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Deutliche Effekte der HIV-Therapie

Medizin. - Viele Menschen in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal sind mit dem Aids-Erreger infiziert, gerade abseits der großen Städte Durban und Pietermaritzburg. Im Jahr 2004 ist in einem Distrikt der Provinz die in Industrienationen übliche Kombinationstherapie für HIV-Infizierte eingeführt worden. In "Science" berichten Mediziner heute über die Effekte: Die Lebenserwartung der Bewohner ist um mehr als elf Jahre gestiegen und nicht nur HIV-Infizierte profitierten von dem acht Millionen Euro teuren Programm. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet im Gespräch mit Lennart Pyritz.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Lennart Pyritz | 22.02.2013
    Pyritz: Herr Winkelheide, ist die Provinz KwaZulu-Natal exemplarisch für die Situation in Südafrika?

    Winkelheide: Ja, sie ist exemplarisch. Südafrika ist besonders hart von der HIV-Epidemie getroffen worden. Aids hat sich in den frühen neunziger Jahren explosionsartig in Südafrika ausgebreitet. Und die Folge war damals eben, dass die Lebenserwartung sich um zehn bis 20 Jahren verringert hat. Solche dramatischen Effekte sieht man sonst eigentlich nur als Folge großer Kriege oder lange Hungersnöte. Und HIV traf und trifft in dieser Region, überhaupt im südlichen Afrika, vor allem junge Erwachsene. Neben dem schlimmen Schicksal persönlicher Art hat das natürlich auch Folgen für die ganze Gesellschaft. Es gab und gibt Lehrer- und Ärztemangel, es gibt eine hohe Zahl von Aids-Waisen, die von den Großeltern aufgezogen worden sind; in den ländlichen Regionen droht auch traditionelles Wissen verloren zu gehen, zum Beispiel wie bestellt man Felder und wie macht man das richtig, dass man nachher auch etwas ernten kann.

    Pyritz: Wie hat denn Südafrika auf diese Aids Krise reagiert?

    Winkelheide: Sehr spät, muss man sagen. Die Diagnose Aids kam in Südafrika lange Zeit einem Todesurteil gleich. Zum Vergleich: In den reichen Ländern des Nordens gibt es ja seit 1996 schon eine wirksame Kombinationstherapie für HIV-Infizierte und im größeren Stil wurden die Medikamente in KwaZulu-Natal erst acht Jahre später, also ab 2004 überhaupt verordnet. In ganz Südafrika hat es auch bis 2008 gedauert, bis es überhaupt einmal richtig angelaufen ist, das Programm. In KwaZulu-Natal wurde es möglich durch ein Regierungsprogramm, aber eben auch mit großer Unterstützung von Hilfsprogrammen aus den USA. Und wie verzögert Südafrika auf das Aids Problem reagiert hat, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass erst Anfang des Jahrtausends und auch auf internationalen Druck hin überhaupt Screening-Programme für Schwangere aufgelegt worden sind, um zu verhindern, dass Kinder schon mit dem Virus auf die Welt kommen. Und da ist wertvolle Zeit wirklich verschwendet worden. Heute aber sieht man - man muss sagen, das ist nicht alles optimal in diesem Distrikt in der Provinz KwaZulu-Natal, aber man sieht trotzdem, welchen großen Effekt eben Aids-Behandlungsprogramme haben. Bei Erwachsenen ist die Lebenserwartung um über elf Jahre gestiegen, also von 49,2 Jahren im Jahr 2003 auf inzwischen 60,5 Jahre. Also man hat noch nicht den Status erreicht von vor der HIV-Epidemien, aber man hat den Trend umgekehrt.

    Pyritz: Hat sich denn dieses Programm nur positiv auf die Lebenserwartung von HIV-Infizierten ausgewirkt?

    Winkelheide: Nein. Also man hat geguckt: welchen Effekt hat das auf alle erwachsenen Menschen. Und man hat gesehen, es hat tatsächlich einen Effekt für alle Menschen in der Region, eben nicht nur für Infizierte. Und der Effekt der Programme ist auch so zu erklären, dass die medizinische Infrastruktur insgesamt gestärkt wurde. Es reicht da nicht aus, einfach nur Pillen auszugeben, man muss erst einmal testen, also gucken, ist jemand HIV-infiziert oder nicht. Man braucht also Labore, es muss Ärzte geben, die Komplikationen auch erkennen können, um eine Therapie einstellen zu können. Und in KwaZulu-Natal ist HIV kein isoliertes Problem, in der Provinz sind Tuberkulose, vor allen Dingen Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten ein großes Problem, also es hat auch große Ausbrüche gegeben mit resistenten Tuberkulose-Stämmen und insgesamt muss man sagen: die andere Patienten haben trotzdem spürbar von der verbesserten medizinischen Infrastruktur profitiert.

    Pyritz: So ein Programm kostet ja auch viel Geld. Rechnet sich das vom finanziellen Standpunkt her?

    Winkelheide: Ja, die Forscher der Universität KwaZulu-Natal haben das auch berechnet und haben gesehen: elf Millionen Dollar, so umgerechnet acht Millionen Euro sind in das Programm geflossen und dann haben die Forscher eben gegengerechnet und haben gesehen, dass der Ertrag [Im Interview sagte Gesprächspartner versehentlich "Aufwand", die Redaktion] die Kosten tatsächlich überwiegt, dass auch der Staat davon profitiert eben.