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Aachener Vertrag
"Mein Land first - das ist nicht unsere Botschaft"

Deutschland und Frankreich unterzeichnen heute in Aachen eine Neuauflage des Élysée-Vertrags. "Ein bemerkenswerter Akt", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im Dlf. Der Vertrag wende sich gegen den weltweiten Trend des Nationalismus.

Armin Laschet im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.01.2019
    Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Vizevorsitzender der CDU, aufgenommen bei einem dpa-Interview.
    Armin Laschet (dpa / Michael Kappeler)
    Die Grundbotschaft des Vertrags sei: "Wir bewältigen die großen Probleme zusammen". Laschet bezeichnete das Abkommen als "modernen Vertrag für das 21. Jahrhundert", der sich Themen wie Künstliche Intelligenz, Sicherheitspolitik, Wissenschaft, Forschung, Klimawandel und Digitalisierung annehme. "Das kann in diesen Zeiten kein Land mehr alleine. Je enger die Länder zusammenarbeiten, desto wirkungsvoller können sie sein", sagte Armin Laschet.
    Kritik aus anderen Ländern, Deutschland und Frankreich würden mit dem Vertrag einen Block in der EU bilden, wies der Ministerpräsident zurück. Der Vertrag sei offen für andere Länder. "Deutschland und Frankreich wollen weitergehen - wer mitgehen will, ist herzlich eingeladen".
    Mit Blick auf den Brexit sagte Laschet, es brauche nun eine klare Position Großbritanniens. "Europa muss klar erkennen, was der Wunsch der Briten ist". Die von Theresa May vorgeschlagene bilaterale Lösung der Irland-Frage hält Laschet nicht für möglich. Eine EU-Außengrenze könne nicht durch eine Vereinbarung zwischen zwei Ländern bestimmt werden.
    Für Laschet ist die Lehre aus dem Brexit, dass man in Deutschland an der repräsentativen Demokratie festhalten sollte. Beim Brexit-Referendum hätten die ganzen jetzt disktutieren Details nicht zur Abstimmung gestanden - jetzt sei die Entscheidung aber nicht mehr rückgängig zu machen.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Aus früheren Feinden werden innige Freunde, vor 56 Jahren mit dem Elysee-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich, unterzeichnet von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 22. Januar 1963.
    O-Ton Konrad Adenauer: "Frankreich und Deutschland könnten sich gemeinsam und freundschaftlich den größeren Aufgaben widmen, in Europa und in der Welt."
    O-Ton Charles de Gaulle: "Es lebe Bonn! Es lebe Deutschland! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!"
    22. Januar 1963: Frankreichs Präsident Charles de Gaulle (r.) und Bundeskanzler Konrad Adenauer nach der Unterzeichnung im Élysée-Palast.
    22. Januar 1963: Frankreichs Präsident Charles de Gaulle (r.) und Bundeskanzler Konrad Adenauer nach der Unterzeichnung im Élysée-Palast. (AFP)
    Dobovisek: Inzwischen gelten Berlin und Paris als treibende Motoren Europas, als Garant für Stabilität, gerade in unruhigen Zeiten zwischen Brexit, Populismus und Handelskriegen. Doch jede Freundschaft bedarf von Zeit zu Zeit einer kleinen oder auch größeren Auffrischung, eines Ölwechsels, um im Bild des Motors zu bleiben, und eine solche hatten sich Angela Merkel und Emmanuel Macron versprochen.
    Heute ist es soweit. Am Elysee-Jahrestag wird der Aachener Vertrag feierlich unterzeichnet und beide Länder rücken noch einmal enger zusammen. Darüber habe ich gerade vor ein paar Minuten mit Armin Laschet gesprochen. Er ist Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, CDU-Vize und Bevollmächtigter der Bundesregierung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit. Und ich habe ihn gefragt, wie nahe sich denn Deutschland und Frankreich mit dem Aachener Vertrag jetzt kommen.
    Armin Laschet: Der Aachener Vertrag knüpft ja an einen historischen an von 1963. Damals war es der erste Schritt, die Aussöhnung, die engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, und jetzt ist es ein ganz moderner Vertrag, der die modernen Themen unserer Zeit aufgreift: Künstliche Intelligenz, engere Zusammenarbeit bei der Sicherheitspolitik, der Wissenschaft, der Forschung. Es ist ein Vertrag für das 21. Jahrhundert, und da kommen sich Deutschland und Frankreich sehr, sehr nahe.
    Dobovisek: Warum bedurfte es dafür 56 Jahre?
    Laschet: Na ja. Am Anfang war es der Durchbruch nach dem Zweiten Weltkrieg, die Versöhnung von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Dann hat man begonnen, den Vertrag mit Leben zu füllen, viele Städtepartnerschaften, über 2000 in ganz Deutschland, Hochschulpartnerschaften und Schulpartnerschaften, gemeinsame Sitzungen der Kabinette. Man hat da sehr eng zusammengearbeitet und die Freundschaft ist dann zur Normalität geworden.
    Präsident Macron hat dann in seiner Rede in der Sorbonne angeregt, sollen wir nicht in diesen Zeiten das noch einmal neu fixieren. Das war 2017. Und jetzt ist der Vertrag da. Damit zeigen auch die beiden Länder, wir sind handlungsfähig in einer Zeit, in der vieles überall auf der Welt so mühsam geworden ist.
    "Unsere Botschaft ist: Wir bewältigen die großen Probleme zusammen"
    Dobovisek: Und trotzdem ist es nicht ganz das, was sich Macron versprochen hatte von der deutschen Bundesregierung, gerade mit Blick auf die EU-Reformen. Ist das nur ein Zwischenschritt?
    Laschet: Ja das weiß ich nicht. Der Vertrag hat viele, viele Möglichkeiten. Es ist ja nicht alles jetzt endgültig fixiert, sondern es sind Möglichkeiten, die Zusammenarbeit auszubauen. Ich glaube schon, dass viele Ideen, die er entwickelt hat, auf die auch Deutschland dann reagiert hat, dass die jetzt in diesem Vertrag zu einem Ergebnis kommen, und das in einer Zeit, in der wir die Diskussion im britischen Unterhaus erleben, in der wir den Brexit erleben werden. In einer solchen Zeit zu zeigen, wir können zusammen auch in kurzer Zeit ein wichtiges Dokument erarbeiten, das die Zukunft gestaltet, das halte ich schon für einen bemerkenswerten Akt zwischen zwei Ländern.
    Merkel legt ihren Kopf mit geschlossenen Augen an den Kopf Macrons.
    Wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen: Kanzlerin Angela Merkel (li.) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. (AFP / Philippe Wojazer)
    Dobovisek: Die einen vertiefen ihre Zusammenarbeit ganz deutlich mit Europa im Herzen. Das spricht aus dem Vertrag in fast jeder Zeile. Die anderen wollen Europa verlassen, Großbritannien, Sie haben es angesprochen. Über den Brexit haben wir schon viel gesprochen heute. Stemmt sich der Aachener Vertrag bewusst gegen die Fliehkräfte, die auf Europa wirken?
    Laschet: Das ist so. Er sagt vor allem das Signal: Mein Land first, das ist nicht unsere Botschaft. Unsere Botschaft ist: Wir bewältigen die großen Probleme zusammen. Und dann werden die alle benannt, vom Klimawandel über die Digitalisierung, über die Wissenschaftsentwicklung, und es ist die Grundbotschaft, in diesen Zeiten kann das kein Land mehr alleine, und je enger Länder zusammenarbeiten, desto wirkungsvoller können sie sein. Das ist in der Tat eine Gegenbotschaft zu dem Trend, den wir heute in vielen Teilen der Welt erleben.
    "Im Prinzip ist auch für jeden, der da mitgehen will, die Sache offen"
    Dobovisek: Auf der anderen Seite das große Ganze, die Außen-, Sicherheits-, die Verteidigungspolitik, der gemeinsame Wirtschaftsraum, all das, was auch im Vertrag angesprochen wird. Das schreckt auch andere Partner ab. Italien zum Beispiel; die sehen diese engere Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs mit Sorge, fürchten einen großen Block innerhalb der Europäischen Union aus Frankreich und Deutschland. Wie wollen Sie diese Ängste nehmen?
    Laschet: Der Vertrag ist so formuliert, dass er von Anfang an offen ist für weitere Länder in Europa. Wir haben in Europa eine gemeinsame Rechtsetzung in den 27 Ländern. Da ist genau definiert, auf welchen Themen arbeitet man zusammen, im Binnenmarkt, bei der gemeinsamen Währung und bei vielem anderen. Aber Deutschland und Frankreich will weitergehen. Und wer da mitgehen will, der ist herzlich eingeladen. Niemand ist da ausgeschlossen.
    Aber es kann auch niemand den beiden vorwerfen, dass sie solche mutigen Schritte gehen. Insofern: Die italienische Regierung mag im Moment etwas zurückhaltender in europäischen Fragen sein. Aber im Prinzip ist auch für jeden, der da mitgehen will, die Sache offen.
    Dobovisek: Ein neues Europa, weil das alte nicht mehr funktioniert?
    Laschet: Nein. Ein neues Europa, weil es eine neue Zeit ist und weil man in jede Zeit hinein seine Antworten finden muss. Es gibt heute neue Herausforderungen als vor 50 oder 60 Jahren, als in den Zeiten von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, und darauf gibt der Vertrag eine Antwort.
    Dobovisek: Jetzt hat Premierministerin Theresa May gestern in Großbritannien mehr zu ihrem Plan B für den Brexit gesagt. Sie haben es angesprochen. Auch die großen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, auch in Europa. Reicht Ihnen das, was Sie da gestern aus London gehört haben?
    Laschet: Ich glaube nicht, dass es darum geht, ob es reicht oder nicht reicht. Es ist auch keine Verhandlung, wo der eine nachgibt und man sich dann irgendwie einigt. Sondern Europa muss einmal klar erkennen, was ist denn der Wunsch der Briten. Wenn das mal erkennbar ist, dann kann man auch darauf reagieren.
    Manche in Großbritannien wollen den No Deal Brexit, also ohne Vereinbarung hart aussteigen. Manche wollen mit dem, was an Dokumenten vorlag, was einen geordneten Brexit bedeutet hätte, aussteigen. Theresa May hat jetzt an einer Frage, die eine sehr komplizierte ist, eine ganz neue Konstruktion vorgeschlagen, nämlich eine EU-Außengrenze, die quer durch Irland führen würde, nicht als solche zu betrachten, sondern da bilateral zu verhandeln. Das ist etwas, was ich mir theoretisch nicht vorstellen kann.
    Die britische Premierministerin Theresa May beim Brexit-Sondergipfel
    Die britische Premierministerin Theresa May kämpf um einen Brexit-Vertrag (Imago/Thierry Roge)
    "Im Wahlkampf zum Referendum sind offenkundige Unwahrheiten verkündet worden"
    Dobovisek: Auch praktisch nicht?
    Laschet: Eine EU-Außengrenze ist eine EU-Außengrenze. Sie können auch nicht Griechenland überlassen, dass Griechenland mit der Türkei selbst regelt, wie seine Grenze geregelt ist. Außengrenze ist Außengrenze und das ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, wo nicht ein einzelner Mitgliedsstaat entscheiden kann, wie denn diese Außengrenze gesichert wird, wie die Warenverkehre stattfinden.
    Die Zollfrage ist überhaupt nicht beantwortet. Da ist zu viel offen, als dass Europa darauf antworten könnte. Und sie hat auch noch nicht die Mehrheit dafür. Das ist ja jetzt das, was zunächst mal wiederum dem britischen Parlament vorliegen wird, und deshalb finde ich, man muss das abwarten. Man sollte alles tun, was einen Verbleib der Briten möglich macht, aber entscheiden muss im Moment Großbritannien selbst: Was wollen wir. Dann kann Europa reagieren.
    Dobovisek: Der Brexit fußt ja auf einem Referendum, einer Volksbefragung, und selbst wenn der eine oder andere britische Politiker inzwischen sagt, lasst uns den Brexit einfach absagen, das ist alles zu kompliziert, zu schmerzhaft, die Hürde eines zweiten Referendums ist hoch. Was sagt uns das über direkte Demokratie in der Politik?
    Laschet: Für mich ist die Lehre aus alledem, was wir rund um dieses Referendum erlebt haben, dass wir an unserem deutschen Grundgesetz, an unserer Verfassung und Ordnung, an der repräsentativen Demokratie festhalten sollten. In diesem Wahlkampf zum Referendum sind offenkundige Unwahrheiten verkündet worden, die bereits am Tag nach der Wahl dann eingestanden wurden, aber dann hatte das Volk gesprochen. Das ist das Problem bei Referenden, die vor allem mit einer Ja-Nein-Frage verbunden sind.
    Alle diese Details, um die wir jetzt ringen, hat das Volk natürlich bei seiner Entscheidung gar nicht kennen können, weil sie gar nicht Diskussionsgegenstand in diesem Referendum waren. Wenn die Politik eine falsche Entscheidung fällt, kann ein Parlament die wieder korrigieren. Wenn eine Regierung vor der Wahl etwas Falsches verspricht, kann man sie beim nächsten Mal abwählen. Aber ein Referendum zu korrigieren, ist extrem schwierig, wie wir in diesen Tagen sehen, und deshalb finde ich, gerade im 70. Jahr des Bonner Grundgesetzes, unserer Verfassung sollten wir an unserem Prinzip der parlamentarischen Demokratie festhalten.
    Dobovisek: Armin Laschet von der CDU, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Laschet: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.