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Deutsch-französische Freundschaft
Ende einer Ära

Die deutschen Buchhandlungen in Paris waren einst intellektuelle Botschaften. Ausgerechnet am Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags schließt nun die letzte "Librairie Allemande" ihre Türen: Paris verliert mehr als nur ein Geschäft.

Von Nora Karches | 22.01.2020
Librairie Allemande - Eingangstür und Schaufenster der deutschen Buchhandlung in Paris mit dem Schild "Fermé"
Hohe Mieten und wenig Kunden: In Paris muss die letzte deutsche Buchhandlung schließen (Foto: Nora Karches)
Die amerikanische Buchhandlung "Shakespeare and Company" gegenüber von Notre-Dame ist weltberühmt. Selbst im Januar-Nieselregen steht man am Eingang Schlange. Die polnische und die afrikanische halten sich finanziell zumindest über Wasser, die deutsche Buchhandlung in Paris aber macht dicht.
Seit zwei Jahren ist sie die letzte in ganz Frankreich. Nach fünf Jahren ohne wirtschaftlichen Erfolg schließt Iris Mönch-Hahn ihr Geschäft am Tag der deutsch-französischen Freundschaft: "Die französische Freundschaft existiert, aber ich würde schon auch sagen: Manchmal ein bisschen mehr auf dem Papier als vielleicht wirklich im praktischen Leben."
80 Prozent ihrer Kunden stammen aus Frankreich, sagt Möch-Hahn. Doch immer weniger Menschen lernen Deutsch, und das macht sich auch am Umsatz bemerkbar. Während die politische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten ausgebaut wird, verkümmert in Frankreich das Interesse am deutschen Nachbarn an der Basis.
Hohe Mieten, wenig Kunden
Hinzu kommt die Pariser Miete, die das Budget Mönch-Hahns weit übersteigt. In der teuersten Stadt Europas zahlt man für den Quadratmeter fast dreimal so viel wie in München. Und dann ist da noch die angespannte politische Lage: "Was neu dazu kam, war diese Gelbwesten-Bewegung. Alle Menschen, die früher am Wochenende gerne nach Paris gefahren sind, die kommen alle nicht mehr. Und das merken hier eigentlich, glaube ich, fast alle Geschäftsleute."
In Paris leben nach Angaben der deutschen Botschaft etwa 60.000 Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mönch-Hahn ist es nicht gelungen, unter ihnen so viele Kunden zu finden, dass es für das Überleben ihres Ladens reicht. Jedes fünfte deutsche Buch wird heute im Internet bestellt. Sogar in einem offenen Brief hat Mönch-Hahn die deutsche Botschaft gebeten, Bücher doch bei ihr zu kaufen. Vergeblich.
Deutschland in Frankreich
Einer der Stammkunden in der Librairie Allemande ist Arnaud Pontvianne. Seine Mutter war Deutsche: "Es war der Tag nach den unheilvollen Attentaten im Bataclan, und als ich die Buchhandlung betrat, war da ein Gefühl des Wohlbefindens. In Deutschland sein, aber in Frankreich."
Allein in den letzten fünf Jahren haben in Paris zwei deutsche Traditionsbuchhandlungen geschlossen - die eine nach 50 Jahren, die andere, "Marissal", nach 34 Jahren. Petra Kringel, die langjährige Leiterin von "Marissal", glaubt nicht daran, dass es in der Stadt einen neuen deutschen Buchladen geben wird: "Frau Mönch-Hahn, die so viel Kompetenzen und so viel Leidenschaft da reingelegt hat: Wenn es selbst da keinen Erfolg gibt, sehe ich niemanden, der das nochmal wagen wird oder wagen kann."
Bücher als Brückenbauer
Dabei hatte die deutsch-französische Freundschaft ausgerechnet in der ersten deutschen Buchhandlung begonnen, die 1947 in Paris eröffnete. Deren Wiener Inhaber Martin Flinker war als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt worden, und so akzeptierte man ihn und sein Geschäft mit deutschen Büchern. In einem Interview auf "France Culture" aus dem Jahr 1985 erinnert er sich:
"Es kam der französische Außenminister Robert Schuman, mit dem ich eng befreundet war, er ist der Vater Europas. Eines Sonntags, ich arbeitete auch am Sonntag, sagt er: 'Monsieur, Sie brauchen einen Spaziergang. Ich vertrete Sie im Geschäft, bis Sie wiederkommen.'"
Einer, der damals in dem bis Mitternacht geöffneten Laden mit dabei war, ist der 91 Jahre alte Georges-Arthur Goldschmidt. Er ist Schriftsteller und hat Handke und Kafka ins Französische übersetzt. Lange vor der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags galt Flinkers Laden als die intellektuelle Botschaft Deutschlands, sagt er. Sowohl den französischen Literaturnobelpreisträger André Gide als auch den deutschen Thomas Mann traf man damals in Flinkers Geschäft an der Seine: "Er war sehr berühmt, auch bei Leuten, die nie bei ihm gewesen sind. Es war 'un original'. Es war eine Figur aus dem Ausland."
Prominenter Schuldner
Goldschmidt bestellte bei Flinker Anfang der 50er-Jahre für die französische Regierung deutsche Schulbücher: "Und manchmal kam ich eben zu ihm rein, und da fing er an: 'Ach, Herr Goldschmidt, sie haben mich immer noch nicht bezahlt!' Und da saß jemand und lachte, ein Herr, und Flinker sagte: 'Ach, das ist ein Kollege von Ihnen, der ist genau wie Sie.' Wir haben uns befreundet, sprachen miteinander. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass dieser Herr Ancel Celan war."
Mit dem Aus für die letzte deutsche Buchhandlung geht in Frankreich eine Ära zu Ende. Paris verliert einen der letzten Orte des gelebten Kulturaustausches zwischen den beiden Nachbarländern Deutschland und Frankreich.