Archiv


Deutsch-Deutsches in Hamburg

Angefangen hat der Regisseur Ottokar Runze als Bühnenschauspieler. Und nun hat er im Alter von 83 Jahren sein erstes Theaterstück "Der andere Mann" geschrieben. Die eine Frau ist Journalistin und hat die andere, eine DDR-Spionin, durch ihre Enthüllungen ins Gefängnis gebracht. Bei Gesprächen der beiden stellt sich dann heraus, dass sie denselben Mann lieben und dieser ein Doppelleben führte. Es entsteht das Psychogramm eine Egoisten.

Von Hartmut Krug |
    Schuld und Sühne ist wie in Ottokar Runzes Filmen auch im ersten Bühnenstück des 83-jährigen Regisseurs das zentrale Thema. "Der andere Mann" ist ein Dreiecks-Seelendrama mit gesellschaftlich tieferer Bedeutung und, passend für das Jubiläumsjahr der Wende, zugleich ein, wenn auch mäßig spannender, deutsch-deutscher Spionage- und Aufdeckungskrimi. Die offene Bühne von Stephan Mannteuffel bietet einen Untersuchungsraum, in dem alle drei Darsteller ständig präsent sind. Wer nicht im wechselnden Dialogspiel der sich erinnernden und erklärenden Figuren aktiv ist, wendet sich ab und tritt in den Hintergrund. Im Vordergrund aber steht in jeder Beziehung der Mann. So stellt sich Götz Schubert zu Beginn in der Rolle des Johannes vor die Bühne und das Publikum und erklärt diesem anhand der Aussage einer Schriftproben-Expertin, worum es geht:

    "Die Analyse dieser Frau hat mich nicht überzeugt, ist auch belanglos bis auf einen Satz, der kränkend klingt: 'An Seelentiefe mangelt es.' Wenn eines anderen Menschen Leid mich tief berührt, muss es doch meine Seele sein, die mich das fühlen lässt. Wir alle kennen Hoffnung, Angst, Verzweiflung und ein Glücksgefühl, wir sehen, wie leicht und hilfreich oft die Lüge ist und fürchten nichts so wie der Wahrheit Grausamkeit. Es lohnt, eh man den Richter spielt, ins eigene Herz zu blicken."

    Solche sich vom Poesiealbum zum Goethe-Zitat aufspreizenden Texte muss Götz Schubert mehrmals dem Publikum offerieren. Dabei gelingt es dem virtuosen Schauspieler, jede unfreiwillige Komik zu vermeiden. Schubert spielt einen Ostdeutschen, der nach der Wende Karriere in einer etablierten Partei gemacht hat. Seine Frau Corinna, die ihre Journalistinnenkarriere mit einem Aufdeckungsartikel über eine westdeutsche Verräterin im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen begonnen hat, für die ihr Mann ihr den Tipp gab, besucht die durch ihren Artikel ins Gefängnis Gekommene kurz vor deren Entlassung für ein Porträt. Corinna öffnet sich der Besucherin und erklärt dem Zuschauer das schlimme Wesen der Politik:

    "Aber ich habe auch gesehen, wie der Wettkampf um die Macht alles legalisiert: Lügen, Intrigen, Korruption, Erpressung, - solange es der Partei dient, die gerade am Ruder ist oder die an die Macht will. Das gilt allgemein, vielleicht sogar noch mehr für andere Länder. Der Kapitalismus, hat einmal ein Philosoph gesagt, ist die Geißel der Menschheit. Weil die Gier nach immer-mehr-haben-wollen der wenigen den vielen die Luft zum Leben nimmt.
    War der Entschluss, die geheimen Protokolle auf die andere Seite zu bringen ...?
    Wenn man teilhat an dem Prozess, dem Geschacher um Menschen, wenn der Chef sagt, Politik ist ein schmutziges Geschäft, das war schon immer so, wir tun nur unsere Pflicht, wenn man entdecken muss, dass die Werte, mit denen wir aufgewachsen sind, nur Plakate sind, die wir vor uns hertragen ..."

    Wenn all dem so ist, und wenn man wie Corinna noch die SS-Vergangenheit des geliebten Großvaters entdeckt, dagegen aber bei der Arbeit einen Übersetzer, den polnischen Juden Jan kennen und lieben lernte, dann verliert man sich nicht nur selbst völlig in dieser Liebe, sondern begeht den Geheimnisverrat aus emotionaler Überzeugung. Karoline Eichhorn gibt dieser aus emotionalen Gemeinplätzen montierten Figur eine innere Zerrissenheit und ein verzweifeltes Suchen, gegen das Cornelia Schirmer in der vom Autor vernachlässigten Rolle der Journalistin und Ehefrau des Johannes darstellerisch wenig psychologischen Tiefgang entgegen zu setzen weiß. Wir ahnen schnell und bekommen es recht spät bestätigt, dass Jan und Johannes eine Person ist und Doppelagent war. Mit machtpolitischer Abgebrühtheit und emotionaler Selbstsicherheit benutzt Jan/Johannes die Frauen für sich und fühlt sich zugleich in der Liebe als Opfer. Immerhin wird dieser Don-Juan, nachdem manch saurer Kitsch und manche Szenen zwischen "Ich hab dich so lieb" und "Ich verlasse dich" zu erdulden waren, schließlich von beiden Frauen verlassen. Wenigstens das macht uns froh.

    Was der auch regieführende Jungdramatiker Ottokar Runze in der von den Schauspielern geretteten Uraufführung zeigt, ist das Psychogramm eines Egoisten, der sich vom Publikum mit dem Satz verabschiedet: "Mein Gewissen ist so rein wie ich es will."