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Deutsch-griechische Erinnerungskultur
Lechovo setzt auf Versöhnung

In über 100 griechischen Dörfern wütete Hitlers Wehrmacht zu Zeiten der Besatzung - das Schicksal der Dorfbewohner ist weitgehend unbekannt. Im nordgriechischen Dorf Lechovo hat sich ein Kulturverein für einen besonderen Umgang mit der Geschichte entschieden. Fernab von Hass und Schuldzuweisungen lädt das Dorf Deutsche ein, den Krieg gemeinsam aufzuarbeiten.

Von Florian Schmitz | 22.05.2016
    Ein Helm und ein Maschinengewehr aus der Zeit der deutschen Besatzung liegen an der Gedenkstätte im Park Skopeftirioin in Athen.
    Zeichen der Erinnerung: Ein Helm und ein Maschinengewehr aus der Zeit der deutschen Besatzung liegen an der Gedenkstätte im Park Skopeftirio in Athen. (dpa/picture alliance/Orestis Panagiotou)
    In den nordgriechischen Bergen liegt Lechovo. Weitab vom Massentourismus. Kleine, malerische Straßen aus Naturstein führen über die steilen Hänge. Aus den Häusern zieht der Duft von Kaminfeuer. Aus kleinen Quellen fließt frisches Bergwasser. Noch erinnert wenig an Lechovos grausame Vergangenheit unter der deutschen Besatzung.. Nun sollen um Lechovo herum Naturlehrpfade entstehen mit Informationstafeln für Touristen, sagt Vangelis Stefanidis, Vorsitzender des Kulturvereins Lechovo.
    Wir errichten Friedens- und Gedenkpfade, die durch die wunderschöne Natur um unser Dorf führen. Lechovo soll ein Friedensdorf werden, wo Menschen hinkommen, um über die Geschichte der Opferorte zu lernen und gemeinsam als Griechen und Deutsche über die Pfade einem vereinten Europa entgegen wandern.
    Dorf ohne Jugend
    Dabei geht es um mehr als Erinnerungskultur. Viele Häuser in Lechovo stehen leer. Die meisten Einwohner sind alt. Lechovo liegt in einer strukturschwachen Region. 70 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Die meisten gehen nach Thessaloniki oder Athen oder verlassen Griechenland ganz. Im Winter sei das Dorf inzwischen beinahe ausgestorben, berichtet eine alte Frau, die den Krieg als junges Mädchen miterlebte. Freundlich lädt sie mich ein in ihre Küche, kocht Kaffee und erzählt in aller Freundlichkeit, wie deutsche Soldaten damals in Lechovo einfielen.
    "Drei Tage brannte das Dorf. Sie kamen morgens und gingen bei Sonnenuntergang. Wir hatten uns unterhalb des Dorfes versteckt. Als es aufhörte zu brennen, kehrten wir zurück. Mit bis zu fünf Familien wohnten wir dann in den wenigen Häusern, die nicht abgebrannt waren."
    Noch härter traf es die umliegenden Dörfer. Massenerschießungen, Flüsse und Wege gesäumt von Leichen. Die Gedenktafeln in den Dörfern tragen die Namen der vielen Hundert Opfer. In Deutschland, dem Land der Täter, ist das Schicksal der griechischen Dorfbewohner weitgehend unbekannt. Eine Konferenz in Lechovo unter dem Motto Erinnerung und Bildung soll das ändern, sagt Babis Karpouchtsís, der die Konferenz für den Kulturverein organisiert hat.
    "Die Konferenz in Lechovo soll den Grundstein legen für eine Zusammenarbeit der deutschen und griechischen Zivilgesellschaft. (..) "Ein Volk ohne Erinnerung ist ein Volk ohne Zukunft." (..) Und die gemeinsame Geschichte muss aufgearbeitet werden, damit eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden kann."
    Deutsche wissen nur wenig über Verbrechen in Griechenland
    Dass viele Deutsche bislang nichts über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland wissen, ist auch für Thomas Lutz von der Berliner Stiftung Topographie des Terrors nur schwer zu verstehen.
    "Man sieht, dass in den KZ-Gedenkstätten die bekannten Namen der griechischen Insassen bei ein paar Prozent liegt. Man sieht, dass bei der Stiftung EVZ, die zu spät aber immerhin auch Zwangsarbeiterentschädigungen macht ja, nicht einmal 2000 Menschen anspruchsberechtigt waren aus Griechenland."
    Vor allem Jugend- und Begegnungsprojekte versuchen die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten. Eine Gesamtschule aus Niedersachsen hat zum Beispiel im Austausch mit einer Schule aus der Nähe von Lechovo Gedenktafeln aus Ton angefertigt. Gemeinsam haben die Schüler diese nach Griechenland gebracht und aufgestellt. Zusätzlich wird ein Wald aus 600 Bäumen gepflanzt, der die Opfer symbolisch weiterleben lassen soll. So entstehen Freundschaften, die stärker sein sollen als alle vorherrschenden Konflikte. So sieht das auch Stella. Sie ist 40 Jahre alt, geboren in Berlin und vor sieben Jahren in das Dorf ihrer Eltern gezogen.
    Neue Chance durch Tourismus
    "Ich erhoffe mir, dass durch den Tourismus (..) die Verbindung zwischen den Deutschen und den Griechen besser wird. Und dass die Jugendlichen das dann (..) weitergeben und dass es dann nicht mehr so viele Konflikte zwischen den Deutschen und den Griechen gibt, auch nicht wegen der Krise."
    Denn gerade die nicht enden wollende Wirtschaftskrise erschüttert die damals zerstörten Dörfer erneut. Die Beziehung zwischen Deutschland und Griechenland ist an einem Tiefpunkt. Dennoch setzen Dörfer wie Lechovo auf eine gemeinsame Zukunft. Dabei erinnern sie an die Grundidee eines vereinten Europas: Frieden und Wohlstand für alle.