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Deutsche Außenpolitik
Schmid (SPD): Ukraine und Syrien bleiben Krisenherde

Die größte außenpolitische Herausforderung aus deutscher Sicht bleibt für den SPD-Außenpolitiker Nils Schmid auch 2019 die Lage in der Ukraine. Er glaube jedoch nicht, so Schmid im Dlf, dass es von den aktuellen Kämpfen zu einem offiziellen Krieg komme. In Syrien mache der Rückzug der USA die Lage schwieriger.

Nils Schmid im Gespräch mit Peter Sawicki | 24.12.2018
    Der SPD-Politiker Nils Schmid bei einem Wahlkampfauftritt in Böblingen
    Der SPD-Politiker Nils Schmid bei einem Wahlkampfauftritt in Böblingen (imago / Hauenschild / Eibner)
    Peter Sawicki: Das Jahr 2018 geht allmählich zu Ende, und auch dieses Jahr war geprägt von Krisen und Herausforderungen rund um die Welt. Der Brexit bleibt für die beteiligten Parteien ein leidiges Thema, sowohl für die EU als auch für Großbritannien. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hat sich zuletzt noch einmal zugespitzt, und der Nahe Osten bleibt vielleicht die explosivste Region weltweit. Und nach dem angekündigten Rückzug der USA aus Syrien befürchten nicht wenige noch mehr Konflikte und noch mehr Blutvergießen dort. Über all das können wir jetzt mit Nils Schmid, er ist außenpolitischer Sprecher der SPD im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Schmid!
    Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Ist die Welt in diesem Jahr noch ein Stück unruhiger geworden?
    Schmid: Jedenfalls nicht ruhiger, und es ist noch viel mehr Ungewissheit, die mitschwingt, vor allem auch in traditionell engen Beziehungen wie denen zu den USA.
    Sawicki: Was ist für Sie die größte Herausforderung derzeit?
    Schmid: Aus europäischer Sicht ist es sicher der nach wie vor andauernde Krieg in der Ukraine, denn in Europa haben wir einen heißen Krieg, der nicht etwa ein eingefrorener Konflikt ist, sondern wo immer noch Menschen sterben. Und da das unsere Beziehung zu Russland maßgeblich bestimmt, ist das sicher für uns in Europa die größte Herausforderung.
    "Glaube nicht, dass es zu einem offenen Krieg kommt"
    Sawicki: Glauben Sie, dass es offene Kämpfe, also offiziell offene Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine demnächst geben könnte?
    Schmid: Ich glaube nicht daran, denn die Russen bemühen sich immer, den Regler so einzustellen, dass es nicht zu einem offenen Krieg kommt. Sie haben über die Jahre hinweg nicht nur in der Ukraine, sondern beispielsweise auch in Georgien das Spiel perfektioniert, gezielt zu provozieren, ohne dass es abgleitet in einen großen militärischen Konflikt. Und zuletzt bei der Frage der Durchfahrt durch die Straße von Kertsch zum Asowschen Meer haben wir das noch mal beobachten können. Das bleibt aber unbefriedigend, weil das auch eine endgültige Lösung in der Ukraine auf die lange Bank schiebt.
    Meine Vermutung ist, dass die Russen erst mal abwarten wollen, wie die ukrainischen Wahlen im nächsten Jahr ausgehen, und dass bis dahin die Umsetzung des Waffenstillstands von Minsk nicht gelingen wird.
    Sawicki: Dramatisiert dann also der ukrainische Präsident Poroschenko, der ja neulich vor solchen offenen Kämpfen gewarnt hat?
    Schmid: Na ja, er dramatisiert nicht, er benennt eine Bedrohung, die aus ukrainischer Sicht sehr wohl nachvollziehbar ist, denn die Ukraine ist sozusagen umgeben von russischen Truppen, und die russische Seite hat eine militärische Überlegenheit, eine lokale Eskalationsdominanz und kann jederzeit den Konflikt ausweiten – man hat es ja bei der Krim-Annexion gesehen. Deshalb ist diese Bedrohungswahrnehmung verständlich. Trotzdem ist meine Annahme die, dass die Russen vor einem tatsächlichen militärischen Konflikt zurückschrecken werden, weil das unabsehbare Folgen hätte.
    Schmid: Stärkstes Instrument sind Reformen
    Sawicki: Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, der hat bei uns neulich im Programm gesagt, dass er nur eine diplomatische Lösung sieht in diesem Konflikt. Was erwarten Sie von der Ukraine, was müsste sie tun, um die Sache zu entschärfen?
    Schmid: Die Ukraine darf auf keinen Fall auf eine militärische Karte setzen, wie gesagt, das zeichnet sich auch nicht ab, aber man weiß nie, was dann in einer zugespitzten Situation passieren kann. Deshalb ist die Zurückhaltung auf beiden Seiten erforderlich, und die Ukraine sollte sich darauf konzentrieren wie bisher, ihren Teil zur Umsetzung der Minsker Vereinbarung beizutragen. Hier geht es vor allem um die Rechte der russischen Minderheit in der Ostukraine, das sieht gar nicht so schlecht aus, auch insgesamt ist die Entwicklung in der Ukraine ermutigend, was Demokratisierung anbelangt.
    Ich glaube, das ist eigentlich das stärkste Instrument, was die Ukraine in der Hand hat, nämlich durch eigene Reformen so attraktiv zu sein, dass für die eigenen Bürger, aber auch für die Region die Ukraine durch eine klare proeuropäische Ausrichtung Erfolg hat.
    Sawicki: Ja, aber reicht das tatsächlich aus, wenn Sie sagen, gewisse Aspekte werden von der Ukraine eben in Bezug auf das Minsker Abkommen noch nicht umgesetzt?
    Schmid: Ja, das ist eben immer ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Umsetzungsschritte beim Minsker Abkommen sind so ineinander verwoben, dass es immer darum geht, dass einerseits die russische Seite, andererseits die ukrainische Seite Fortschritte macht. Und da die russische Seite ganz offensichtlich kein Interesse hat, vor den ukrainischen Wahlen im März beziehungsweise dann im Herbst tatsächliche Fortschritte zu erreichen, wird der Minsker Friedensprozess erst mal in diesem unvollendeten Zustand, sag ich mal, verharren, weil Putin offensichtlich drauf setzt, dass er vermeintlich prorussische Kräfte in Zukunft als Gesprächspartner in der Ukraine hat.
    Sawicki: In einem Positionspapier der SPD ist zu lesen, dass Ihre Partei, Ihre Fraktion Gesprächsformate, neue Gesprächsformate anstrebt, in denen Russland und zum Beispiel die Ukraine involviert sein sollten. Wie könnten diese aussehen?
    Schmid: Ich denke vor allem an wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir haben ja um Russland einen Kern von Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die sich in einer Binnenmarkt zusammenschließen wollen, der vor allem auch die Energiefragen betrifft, und da gibt es ein großes Interesse auch der EU, dass wir mit dieser eurasischen Wirtschaftsunion zu geregelten Formen der Zusammenarbeit kommen. Und ganz konkret haben wir ein Interesse daran, dass die Frage des Gastransits durch die Ukraine zwischen Russland, Ukraine und der EU geregelt wird. Das geht uns alle gemeinsam was an, dass die Ukraine nicht auf einem Großteil der Transiteinnahmen durch diesen Gastransit verzichten muss, wenn neue Pipelines wie Nord Stream 2 oder auch im Süden die sogenannte TurkStream-Pipeline vollendet sein wird.
    Syrien: "ein Machtvakuum entstanden"
    Sawicki: Dann lassen Sie uns in den Nahen Osten schauen, nach Syrien in erster Linie. Befürchten Sie, dass die Situation dort jetzt noch mehr eskaliert?
    Schmid: Es ist zumindest durch den angekündigten Rückzug der USA ein Machtvakuum entstanden, in das andere hineinstoßen werden, und jetzt ist eben die Frage, wer wird das wie tun. Faktisch haben die USA die Syrienfrage da mit den regionalen Mächten Iran, Türkei, aber auch Russland überlassen und setzen ganz offensichtlich darauf, dass im Falle eines Falles auch Israel einschreiten wird. Das erleichtert eine politische Lösung nicht gerade, denn das Ziel muss doch sein, eine Einbindung aller politischen Kräfte in Syrien für eine stabile Nachkriegsordnung zu erreichen, und das geht nur entlang der UN-Leitlinien unter der Ägide des UN-Sicherheitsrats, und da spielen nun mal die USA eine maßgebliche Rolle. Deshalb ist dieser unkoordinierte und mit niemand abgestimmte Rückzug der USA erst mal ein Rückschlag.
    Sawicki: Ja, und was heißt das praktisch für Deutschland, wenn eben solche Schritte vollzogen werden, die dann offenbar unerwartet dann kommen?
    Schmid: Das bedeutet erstens ganz allgemein, dass wir uns in der Außenpolitik mit dieser Unberechenbarkeit von Herrn Trump sozusagen auseinandersetzen und auch daran gewöhnen müssen und mehr als Europäer agieren müssen. Konkret in Syrien bedeutet das, dass wir noch stärker die Einberufung einer Verfassungskonferenz und die Friedenslösung unter Leitung der UN vorantreiben müssen, denn egal was militärisch auf dem Boden passieren mag, eine nachhaltige Friedensordnung werden wir in Syrien nach diesem grauenvollen Vorgehen von Assad gegen die eigene Bevölkerung nur hinbekommen, wenn auch innersyrische Versöhnungsprozesse endlich beginnen.
    "Kurden müssen Bestandteil einer politischen Lösung sein"
    Sawicki: Der wird ja aber nach wie vor von Russland vor allem gestützt. Ist es jetzt also Zeit anzuerkennen, dass es eine Zukunft mit Assad geben dürfte in Syrien?
    Schmid: Nun, eins ist klar: Wenn man eine Friedenslösung anstrebt, dann muss man alle diejenigen an den Tisch holen, die Waffen in der Hand haben, und dazu gehört auch das Assad-Regime. Und dann wird es Aufgabe der Syrer selbst sein, zu definieren, wie sie eine Verfassung festlegen, Wahlen durchführen und wer denn ihr Präsident sein wird. Aber klar ist, erst mal ist Assad da, und deshalb muss man auch im Rahmen dieser Verfassungskonferenz mit dem Assad-Regime reden. Das ist ja auch so vorgesehen.
    Sawicki: Aber Sie fordern jetzt eben auch nicht mehr den Rücktritt beziehungsweise eine Absetzung des Präsidenten?
    Schmid: Also kurzfristig als Vorbedingung für eine Friedenslösung werden wir das nicht fordern können, so wie die Entwicklung militärisch gelaufen ist, aber was ich schon erwarte, ist, dass wir eine Verfassungskonferenz bekommen, wo alle, auch die oppositionellen Kräfte Syriens, einbezogen werden und dass dann die Syrer in freien Wahlen darüber entscheiden können, wer sie regieren soll.
    Sawicki: Müssen die Kurden auch dazugehören?
    Schmid: Ja, unbedingt. Die Kurden sind ein maßgeblicher Teil der syrischen Bevölkerung und haben auch legitime Interessen und müssen selbstverständlich Bestandteil einer solchen Verfassungskonferenz und einer politischen Lösung sein.
    "Kurzfristig setzen alle regionalen Akteure auf die militärische Karte"
    Sawicki: Wie laut müsste dieser Appell dann an Ankara gerichtet werden?
    Schmid: Der wird sehr laut gerichtet. Auch Heiko Maas war ja im Herbst vor Ort und hat genau diese Themen angesprochen. Übrigens, auch die Türkei hat ein Interesse daran, dass die westlichen Partner hier in Syrien helfen. Beispielsweise ist die Vermittlung des Waffenstillstands in Idlib ja nur möglich gewesen, weil europäische Partner und die USA auch auf Russland eingewirkt haben. Übrigens, auch Heiko Maas hat entsprechende Gespräche mit Herrn Lawrow geführt. Deshalb glaube ich, dass gerade, wenn es um die Kurden geht und überhaupt um die Nachkriegsordnung in Syrien geht, auch die regionalen Mächte ein Interesse haben, dass die westlichen Partner an Bord bleiben, nicht zuletzt auch wegen der Frage des Wiederaufbaus im Lande selbst.
    Sawicki: Und trotzdem hören wir ja heute Morgen, dass türkische Truppen offenbar vorrücken Richtung Syrien, die ersten Einheiten sollen die Grenze überschritten haben. Also ist der Appell bisher noch nicht laut genug Richtung Ankara?
    Schmid: Ja, kurzfristig setzen alle regionalen Akteure auf die militärische Karte, aber langfristig wird man eine nachhaltige Lösung nur bekommen, wenn wir eine politische Vereinbarung aller, auch der kurdischen Kräfte in Syrien, erreichen. Leider ist es auch im Fall der Türkei so, dass manchmal sehr kurzsichtig nur auf die militärische Karte gesetzt wird.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Vielen Dank, Herr Schmid, für das Interview!
    Schmid: Ja, gerne!
    Sawicki: Und schöne Weihnachten für Sie!
    Schmid: Ja, Ihnen auch schöne Weihnachten!
    Sawicki: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.