Archiv


Deutsch-französische Karriereplanung

Seit 2000 bieten die Hochschulen Compiègne in Frankreich und die Technische Universität Braunschweig in Deutschland einen binationalen Studiengang an. Ohne Verlängerung der Studienzeit können die Teilnehmer ein vollwertiges französisches und deutsches Ingenieurdiplom erwerben. Doch es werden hohe Anforderungen gestellt. Bettina Kaps berichtet.

    Compiègne, eine Kleinstadt in der Picardie: eine Durchgangsstraße, zahlreiche Verkehrskreisel, kleine Häuser, weite Rasenflächen, und dann, von weitem sichtbar wie ein Wahrzeichen, zwei nackte Betonklötze, links und rechts neben die Straße gesetzt. Das ist die technische Hochschule der Stadt, eine der besten in Frankreich.

    Junge Menschen mit Rucksäcken strömen in das graue Gebäude, treten die zitronengelbe Fußbodenfarbe ab. Mitten im Pulk ein schlanker Mann mit einer Spur Gel im kurzen blonden Haar. Daniel Neuling, 23 Jahre alt, ist Deutscher, er kommt von der Technischen Universität Braunschweig. Seit dem Wintersemester studiert er in Compiègne. Sein Ziel: neben dem deutschen auch das französische Diplom zu erlangen. Der angehende Wirtschaftsingenieur betritt ein Büro mit der Aufschrift Double Diplôme und setzt sich zu einer Kommilitonin an einen runden Kaffeehaustisch. Veronique Desplantes brütet über den Formularen für das Doppeldiplom.

    Daniel: "Tu fais à Braunschweig chemische Verfahrenstechnik?"

    Veronique: "Ich versuche gerade, mit den Leistungspunkten klarzukommen, es ist ziemlich kompliziert, die entsprechenden Seminare an der TU Braunschweig zu finden"

    Daniel: "Das ist sogar für die deutschen Studenten schwierig. Es gibt viele Regeln, wie immer in Deutschland."

    Veronique, rote Backen, silberne Ohrringe, schwarze Samthose. Die 20-Jährige studiert im dritten Jahr Maschinenbau und will im Herbst für 18 Monate nach Braunschweig wechseln.

    "Zuerst wollte ich nach England oder Kanada gehen. Aber dann habe ich Deutschland gewählt, weil ich bei diesem Programm zwei Diplome bekomme. Kenntnisse in Französisch und Deutsch, das ist ziemlich selten. Außerdem ist da die kulturelle Dimension. Ich denke, die Firmen brauchen solche Leute. Das kann nur ein Plus sein."

    Veronique rechnet fest damit, dass sie die Zusage erhält, denn der Andrang ist gering. In beiden Universitäten sind jedes Jahr zehn Plätze zu vergeben. Doch mehr als acht Studenten haben sich noch nie beworben. Das liegt an dem großen Arbeitsaufwand, sagt Daniel. Schließlich müssen die Ausländer haargenau die gleichen Leistungen wie die einheimischen Studienkollegen erbringen.

    "Sicherlich, die ersten Monate hier waren schwierig. Aber darauf war ich vorbereitet. Es hat mich an meine Grenzen gebracht, aber dafür geht man ja auch weg."

    Für Daniel war es besonders schwer, weil er erst nach dem Abitur Französisch gelernt hat. Dennoch hat er

    "die französischen Klausuren bestanden, und zwar alle."

    Veronique gibt ihre Bewerbung ab. Daniel geht zum Mittagessen in die Cafeteria. An der Theke trifft er einen schlaksigen Kerl mit dunkelblondem Lockenschopf. Quentin Jeanneteau ist gerade aus Deutschland zurückgekehrt ist.

    "Seltsam. Frankreich und Deutschland sind Nachbarn. Und dennoch ist die Kultur ganz anders. Ich finde es absolut spannend, dass es so viele Unterschiede gibt."

    Gespürt hat er das vor allem bei der Gruppenarbeit. Daniel nickt bestätigend.

    Quentin: "Unsere Gruppe hatte mündliche Prüfung, und niemand hatte vorher kontrolliert, was ich erarbeitet hatte. Vielleicht vertrauen sich die Deutschen mehr und setzen voraus, dass der andere gute Arbeit geleistet hat."

    Daniel: "Wenn ich in einer Gruppe arbeite, dann bin ich für eine bestimmte Aufgabe der Spezialist. Ihr Franzosen arbeitet alle zusammen an allen Teilbereichen. Dadurch seid ihr bestimmt kreativer, außerdem kontrolliert ihr euch gegenseitig, aber ihr seid nicht effizient. Das nervt mich manchmal."

    Zu den Pflichtvorlesungen für die Studenten des Doppeldiploms gehört daher auch "Interkulturelle Kommunikation". Daniel und Quentin streben beide eine Karriere in der internationalen Wirtschaft an. Und da, davon sind sie überzeugt, funktioniert es nur, wenn man mit der Arbeitsweise des anderen vertraut ist.

    Daniel bricht auf, seine Übung beginnt. "Kreisprozesse von Flugtriebwerken" steht auf dem Stundenplan, auf Französisch natürlich. Bevor er den Klassenraum betritt, dreht er sich um, zieht die Augenbrauen hoch, grinst:

    "Tja, ich habe keine Angst vor Arbeitslosigkeit, in keiner Weise."


    Programmtipp: "Erinnern und Versöhnen - Deutsch-französische Begegnungen", Gesichter Europas am 24. März 2007, 11.05 Uhr im Deutschlandfunk.