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Detlef Siegfried: Der Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934

Das Massenverkehrsflugzeug ist vor wenigen Monaten zum Schreckgespenst der modernen westlichen Welt geworden. Wieder und wieder hat man uns gezeigt, wie zwei Passagiermaschinen in die Türme des Welthandelszentrums gelenkt wurden. Das technische Symbol der Überwindung von Distanzen, des Zusammenwachsens der Welt wurde plötzlich zum Mordinstrument. Nicht wenige Menschen haben wegen dieser Bilder Angst vor dem Fliegen, haben Reisen abgesagt oder fühlen mindestens Beklemmungen beim Besteigen eines Flugzeugs. Es wird lange dauern, bis man ein Flugzeug über einer Stadt so ganz ohne Argwohn wird betrachten können. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Fliegen eine technische Utopie, die ungeheure Faszination auf die Menschen ausübte. War im 19. Jahrhundert der Eisenbahnbau der Katalysator der industriellen Revolution, so versprach man sich im 20. Jahrhundert vom Flugzeugbau ähnliche Entwicklungsschübe. Fliegen hieß Räume zu verkleinern, natürliche Gegebenheiten technisch zu überwinden. Wie technische Entwicklungen für politische Zwecke genutzt werden können, zeigt schon ein nur oberflächlicher Blick auf die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts: die Sowjetunion hatte die Elektrifizierung auf ihre Fahnen geschrieben, das nationalsozialistische Deutschland versuchte die Atombombe zu bauen, und seine Bürger sollten mit einem Volkswagen in die faschistische Zukunft rollen, im Kalten Krieg wurde die Weltraumtechnik zum Tummelplatz der Systemkonkurrenz.

Lothar Baier |
    Das Massenverkehrsflugzeug ist vor wenigen Monaten zum Schreckgespenst der modernen westlichen Welt geworden. Wieder und wieder hat man uns gezeigt, wie zwei Passagiermaschinen in die Türme des Welthandelszentrums gelenkt wurden. Das technische Symbol der Überwindung von Distanzen, des Zusammenwachsens der Welt wurde plötzlich zum Mordinstrument. Nicht wenige Menschen haben wegen dieser Bilder Angst vor dem Fliegen, haben Reisen abgesagt oder fühlen mindestens Beklemmungen beim Besteigen eines Flugzeugs. Es wird lange dauern, bis man ein Flugzeug über einer Stadt so ganz ohne Argwohn wird betrachten können. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Fliegen eine technische Utopie, die ungeheure Faszination auf die Menschen ausübte. War im 19. Jahrhundert der Eisenbahnbau der Katalysator der industriellen Revolution, so versprach man sich im 20. Jahrhundert vom Flugzeugbau ähnliche Entwicklungsschübe. Fliegen hieß Räume zu verkleinern, natürliche Gegebenheiten technisch zu überwinden. Wie technische Entwicklungen für politische Zwecke genutzt werden können, zeigt schon ein nur oberflächlicher Blick auf die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts: die Sowjetunion hatte die Elektrifizierung auf ihre Fahnen geschrieben, das nationalsozialistische Deutschland versuchte die Atombombe zu bauen, und seine Bürger sollten mit einem Volkswagen in die faschistische Zukunft rollen, im Kalten Krieg wurde die Weltraumtechnik zum Tummelplatz der Systemkonkurrenz.

    In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hat die Vorstellung vom Fliegen die Phantasie beflügelt, sie war ein Symbol der grenzenlosen Machbarkeit. Zentrum des deutschen Flugzeugbaus war Dessau, wo die Junkerswerke ihren Sitz hatten. Mitte der 20er Jahre zog das Bauhaus von Weimar ebenfalls nach Dessau um, und so kam es zum Zusammentreffen von Künstlern, Intellektuellen und Technikern, die alle auf verschiedene Weise ihre Zukunftsvisionen Wirklichkeit werden lassen wollten. Der Historiker Detlef Siegfried hat in seinem Buch ?Der Fliegerblick? dieses Zusammentreffen unter politischen Aspekten zum Thema gemacht.

    Eine kleine historische Sensation hat vor kurzem der Bonner Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger angekündigt: Eine Neuerscheinung mit dem Titel ?Der Fliegerblick?, hieß es in einer Pressemitteilung, weise nach, dass es bei den Junkers-Flugzeugwerken 1931 zu einer "Machtprobe im Management" kam,

    ''Die eine Gruppe ehemals linksradikaler Intellektueller gegen die nationalistischen Militärdirektoren für sich entschied''.

    Klingt aufsehenerregend: zwei Jahre vor Machtantritt der Nationalsozialisten wird ein namhaftes deutsches Industrieunternehmen, das bald darauf mit seiner Produktion von Bomben- und Transportflugzeugen Hitlers Luftwaffe entscheidend aufrüsten sollte, von Intellektuellen linksradikaler Provenienz geführt.

    Ganz so wild, wie es klingt, ist es dann noch nicht gewesen, wie sich bei Lektüre des fraglichen Buchs herausstellt. 1931 waren die von der Wirtschaftskrise gebeutelten Junkerswerke in die roten Zahlen gerutscht. Der Firmeninhaber Hugo Junkers machte dafür die kaufmännische Unfähigkeit der Direktoren verantwortlich, die zum großen Teil aus der Weltkriegs-Fliegerei gekommen waren und den am Boden klebenden Spießer ebenso verachteten wie eine zeitgemäße kaufmännische Buchführung. Ende 1931, also wenig mehr als ein Jahr vor Hitlers Machtergreifung, stellte Junkers den industrieerfahrenen promovierten Politikwissenschaftler Adolf Dethmann als Konzerndirektor ein.

    Der neue Chef gliederte unproduktive Firmenbereiche aus und dämpfte die Unruhe in der von Entlassungen bedrohten Belegschaft, indem er sich mit der Gewerkschaft verständigte. Dass es sich bei dieser Gewerkschaft um die nationalsozialistische NSBO handelte und bei Dethmann um einen der KAPD, einer KPD-Abspaltung, nahestehenden Intellektuellen, unterstreicht nur das zeittypische ideologische Durcheinander kurz vor dem Ableben der ersten Republik in Deutschland. Dem Junkers-Durcheinander setzten die Nazis allerdings bereits im März 1933 ein Ende, indem sie Dethmann und zwei andere Angestellte seiner Couleur für kurze Zeit in Haft nahmen. Ende des Jahres wurde der nicht gerade linksradikale Firmengründer Hugo Junkers enteignet, seine Aktien gingen an Hermann Görings Luftfahrtministerium über. Auf dem Gebiet der strategisch für entscheidend gehaltenen Luftwaffe war für die Nationalsozialisten der Weg zur unbegrenzten Luftrüstung damit frei.

    Die von Dietz publizierte Arbeit des jungen Historikers Detlef Siegfried enthält interessante Mitteilungen, kommt jedoch entschieden zu großmäulig und zu langatmig daher im Verhältnis zu dem, was sie zu bieten hat.

    ''er Fliegerblick. Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934''

    lautet ihr vollständiger Titel. Offenbar hat der Verlag, der erfahrungsgemäß bei Büchern die Titelgebung bestimmt, Anklänge herstellen wollen an den Titel der bei ihm 1996 erschienenen, zu Recht hochgelobten Arbeit von Ulrich Herbert über den Heydrich-Stellvertreter und ersten Organisator der SS-Einsatzgruppen, Werner Best, deren Untertitel ''Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft'' lautet. Dem über seine Darstellungsmittel brillant verfügenden Historiker Herbert kann Siegfried literarisch und methodisch freilich das Wasser nicht reichen. Die zahllosen Materialien, die der Autor in Archiven aufgefunden hat, vermag er nicht so zu ordnen, dass Bilder der angesprochenen Vorgänge entstehen. Jener ?Fliegerblick?, den der Titel einzufangen verspricht, bleibt weitgehend blind: Was damit gemeint gewesen sein könnte in den flugfaszinierten zwanziger Jahren, lässt etwa eine knappe Notiz Walter Benjamins erahnen:

    ''Die Kraft der Landstraße ist eine andere, ob einer sie geht oder mit dem Aeroplan darüber hinwegfliegt.''

    Keine Rede kann schließlich sein von irgendeiner Präsenz von Intellektuellen und von ''Radikalismus'' bei den Junkerswerken von 1914 an. Der Kern der von Detlef Siegfried dokumentierten Episode handelt von einem kleinen Kreis junger Künstler und Intellektueller, der nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Kiel, der Stadt des Matrosenaufstands, erst von der befreienden fundamentalen Umwälzung träumte und sich teilweise radikalen Parteien wie der KAPD näherte, dann aber allmählich vom rebellischen Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit wechselte. Technische Rekorde, Ingenieurskünste und industrielle Ästhetik fesselten in den zwanziger Jahren zahlreiche Zeitgenossen, was sich deutlich an Bertolt Brechts literarischer Produktion ablesen lässt, die ein Hörstück über Charles Lindberghs Ozeanflug einschloss.

    In Dessau, dem Firmensitz von Junkers, fand 1925 lokal eine Annäherung zwischen Flugzeugindustrie und avancierter Kunst statt: Das Bauhaus zog von Weimar nach Dessau um, was zur Folge hatte, dass in dieser Stadt an der Elbe zwischen Künstlern, Architekten, Designern und den Flugzeugbauern von Junkers enge Kontakte entstanden.

    Die große technische Neuerung bei Junkers nach dem Ersten Weltkrieg war die Konstruktion von Ganzmetallflugzeugen gewesen, die mit ihren Duraluminium-Verkleidungen den üblichen fliegenden Kisten mit ihren stoffbespannten Tragflächen aerodynamisch weit überlegen waren. Die Erfahrungen mit der Leichtmetallverarbeitung brachten die Leute von Junkers auf die Idee, auch an den Bau von Metallmöbeln und Metallhäusern zu denken. Dies wiederum interessierte die Bauhausleute. Zwischen Hugo Junkers und Walter Gropius entspann sich dabei ein bemerkenswerter Dialog über Kunst, Technik und einen in den zwanziger Jahren angewachsenen Technikkult, der sowohl den Bauhausleuten als auch Junkers etwas unheimlich wurde. Der Firmengründer Hugo Junkers verstand sich zudem mehr als innovativer Forscher denn als Manager von Massenproduktionen. Die in Dessau herrschende Atmosphäre zog im Lauf der Zeit Künstler und Intellektuelle auch aus dem Kieler Kreis an. Der Maler Peter Drömmer wurde als Designer eingestellt, der Firmenlogos und Inneneinrichtungen der Flugzeuge entwarf, der Schriftsteller Richard Blunck verfasste Werbetexte und begann mit der Arbeit an einer Junkers-Biographie. Als letzter aus dem Kieler Kreis kam der einst der KPD-Opposition angehörende Intellektuelle Adolf Dethmann hinzu, dessen Karriere bei Junkers nach etwas mehr als einem Jahr im Frühjahr 1933 endete.

    Eine literarisch sorgsame Verarbeitung der von Detlef Siegfried aufgefundenen Materialien hätte eine hochinteressante Studie zu einem wenig beleuchteten Kapitel Industrie- und Kulturgeschichte der deutschen zwanziger Jahre ergeben können. Bedauerlicherweise hat der Historiker sich damit zufriedengegeben, eine weitgehend unstrukturierte, mit knalliger Titelei und Modebegriffen wie "Diskurs" und "Paradigmenwechsel" aufgemotzte Stoffsammlung vorzulegen.

    Lothar Baier besprach: "Der Fliegerblick; Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934". Erschienen ist der 335 Seiten starke Band im Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger in Bonn. Er kostet 29.70 Euro.