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Deutsch-israelische Abgeklärtheit

Ein deutsch-israelischer Autorenaustausch. Acht vorwiegend junge Schriftsteller und Dramatiker haben sich auf die Reise begeben, um ein szenisches Auftragswerk fertig zu stellen. Gefragt war ein "Reality Check", so der Titel der gestrigen Uraufführung in Düsseldorf.

Von Tanja Lieske | 28.02.2011
    Eine Realitätsprüfung also, die den Stand der deutsch-israelischen Beziehungen genauso umfasst wie eine Inventur der Erinnerung. Das ist ein weites Feld, und entsprechend disparat ist das Ergebnis. Realistische und allegorische Szenen sind dabei, Sprech- und Körpertheater, Klamauk, Slapstick und bemühter Ernst.

    Fast alle Autoren haben die Reise wörtlich genommen, senden auch in ihren Stücken Figuren in das jeweils andere Land. Dort finden und brechen sie Klischees, schultern ganz wörtlich die Last der Erinnerung, denn noch immer steht der Holocaust im Vordergrund des Bemühens um Verständigung. In dem zweiten Stück "Tikun" liebt der junge Israeli Daniel (gespielt von Gunther Eckes) die deutsche Anna. Früher hat Daniel sich immer als einen Israeli bezeichnet, jetzt nennt er sich: "Jude". Denn: die kollektiven Bilder sind stärker als das persönliche Erleben.

    "Mir wurde so viel eingetrichtert, so viele wahnsinnige Geschichten. Ich habe früher immer gedacht, die Überlebenden veranstalten einen Wettbewerb darüber, wer die abgefahrensten Geschichten ausdenken kann! Dann fängt man an, man sieht Filme mit Zeitzeugen und Überlebenden, erste Generation, zweite Generation, dritte Generation, und dann Gedenkminuten, Alarmsirenen Theaterstücke, Anne Frank. Jedes Jahr eine Gedenkzeremonie und Streichholzmenschen und Zebrakleidung. Diese ewige Frage nach der Wiedergutmachung, soll man das Geld nehmen, soll man es nicht nehmen. Steven Spielberg!"

    Anna, gespielt von der ausdrucksstarken Natalia Belitski, hält dagegen, dass es möglich sei, die gelieferten Bilder durch persönliche, private zu ersetzen. Eine Anleitung also wie die Paarbeziehung gelingen kann. So weit wie Yariv Gottlieb, ein 63er Jahrgang und damit der älteste der versammelten Dramatiker, hat sich sonst niemand aus dem Fenster gelehnt. Meist bleibt es bei der Bestandsaufnahme, und hier ist Ratlosigkeit spürbar. Längst ist aus dem Erinnern das erinnerte Erinnern geworden, und aus der Schuld der Diskurs über die Schuld. Abgeklärtheit ist mit im Spiel, man kennt die fremden Komplexe genau so gut wie eigenen.

    Entsprechend kopflastig kommt das Meiste daher, mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Der 1977 geborenen israelischen Dramatikerin Noa Kenan-Lazar ist mit "Das Gedenk-Schauspiel" ein kleiner Coup gelungen. Darin probt ein israelischer Regisseur mit zwei Schauspielern unter Zeitdruck. Sein Stück, eine Improvisation, soll fertig werden, denn gleich beginnt eine Gedenkzeremonie zum Holocaust in Berlin. Alles geht schief, nichts passt, und als sich das reale Publikum schon die Seiten hält, gibt es eine letzte, unerwartete Brechung. Davon hätte man gerne mehr gesehen. Überhaupt waren die Beiträge der israelischen Autoren interessanter, man traut sich mehr auf dieser Seite des Geschehens.

    Insgesamt war es ein Abend der Schauspieler. Ein spielfreudiges Ensemble ist mit jeder Menge Körpereinsatz unterwegs und gleicht so manche Textunebenheit aus. Gespielt wird in Tuchfühlung mit dem Publikum auf einer etwas tiefer gelegenen Bühne. Für die hat Jan Alexander Schroeder kleine Podeste entworfen, die durch Lichtstimmungen in Spielinseln verwandelt werden können. Auf den Podesten stehen Stühle, die aufklappbar sind und als Requisitenkammer dienen. Rollen und Kostüme werden coram publico gewechselt. Auf der Suche nach einer Ästhetik und Dynamik, die die sehr unterschiedlichen Miniatur-Stücke verbindet, hat die junge Regisseurin Kerstin Krug beim epischen Theater Anleihe genommen. Das schafft Tempo und Distanz. Eine intelligente Inszenierung also, und für die gab es am Ende freundlichen Applaus.