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"Deutsch als Wissenschaftssprache erhalten"

Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, sieht auch weiterhin die Notwendigkeit, sich für Sprache und Kultur einzusetzen. Im Rahmen der Europäischen Union würde man vor allem auf Politik und Wirtschaft setzen. Wichtig sei deshalb der Einsatz für marginalisierte Sprachen. Deutsch müsse als Wissenschaftssprache erhalten bleiben, sonst drohe in 50 bis 100 Jahren eine Austrockung der deutschen Sprache.

Klaus Reichert im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Jubiläen bestimmen unsere heutige Sendung, nicht nur die Bundesrepublik hat nämlich am Wochenende ihren 60. Geburtstag gefeiert, sondern auch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, und wir fragen, vor welchen aktuellen Herausforderungen die Akademie steht.

    An Goethes 200. Geburtstag wurde sie in der Frankfurter Paulskirche gegründet – die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Sie hat sich die Pflege, Vertretung und Förderung der deutschen Literatur und Sprache zur Aufgabe gemacht, daher veranstaltet sie Tagungen, gibt Publikationen heraus, mischt sich in Debatten ein – zum Beispiel engagierte sie sich bei der Rechtschreibreform – und sie verleiht Preise, am bekanntesten ist der Georg-Büchner-Preis. Zum 60. Geburtstag hat sich die Akademie nun ihre Schwesterakademien aus Dänemark, Schweden, Großbritannien und Spanien eingeladen, um über die Rolle der Akademien in Europa und die neuen Herausforderungen zu diskutieren. Frage an Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: Herr Reichert, am bekanntesten ist in Europa ja eigentlich die Académie française. Warum hat man denn niemanden aus Frankreich eingeladen?

    Klaus Reichert: Weil es sehr, sehr schwierig ist, mit der Académie française irgendwie ins Gespräch zu kommen. Das sind Repräsentanten, die sich selber feiern und die natürlich mauern, wenn andere Akademien meinen, sie könnten mit ihr irgendwie ins Gespräch kommen. Wir sind da in Sondierungsgesprächen, ob wir eventuell mit der Académie Calinar Verbindung aufnehmen, wo wirklich die jüngeren Autoren zusammensitzen, wo es wirklich um Literatur geht und nicht nur um Repräsentation.

    Schäfer-Noske: Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen denn die europäischen Literaturakademien zurzeit?

    Reichert: Sie stehen vor der Herausforderung, dass im Zusammenhang der EU vor allen Dingen über politische und wirtschaftliche Belange geredet wird, dass aber die Rolle der Literatur überhaupt keine Rolle zu spielen scheint, und da sollten wir ein Bollwerk gegen Barbarei sein, also die Ausklammerung von Kultur, in unserem Falle speziell von Literatur. Und das andere ist natürlich: Was denken wir über die Sprachen, die im Konzert der sogenannten Brüsseler Sprachen, also Englisch und Französisch, nicht vorkommen? Das Deutsche zum Beispiel ist die Sprache, die am häufigsten in Europa gesprochen wird, aber sie ist keine wirklich zugelassene Sprache bei den Protokollen aus Brüssel. Und wie steht es mit dem Schwedischen, wie steht es mit dem Dänischen, wie steht es mit dem Italienischen? Und das sollten wir uns einfach mal als gemeinsamen Tagesordnungspunkt vornehmen: Was können wir da machen, dass die kleineren Sprachen oder die marginalisierten Sprachen in diesem europäischen Konzert nicht mehr vorkommen?

    Schäfer-Noske: Nun haben Sie aber die Briten ja auch eingeladen. Waren die dann in einem Interessenskonflikt?

    Reichert: Die waren in überhaupt keinem Interessenskonflikt, denn die englische Sprache ist eine höchst komplizierte Sprache, dass auf einmal das Englische eine europäische Sprache wird, aber was ist das für ein Englisch? Das ist ein primitives Englisch, was den ganzen Reichtum und die Fülle der englischen Sprache überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen kann, weil jeder so sein rudimentäres Stummel-Englisch spricht.

    Schäfer-Noske: Welche Rolle spielen denn in Ihren Augen die Themen Bildungspolitik und auch das Thema Urheberrecht?

    Reichert: Den Bildungsfragen haben wir uns schon vor einiger Zeit zugewendet. Wir denken, es ist ganz wichtig, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sich kümmert, dass Kinder auf den verschiedensten Ebenen der Schulen und so weiter mit der deutschen Sprache sich auseinandersetzen müssen, dass sie sie lernen müssen. Und die Sache des Urheberrechts, die ist eine relativ neue Frage. Es gibt diese Heidelberger Erklärung, die sich gegen die Enteignung der Autorenrechte durch Google und andere ähnliche Unternehmungen sträubt, wo es Hunderte von Unterschriften gibt und natürlich ist die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung auch einer der Unterzeichner dieser Heidelberger Erklärung. Wie das im Einzelnen dann aussehen wird, das sind Dinge, die wir auch zusammen mit unseren Schwesterakademien diskutieren möchten.

    Schäfer-Noske: Wie wichtig ist Ihnen denn heute dieser Kampf gegen Anglizismen, den Sie ja in der Vergangenheit immer geführt haben von der Akademie aus?

    Reichert: Nein, das ist so nicht ganz richtig. Wir haben gesagt: Jede Sprache ist darauf angewiesen, dass sie lebendig bleibt, dass sie nicht versteinert, dass sie nicht irgendeinen, zum Beispiel Deutsch konserviert, sondern dass sie durchaus Fremdeinflüsse aufnimmt und eventuell integriert in die eigene Sprache. Da sind wir ganz gelassen. Aber auf der anderen Seite plädieren wir natürlich dafür, dass das Deutsche als Wissenschaftssprache erhalten bleibt. Wenn wir da die Segel streichen und sagen, na ja, die Wissenschaft, das kann ja alles jetzt auf Englisch sein, ich rede jetzt von den Geisteswissenschaften, dann wird die Sprache irgendwann austrocknen, das heißt, sie wird nicht mehr ausgebaut, und das bedeutet langfristig – langfristig heißt, im Laufe der nächsten 50, 100 Jahre – eine Verkümmerung des Deutschen. Und wir wollen eben wirklich aktiv Sprachkritik betreiben auf der Basis von empirischen Erhebungen: Wie hat sich wirklich die Sprache verändert? Was können wir wirklich, begründet, sagen zu den Vorwürfen, die deutsche Sprache geht kaputt und die deutsche Sprache wird überfremdet durch Anglizismen und so weiter und so fort?

    Schäfer-Noske: Das war Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die ihr 60. Jubiläum gefeiert hat.