Donnerstag, 28. März 2024

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Deutsch in Migrantenfamilien
"Kinder müssen gute sprachliche Vorbilder haben"

Kinder könnten wunderbar mit mehreren Sprachen aufwachsen. Deshalb sollten Eltern "einfach nur mit Genuss und Freude" mit ihrem Nachwuchs in einer Sprache kommunizieren, die sie gut beherrschten, sagte Rosemarie Tracy, Professorin für Linguistik an der Universität Mannheim, im DLF. Zum Deutschlernen sei es gut, wenn Kinder früh in die Kita kämen.

Rosemarie Tracy im Gespräch mit Manfred Götzke | 09.12.2014
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    "Ich halte es für sehr gut, wenn Kinder früh in die Kita kommen", sagte Rosemarie Tracy. (Uli Deck/dpa)
    Manfred Götzke: Die CSU erntet durch die Bank Hohn und Spott, seit sie Migranten Folgendes vorschreiben wollte: Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen. Gestern Abend hat die CSU auf die Kritik reagiert, fühlt sich missverstanden und will jetzt "Migranten motivieren, im Alltag Deutsch zu sprechen". Rosemarie Tracy ist Professorin für Linguistik an der Universität in Mannheim. Frau Tracy, was halten Sie von dem neuen Vorschlag der CSU? "Motivieren", das klingt doch erst mal ganz gut?
    Rosemarie Tracy: Man hat ja eigentlich nur einen Euphemismus gefunden, um das Ganze etwas aus der Konfliktzone zu nehmen. Natürlich wollen wir in Europa Menschen zum Sprachenlernen motivieren. Europa möchte dreisprachige Bürgerinnen und Bürger, und wir möchten Leute dazu motivieren, sich neben ihren Erstsprachen andere Sprachen anzueignen. Aber dahinter steckt ja jetzt irgendwie doch noch eine andere Botschaft.
    Götzke: Welche?
    Tracy: Hier will man also angebliche Integrationsverweigerer dazu zwingen, über die Sprache dann eben einen Schritt hin in die Gesellschaft zu machen. Aber man vergisst dabei, dass die Bedingungen für die Integration oder für die Kommunikation natürlich vorhanden sein müssen. Wer gute Kontakte zu seinen Nachbarn hat, das können Nachbarn aus anderen Erstsprachen sein, mit denen man dann eben auch Deutsch kommunizieren muss, also das Deutsch wird zur Lingua Franca in diesem Fall. Oder das können auch ganz andere Leute sein. Aber man muss eben ein Szenario finden, das die Leute zur Kommunikation anregt.
    "Das ist für ihre eigene Emanzipation wichtig"
    Götzke: Wie könnte denn die Politik Migranten und deren Kinder motivieren, besser und mehr Deutsch zu sprechen? Vielleicht auch mit besseren Deutschkursen?
    Tracy: Ja, Deutschkurse wären natürlich eine Möglichkeit. Ich denke, die Eltern, oder ich denke, Zuwanderer sollten generell sich bemühen, die Sprachen ihrer Umgebung zu lernen, das ist für ihre eigene Emanzipation wichtig, aber - und jetzt kommt das große Aber -, wenn man sich davon verspricht, dass die Kinder dadurch von den Eltern Deutsch lernen und dass man dadurch natürlich auch Einsparmöglichkeiten sieht an sonstigen Unterstützungsmaßnahmen, die die Bildungspolitik eigentlich liefern müsste, also für die Kinder liefern müsste, dann ist man auf dem Holzweg. Die Kinder müssen gute sprachliche Vorbilder haben.
    Götzke: Was sollten türkische, russische, französische Eltern denn beachten, wenn sie mit ihren Kindern zu Hause ihre Muttersprache sprechen und nicht Deutsch?
    Tracy: Einfach nur mit Genuss und Freude kommunizieren. Darauf hinhorchen, was die Kinder eigentlich sagen. Kinder sagen ja unheimlich interessante und spannende und lustige Sachen. Und die aufgreift. Man kann ihnen vorlesen, man kann damit viel für die Bildungsbereitschaft der Kinder im Allgemeinen tun. Man kann ihnen helfen, ihr Weltwissen zu erweitern. Also viel, intensiv und mit Genuss mit Kindern kommunizieren, und zwar in den Sprachen, die man gut beherrscht.
    "Kein Problem, Kinder von Geburt an zweisprachig aufwachsen zu lassen"
    Götzke: Aber können Kinder, die in der Kita Deutsch und zu Hause dann nur Türkisch, Französisch oder auch Tschechisch sprechen, genauso gut und schnell Deutsch lernen wie Kinder, die erst mal nur in einer Sprache erzogen werden, in einer Sprache aufwachsen?
    Tracy: Kinder können wunderbar, von Geburt an, mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Das sehen Sie ja bei dem sogenannten doppelten Erstspracherwerb. Wenn die Mutter Französisch spricht und der Vater Türkisch oder Deutsch. Also es gibt überhaupt kein Problem, Kinder von Geburt an zweisprachig aufwachsen zu lassen. Man darf nur nicht erwarten, dass sie dann automatisch in allen Sprachen das Gleiche können. Das hat mit der Erfahrung zu tun.
    Götzke: In Berlin gilt ab dem nächsten Schuljahr eine Kita-Pflicht für Kinder, die beim verpflichtenden Deutsch-Test schlecht abschneiden. Ist das ein guter Weg, Eltern und Kinder zu motivieren, Deutsch zu lernen, Deutsch zu sprechen?
    Tracy: Ich halte es für sehr gut, wenn Kinder früh in die Kita kommen oder auch in die Krippe. Und da kann man natürlich darüber nachdenken, wie man die Eltern dazu bringen kann, das zu tun. Für die Kinder ist es sicherlich wichtig, früh in Kontakt mit dem Deutschen zu kommen, und ich denke auch, dass die Eltern inzwischen selbst eigentlich sehen, wie wichtig das für die Kinder ist. Wir müssen nicht immer so tun, als müssten wir da die Eltern tatsächlich zwangsverpflichten.
    Götzke: In der Schule, im Studium, im Beruf ist Mehrsprachigkeit eine Forderung, eine Selbstverständlichkeit, Sie haben das ja vorhin auch schon erläutert. Wie erklären Sie sich, dass nicht nur von der CSU, sondern auch aus anderen Ecken es immer wieder als Manko angesehen wird, wenn türkischstämmige Eltern mit ihren Kindern zu Hause türkisch sprechen?
    Tracy: Ja, das ist reiner Dogmatismus, nicht? Oder Ideologie. Dass man Angst hat, dass da der Kopf nicht doch vielleicht ein Eimer ist - wenn der voll ist, dann kommt nichts anderes mehr rein. Aber das ist natürlich alles Unsinn. Wir haben doch auch keine Angst davor, dass, wenn unsere Kinder Latein lernen oder Biologie oder Mathe, dass dann ihr Deutsch darunter leidet.
    Götzke: Sagt Rosemarie Tracy, Linguistin an der Universität Mannheim.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.