Donnerstag, 25. April 2024

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Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Frühjahrstagung unter dem Motto "Leben auf der Grenze"

Die Frühjahrstagung der Akademie für Sprache und Dichtung fand an der polnischen Grenze statt. Nicht zufällig, wie ihr Präsident Heinrich Detering im DLF sagte. Man habe in den letzten Jahre die Öffnung nach Osten vorangetrieben. Insofern sei auch die Wahl von Preisträgerinnen aus Serbien und einer deutschen Übersetzerin aus dem Ukrainischen eine sehr bewusste Entscheidung gewesen.

Heinrich Detering im Gespräch mit Beatrix Novy | 25.05.2014
    Historische Ausgaben und ein Porträt des Schriftstellers Heinrich von Kleist stehen am 16.10.2013 im Neubau des Kleist-Museums in Frankfurt (Oder) (Brandenburg).
    Die Akademie für Sprache und Dichtung stellte Heinrich von Kleist als einen Kronzeugen der Grenzgängerei vor. ( Patrick Pleul / dpa)
    Beatrix Novy: Zwischen dem polnischen Slubice und dem deutschen Frankfurt liegt nur die Oder und eine Grenze. Da sind wir also an einem dieser Schnittpunkte, von denen es in Europa so viele gibt, wo politische Grenzziehungen alte Gemeinsamkeiten durchschnitten haben, oder besser könnte man sagen, das gelebt werden von Unterschieden unterbunden haben mittels nationaler Identitätskonstruktion. Die Idee hat im 20. Jahrhundert genug Unheil angerichtet und wirkt immer noch fort, wie wir wissen. Die Akademie für Sprache und Dichtung hielt ihre diesjährige Frühjahrstagung an der polnischen Grenze ab, nannte sie sogar "Leben auf der Grenze". So könnte man es auch besser sagen, das ist der Titel. Sie hat dabei den Dichter Heinrich von Kleist als einen Kronzeugen der Grenzgängerei vorgestellt.
    Heinrich Detering, Präsident der Akademie, erklärt nun, worum es ging und geht.
    Heinrich Detering: Wir sind ja nach Frankfurt und Slubice gegangen, um in der Kontinuität der Akademiearbeit der letzten Jahre unsere Öffnung zu den Nachbarn im Osten weiter zu intensivieren, und wir haben diesen Ort nun gerade gewählt, weil wir das Wochenende der Europawahl haben, weil vor zehn Jahren Polen Mitglied der Europäischen Union geworden ist und weil im Unterschied zu unseren Besuchen in Ungarn oder der Ukraine dieser Ort ein Labsal ist, eine Seelenstärkung an gedeihlicher und intensiver und nicht nur auf dem Papier stehender Zusammenarbeit. Dass Kleist dabei eine Rolle spielen würde, lag zunächst einfach am Zufall seiner Geburt in Frankfurt an der Oder. Beim zweiten Nachdenken kamen wir auf die Idee, dass unter den großen deutschen Dichtern eigentlich keiner so sehr ein Denker der Grenze gewesen ist wie Kleist, und zwar im doppelten Sinne. Einerseits hat niemand Oppositionsverhältnisse von Schwarz oder Weiß, Mann oder Frau, Preuße oder Franzose und so weiter so auf die Spitze getrieben wie er, und andererseits hat kein Dichter dann die von ihm selbst erzeugten Binaritäten wieder so unterlaufen wie er und sich immerfort mit Figuren des Dritten, der Vermittlung, der Auflösung von Grenzen beschäftigt.
    Novy: Ließe sich das zum Beispiel an Prinz von Homburg klarlegen?
    Detering: Es ließe sich darlegen am Beispiel einer Novelle wie "Die Verlobung in St. Domingo", wo wir es mit einem Rassenkrieg zwischen Schwarz und Weiß zu tun haben, wo die Hautfarbe über Leben und Tod entscheidet, die Heldin dieser Novelle aber ein Mischlingsmädchen ist, das weder schwarz, noch weiß, noch beides ist.
    Novy: Sie beschäftigten sich dann auch mit der Viadrina unter dem Namen "Das doppelte Unikum".
    Detering: Da haben uns Lehrende, aber auch – das war besonders schön – Studierende der Viadrina vorgeführt, wie das deutsch-polnische Zusammenleben, Zusammenstudieren an dieser Universität ganz praktisch funktioniert, haben auch Schwierigkeiten des Alltags nicht verschwiegen, aber haben auch schon durch die Art, wie sie gesprochen haben, miteinander und zu uns, gezeigt, wie gut und wie freundlich und neugierig diese Partnerschaft zweier Städte, Slubice und Frankfurt, funktioniert.
    Intensivierung der Beziehungen zu Ostmittel- und Südosteuropa
    Novy: Ich denke, dass die ganze Veranstaltung natürlich auch im Schatten der Ereignisse in der Ukraine stattgefunden hat.
    Detering: Ja.
    Novy: Und dass nun zufällig oder auch nicht zufällig dabei auch die Preisverleihung eine Rolle spielte, denn da wird ja auch eine Übersetzerin aus dem Ukrainischen geehrt.
    Detering: Die Deutsche Akademie hat sich sehr intensiv darum bemüht in den letzten Jahren, die Beziehungen zu Ostmitteleuropa und zu Südosteuropa zu intensivieren. Insofern war die Wahl von Preisträgerinnen aus Serbien und einer deutschen Übersetzerin aus dem Ukrainischen schon eine sehr bewusste Entscheidung. Wir haben nicht geahnt, dass unter diesen aktuellen Umständen diese Preisverleihung so unmittelbar zum Tagungsthema passen würde. Schon die Veranstaltung zuvor, auf polnischer Seite im Collegium Polonicum abgehalten, führte zu außerordentlich hitzigen und kontroversen Diskussionen zwischen Polen und Deutschen – und zwar quer durch die nationale Zugehörigkeit – über die Entwicklungen in der Ukraine und wie man sie beurteilen sollte. Einige ukrainische Akteure wie Jurij Andruchowytsch sind ja auch Mitglieder unserer Akademie. Und die Preisverleihung, die sich eigentlich nur dem Programm nach anschloss an diese lebhafte Nachmittagsdebatte, setzte eigentlich diese Debatte auf einer anderen Ebene fort. Es war die Rede von der jüngsten Geschichte zwischen Serben und Kroaten und es war die Rede von den Entwicklungen in der Ukraine in einer an vielen überraschenden Einsichten und Perspektiven reichen Veranstaltung.
    Novy: Wenn Sie sagen, Kontroversen, wo verliefen denn da die Konfliktlinien?
    Detering: Das erste Interessante an dieser Nachmittagsveranstaltung war die Einsicht, dass die Konfliktlinien sich nicht so einfach zwischen den vertrauten Lagern von, sagen wir, rechts und links oder nationalistisch versus internationalistisch fassen lassen, sondern dass sie quer durch diese traditionellen Lager gingen. Es gibt einerseits wie ja auch in der deutschen Debatte sonst eine Menge von Leuten, die der Ansicht sind, dass die russischen Positionen zumindest verstanden werden müssen, und solche, die sagen, die russische Regierung, so wie sie jetzt ist, steht sowohl nach innen wie auch nach außen für repressive, autoritäre Züge, gegen die man sich entschieden zur Wehr setzen muss. Es ging eigentlich vielleicht um nationale Kategorien auf der einen Seite und Kategorien der Zivilgesellschaft, der freien Meinungsäußerung und solcher Tugenden auf der anderen Seite.
    Novy: Heinrich Detering von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. – Bleibt nachzutragen, wer die Preisträgerinnen waren bei der diesjährigen Frühjahrstagung für Übersetzungen und kulturelle Vermittlung, nämlich Drinka Gojkovic aus Serbien und Sabine Stöhr, die für ihre Übersetzungen aus dem Ukrainischen geehrt wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.