Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Deutsch-ungarische Wirtschaftsbeziehungen
Sondersteuern für Telekom & Co

Bei Angela Merkels Besuch in Ungarn dürfte es auch um deutsche Wirtschaftsinteressen gehen. Denn die Regierung Orban hat in den vergangenen Jahren gleich mehrfach Sondersteuern eingeführt, um ihren Haushalt zu stützen. Steuern, die in der Regel einseitig ausländische Konzerne getroffen haben.

Von Michael Braun | 02.02.2015
    Die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarns.
    Die Deutsche Telekom, Banken, Handelsketten und das Medienunternehmen RTL klagen über hohe Sondersteuern für ihre ungarischen Töchter. (Die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarns. )
    Der Aufschwung begann gleich, nachdem Ungarn den Eisernen Vorhang aufgeschnitten hatte und sich Trabbi-Kolonnen in den Westen wälzten. Seitdem hat sich Deutschland mit großem Abstand zum wichtigsten Außenhandelspartner Ungarns entwickelt. Antje Praefcke, für die Schwellenländer zuständige Analystin der Commerzbank:
    "Die Einfuhren aus Deutschland nach Ungarn sind im gesamtungarischen Einfuhrbereich bei rund 26 Prozent anzulegen. Ein Viertel. Und genauso viel geht dann auch wieder von Ungarn zurück nach Deutschland. Das ist auf den ungarischen Außenhandel bezogen. Das heißt: Für Ungarn ist Deutschland ein sehr, sehr wichtiger Partner. Aber natürlich auch insbesondere für die deutsche Autoindustrie Ungarn für Deutschland."
    Auf die EU entfallen rund drei Viertel des ungarischen Außenhandels. Vor allem Österreich spielt dabei eine größere Rolle, auch aus historischen Gründen. Russland nimmt mit einem Anteil von 6,9 Prozent Rang zwei bei den Lieferländern ein. Es verkauft in erster Linie Öl und Gas nach Ungarn.
    Audi baut Motoren in Ungarn
    Vor allem die Autoindustrie hat das Land schnell nach der Grenzöffnung entdeckt. Audi etwa hat 1992 entschieden, all seine Motoren in Ungarn zu fertigen. Die Mitarbeiter dort seien qualifiziert, motiviert, flexibel einsetzbar und die Personalkosten lägen pro Stunde nur bei zwölf Prozent des deutschen Niveaus, erklärte der frühere Personalvorstand von Audi, Werner Widuckel, die Entscheidung. Das mache die Autos preislich wettbewerbsfähiger. Und das habe allen Standorten genutzt, selbst wenn Audi in Deutschland nun keine Motoren mehr baue:
    "Es ist zwar ein Fertigungsbereich weggefallen, nämlich die Motorenfertigung, die vorher in Ingolstadt angesiedelt war. Es sind aber keine Arbeitsplätze weggefallen, weil wir durch die Optimierung der Kostenstrukturen bei den Motoren gleichzeitig auch die Preisposition bei den Fahrzeugen verbessert haben. Und dies wiederum hat ermöglicht, dass wir unsere Produktion von Fahrzeugen seit 92 mehr als verdoppelt haben. Und das hat dazu geführt, dass sowohl in Ungarn als auch an den deutschen Standorten Deutschland Ingolstadt und Neckarsulm die Arbeitsplätze gewachsen sind."
    Tendenz steigend. Vor knapp zwei Jahren hat Audi sein ungarisches Werk vergrößert, baut dort nicht mehr nur Motoren, sondern fertigt seitdem ein Modell komplett dort, und zwar den A3. Auch Daimler, Opel und Suzuki sind in Ungarn engagiert.
    Internationale Einzelhandelsketten fühlen sich bedrängt
    Die Wirtschaft beobachte aber mit Befremden, dass die ungarische Regierung gemeinsame Werte nicht beachte, sagt Commerzbankerin Antje Praefcke:
    "Eine Steuer beispielsweise eben auf die Internetbenutzung – das wäre genauso wie eine Sondersteuer beispielsweise auf Radio oder auf Fernsehen. Und das entspricht auch nicht wirklich dem Gedanken der EU, dem Freiheitsgedanken, dem freien Meinungs- und Informationsaustausch. Insofern ist es wahrscheinlich weniger ein direkt wirtschaftlicher Einfluss als vielmehr eine generelle Einstellungsfrage, die da diskutiert wird."
    Sie hat auch eine wirtschaftliche Seite: Die Deutsche Telekom, Banken, Handelsketten und das Medienunternehmen RTL klagen über hohe Sondersteuern für ihre ungarischen Töchter.
    Aktuell fühlen sich vor allem internationale Einzelhandelsketten in Ungarn bedrängt. Ein Paket von Rechtsverordnungen scheint nichts mit Marktwirtschaft, dafür viel mit dem Ziel zu tun zu haben, Einzelhandelsunternehmen in ungarischen Händen zu stärken. Einzelhändler dürfen von Mitte März an sonntags nicht mehr öffnen. Sind sie aber zu mindestens einem Fünftel in Familienbesitz und weisen sie höchstens 200 Quadratmeter Verkaufsfläche auf, gilt das Verbot nicht. In der Umgebung von Unesco-Weltkulturerbestätten, die sich vor allem in der Hauptstadt Budapest befinden, dürfen seit Jahresanfang keine Supermärkte eröffnen. Bestehende Märkte müssen bis Ende 2017 geschlossen werden. Die britische Tesco will 13 Geschäfte schließen. Spar durchforstet sein Filialnetz.