik der ehemaligen DDR gibt es aber, wenn überhaupt, nur bruchstückhafte Daten. Was freilich nicht bedeutet, dass man diesen Einfluss gering schätzen sollte. Im Gegenteil: Die staatlich orchestrierte Denunziation von Popmusik und "Ami-Mode" wurde stets im Ton der Verunsicherten vorgetragen - als trauten die SED-Granden ihren eigenen Worten nicht und noch weniger den Bürgern, an die sie gerichtet waren. Daran erinnerte der Schriftsteller Günter Kunert im Jahr 1974. "Ihr kommt in eine Welt", schrieb er in seinen "Ansichten von Amerika", "in der es mehr Dinge gibt, als sich eure sozialistische Schulweisheit träumen lässt." Die in der DDR betriebene "Amerikanistik" gibt darüber Auskunft, welchen Rückhalt staatliche Verlautbarungen fanden und welches Eigenleben private und in ihrer Privatheit widerständige Amerikabilder führten. Man mag bedauern, dass das Handbuch an dieser Stelle über erste Eindrücke nicht hinaus kommt, vielleicht auch unterhalb des heute bereits wissenschaftlich Möglichen bleibt. Soviel wird dennoch deutlich: Die größten Überraschungen bei der Erforschung des Westens liegen unter Umständen im Osten.
Bernd Greiner über das Handbuch "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges. Detlef Junker hat das zweibändige Werk bei der Deutschen Verlags- Anstalt in Stuttgart und München herausgegeben. Band 1 behandelt die Jahre 1945 - 1968 und umfasst 977 Seiten. In Band 2 geht es um den Zeitraum 1968 - 1990, 874 Seiten. Die beiden Bände kosten DM 148,-.
Martin Kilian, der Nord Amerika Korrespondent der Schweizer "Weltwoche" beginnt so: "Eine Moritat über die Nacht, als die Mauer fiel." Nachzulesen ist diese, wie 23 weitere bizarr-heitere Geschichten aus dem skurrilen Alltag in den USA in dem kleinen Band "Yo, Amerika, Bosheiten und Liebeserklärungen". Erschienen ist er im Züricher "Weltwoche" ABC Verlag. Ganz anders klingt, was Detlef Junker, der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts über den Fall der Mauer und dessen Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen schreibt.
"Der Plan zu der hier vorgelegten Forschungssumme zum Thema "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges 1945-1990" wurde in einer revolutionären Zeit geboren: in den Jahren von 1989 bis 1991, als nicht nur für das geübte Auge des Historikers erkennbar wurde, dass durch das Ende des Kalten Krieges, den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, die Neuordnung Mittel- und Osteuropas, den Fall der Mauer, die Vereinigung Deutschlands, und das Ende der Sowjetunion auch eine Epoche der amerikanisch-deutschen Beziehungen zu Ende ging. Beflügelt durch das Diktum Hegels, dass die Eule der Minerva, der Vogel der Weisheit, ihren Flug erst in der Dämmerung beginne, fasste der Herausgeber den Entschluß, die amerikanisch-deutschen Beziehungen von 1945-1990 zum ersten Male in allen ihren Dimensionen zu dokumentieren."
Nachzulesen ist das im Vorwort des von Detlef Junker bei der DVA herausgegebenen zweibändigen Handbuch "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges".
Außergewöhnliche Sachverhalte verlangen außergewöhnliche Darstellungen. Von dieser Idee ließ sich Detlef Junker, der langjährige Chef des Deutschen Historischen Instituts in Washington, leiten, als er 1989 eine Bilanz der deutsch-amerikanischen Beziehungen zur Zeit des Kalten Krieges anregte. Zu untersuchen war ein Geflecht von Interessen und Abhängigkeiten, das selbst in der klein gewordenen Welt des 20. Jahrhunderts seinesgleichen sucht. Über zehn Jahre waren Junker und seine Mitarbeiter Philipp Gassert, Wilfried Mausbach und David B. Morris damit beschäftigt, die internationale Forschung zu sichten, ausgewiesene Kenner der Materie als Autoren zu gewinnen und deren Beiträge für ein historisches Handbuch zusammenzustellen. Jetzt liegt, ermöglicht durch die bis in die Gegenwart verzinsten Gelder aus dem Marshall-Plan, ihr "Opus Magnum" vor. 132 Autorinnen und Autoren aus den USA und Deutschland vermessen mit 146 Beiträgen das geschichtliche Terrain. Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft - in zwei Bänden und auf fast zweitausend Seiten wird nichts von Interesse ausgelassen.
Wer an Verstädterung, Architektur und Verkehrsplanung interessiert ist, wird ebenso fündig wie jene, die sich noch einmal die Hintergründe der Währungsreform, die Vorbereitungen zur Gründung der Bundeswehr oder den Streit um die Annäherung an den Ostblock in Erinnerung rufen möchten. Und auf dem Umweg über Amerika begegnen wir noch einmal den moralischen Verwüstungen, die der Nationalsozialismus hinterlassen hatte. Sie begründeten, gerade in der jüngeren Generation, den Wunsch, mittels amerikanischer Ideen und Vorbilder wieder Anschluss an die Gegenwart der zivilisierten Welt zu finden. Daher zahlte es sich von Anfang an aus, dass die US-Army nicht nur Munition, sondern auch 15 Millionen Bücher im Gepäck hatte, als sie den Rhein überquerte - die Grundausstattung für die Bibliotheken der später gut besuchten Amerikahäuser. Die seit den frühen fünfziger Jahren mit viel Geld und noch mehr Energie betriebenen Austauschprogramme taten ein Übriges, um die junge Demokratie auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Herausgeber und Autoren waren gut beraten, nicht den ebenso unendlichen wie fruchtlosen Streit weiterzuführen, ob man die Veränderungen an Geist und Seele der Deutschen als "Amerikanisierung", "Verwestlichung" oder "Globalisierung" bezeichnen sollte. Sie verweisen vielmehr darauf, dass es sich um das "Einarbeiten" und "Übersetzen" amerikanischer Angebote in den Kontext deutscher Kultur und Geschichte handelt - und stets um eine Chance, die republikanischen Traditionen der eigenen Geschichte vom Schutt antiliberaler und totalitärer Epochen zu befreien. In diesem Sinne sind die kulturhistorisch orientierten Beiträge zu Film, Literatur und moderner Kunst besonders aufschlussreich.
Das Werk erfüllt alle Ansprüche, die man an historische Handbücher stellten kann und muss. Mit dem gravierenden Unterschied, dass die einzelnen Beiträge im Vergleich zum klassischen Handbuch wesentlich umfangreicher sind. Von der Fülle sachlicher Informationen abgesehen, stellen sie den Stand der Forschung vor und erläutern, warum Historiker in manchen Fragen übereinstimmen, in anderen hingegen scheinbar nie auf einen Nenner kommen werden - z.B., wenn es darum geht, ob die Besatzungspolitik zwischen 1945 und 1949 die Chancen für einen demokratischen Neubeginn eher erleichterte oder verstellte. Grundsätzlich richten die Herausgeber den Blick über die engen Grenzen der historischen Zunft hinaus auf ein größeres Publikum. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Laien und Anfänger finden mühelos Zugang zu komplizierten Sachverhalten. Zugleich kommen Experten selbst dort, wo im Grunde Bekanntes resümiert wird, auf ihre Kosten - in Gestalt thematischer Einleitungen und kommentierter Bibliographien, die jeweils auf ihre Weise mit grundlegender Literatur und Neuerscheinungen vertraut machen. Ein ausführliches Sach- und Personenregister ermöglicht es überdies, sich schnell einen Überblick über die Vielfalt historischer Deutungsmöglichkeiten zu verschaffen. In anderen Worten: Die beiden Bände haben gute Chancen, unter dem Kürzel "der Junker" diesseits wie jenseits des Atlantik als Standardwerk anerkannt zu werden.
Seinen besonderen Charme verdankt dieses Handbuch dem Mut der Herausgeber zum Risiko. Es bleibt nämlich über weite Strecken unfertig, offen, experimentell - wenn man so will, sehr amerikanisch. Diese Offenheit liegt in der Natur der Sache. Während die fünfziger Jahre, auch hinsichtlich ihrer alltagsgeschichtlichen und kulturellen Seiten, mittlerweile gut erforscht sind, steckt die Zeitgeschichte der folgenden Dekaden noch in den Anfängen. Mit dieser Einschränkung muss der zweite Teil des Handbuchs, der sich mit den Jahren 1968 bis 1990 befasst, gelesen werden. Zumal er von einer Zeit handelt, in der sich das vermeintlich Eindeutige der frühen Jahre aufzulösen beginnt und Entwicklungen angestoßen werden, deren Tragweite selbst heute noch nicht zu übersehen ist. Die meisten Beiträge werden mit dieser Herausforderung fertig. Sie sind nicht im Gestus einer abschließenden Bilanz geschrieben, sondern regen zu weiteren Erkundungen in unbekanntem Gelände an. Alte und neue Forschung, konventionelle und innovative Methoden finden auf diese Weise zusammen - eine fast beiläufige Erinnerung daran, dass Wissenschaft mit jeder Antwort ein vielfaches an neuen Fragen aufwirft.
Gerade die Beziehungen zwischen den USA und dem zweiten deutschen Staat bleiben für Zeithistoriker eine Herausforderung. Wir wissen, dass das Verhältnis von beiden Seiten mit Vorsatz negativ überhöht wurde: Von Washington, indem man die DDR in die zweite, wenn nicht die dritte Reihe der Diplomatie rückte. Von Ostberlin, indem der "Yankee-Imperialismus" zur Erklärung des permanenten Ausnahmezustands und mithin zur politischen Disziplinierung im Innern herhalten musste. Über den realen Einfluss Amerikas auf Leben und Politik der ehemaligen DDR gibt es aber, wenn überhaupt, nur bruchstückhafte Daten. Was freilich nicht bedeutet, dass man diesen Einfluss gering schätzen sollte. Im Gegenteil: Die staatlich orchestrierte Denunziation von Popmusik und "Ami-Mode" wurde stets im Ton der Verunsicherten vorgetragen - als trauten die SED-Granden ihren eigenen Worten nicht und noch weniger den Bürgern, an die sie gerichtet waren. Daran erinnerte der Schriftsteller Günter Kunert im Jahr 1974. "Ihr kommt in eine Welt", schrieb er in seinen "Ansichten von Amerika", "in der es mehr Dinge gibt, als sich eure sozialistische Schulweisheit träumen lässt." Die in der DDR betriebene "Amerikanistik" gibt darüber Auskunft, welchen Rückhalt staatliche Verlautbarungen fanden und welches Eigenleben private und in ihrer Privatheit widerständige Amerikabilder führten. Man mag bedauern, dass das Handbuch an dieser Stelle über erste Eindrücke nicht hinaus kommt, vielleicht auch unterhalb des heute bereits wissenschaftlich Möglichen bleibt. Soviel wird dennoch deutlich: Die größten Überraschungen bei der Erforschung des Westens liegen unter Umständen im Osten.
Bernd Greiner über das Handbuch "Die USA und Deutschland im Zeitalter des kalten Krieges. Detlef Junker hat das zweibändige Werk bei der Deutschen Verlags- Anstalt in Stuttgart und München herausgegeben. Band 1 behandelt die Jahre 1945 - 1968 und umfasst 977 Seiten. In Band 2 geht es um den Zeitraum 1968 - 1990, 874 Seiten. Die beiden Bände kosten DM 148,-.