Deutsche Bahn
Darum kommen Züge so oft zu spät

Fast jeder zweite Zug war im Juni verspätet. Nun sperrt die Bahn auch noch die Strecke Berlin-Hamburg. Es ist eines von vielen Sanierungsvorhaben. Das Ziel: mehr Pünktlichkeit. Doch die marode Infrastruktur ist laut Experten nicht das Hauptproblem.

    Eine Anzeigetafel an einem Bahnhof zeigt viele Zugverbindungen mit Angaben zu Verspätungen der Züge an.
    Oberleitungsschaden: Heutige Zugverspätungen bei der Deutschen Bahn sind auch Folge von Sparzwängen und Börsenträumen der Vergangenheit (picture alliance / imageBROKER / Arnulf Hettrich)
    Der Frust unter Bahnreisenden bekommt immer neue Nahrung: Lediglich 57,1 Prozent der Züge im Fernverkehr erreichten im Juni pünktlich ihr Ziel. Wobei die Deutsche Bahn „pünktlich“ so definiert, dass ein Zug weniger als sechs Minuten Verspätung hat.

    Übersicht

    Mit einem umfangreichen Sanierungsprogramm verspricht die Bahn, besser zu werden. Das vergrößert zunächst die Probleme: Ab 1. August wird zum Beispiel die viel befahrene Strecke zwischen Berlin und Hamburg neun Monate lang für Baumaßnahmen gesperrt.
    Für die Unpünktlichkeit sind allerdings auch ein zu volles Netz, Personalmangel und Digitalisierungsrückstände verantwortlich. Ein Überblick.

    Das Problem mit der maroden Infrastruktur

    Bei der Suche nach den Ursachen für die unpünktliche Bahn taucht schnell das Stichwort „marode Infrastruktur“ auf. Tatsächlich gibt es hier erhebliche Probleme. Noch zu Zeiten der Ampelregierung wurden 41 Bahnstrecken identifiziert, die hoch belastet und abgenutzt sind. Sie sollen bis 2030 generalsaniert werden.
    Die erste von ihnen war die Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Nach fünf Monaten Sperrung und Generalüberholung sind die Verspätungen dort zumindest etwas zurückgegangen.
    Nun folgt Berlin-Hamburg. Das heißt unter anderem: 165 Kilometer Gleise werden komplett erneuert, weitere 61 Kilometer instandgesetzt. Sechs neue Stellwerke werden gebaut, 19 modernisiert. Gerade Stellwerke stammen in Deutschland teilweise noch aus der Kaiserzeit.
    Trotz dieser Tatsachen: Nach Ansicht des Verkehrswissenschaftlers Christian Böttger benutzt die Bahn seit zwei Jahren verstärkt das „Narrativ“ von der „maroden Infrastruktur“ - und übertreibe es „massiv“. Aus zwei Gründen: „um Geld zu bekommen und um auch Diskussionen um die anderen Themen, die viel unangenehmer sind, zu vermeiden“.

    Volles Netz, dichte Fahrpläne

    Laut einem Papier des Bundesverkehrsministeriums von 2024 ging mehr als die Hälfte aller Verspätungen auf ein zu volles Netz und zu knapp bemessene Fahrpläne zurück. Mit 18 Prozent spielte die Infrastruktur eine viel kleinere Rolle als oft angenommen.
    In den vergangenen drei Jahrzehnten hat der Zugverkehr in Deutschland deutlich zugenommen, ohne dass das Netz mitwuchs. Im Gegenteil: Es ist nach Angaben des Lobbyverbands Allianz pro Schiene sogar geschrumpft – anders als alle anderen Verkehrsinfrastrukturen. Und das, obwohl angesichts der geplanten Verkehrswende künftig noch mehr Menschen und Güter per Zug unterwegs sein sollen.
    Der Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sieht vor allem auf den Hauptstrecken und an den Knotenpunkten „keine Puffer“ mehr. Selbst wenn nichts schief gehe, könne der Betrieb nicht stabil laufen.
    Es seien, so Böttger, zu viele Züge: „Jede kleine Störung, jeder Fahrradfahrer, der extra einsteigt, führt dazu, dass die Züge nicht mehr pünktlich fahren und dass dann der ganze Fahrplan ins Rutschen kommt.“

    Personalmangel auf und neben der Schiene

    Zu den „unangenehmen“ Themen der Bahn zählt auch der Personalmangel. Nach Angaben von Allianz pro Schiene fallen deswegen nicht nur Züge aus. Im schlimmsten Fall würden Fahrpläne ausgedünnt, weil Personal fehlt. Mittlerweile hat die Bahn eine Ausbildungsinitiative gestartet, um gegenzusteuern.
    Es sind aber nicht nur Fahrdienstleiter, an denen es mangelt. “Früher wurde wesentlich mehr Geld in die Hand genommen, um die Strecken auch instand zu halten, vor allem rechts und links der Bahn“, sagt Joachim Breuninger, Direktor des Deutschen Technikmuseums Berlin. Weil die Bahn am sogenannten Grünschnitt spart, fallen bei einem Unwetter öfter Bäume auf Gleise und Züge müssen stoppen.

    Stau auf der Strecke und bei der Digitalisierung

    Stau im Eisenbahnverkehr wird in Deutschland dadurch verschärft, dass sich ICE, Güter- und Nahverkehrszüge meist das Schienennetz teilen. Das Problem: Weichen und Überholgleise wurden aufgrund früherer Sparmaßnahmen abgebaut. So bremsen langsame Züge schnellere Züge aus.
    In Ländern wie Frankreich und Japan sieht das anders aus. Dort fahren Hochgeschwindigkeitszüge oft auf eigenen Gleisen. Doch das ist aufwendig und teuer.
    Genauso wie das neue digitale Zugsicherungssystem ETCS (European Train Control System). Es registriert, wo Züge unterwegs sind, berechnet Bremswege und ermöglicht eine engere Taktung. Bis zu 20 Prozent mehr Kapazität kann das Schienennetz damit erreichen.
    Auf den Hauptbahnstrecken sollte ETCS eigentlich bis 2030 umgesetzt sein. Das Problem: Das System kann nur dann wirksam sein, wenn sowohl die Strecke als auch die Züge damit ausgestattet sind. Momentan trifft das vorwiegend nur auf die ICE-Flotte zu.
    Da ein Doppelbetrieb von alten und neuen Zugsicherungssystemen teurer ist, wird die Bahn das ETCS auch nicht auf der nun in Sanierung befindlichen Strecke Berlin-Hamburg verbauen, sondern nur vorbereiten. „Eine Ausrüstung mit ETCS wird in den frühen 2030er-Jahren erfolgen“, verspricht das staatliche Unternehmen.

    Sparzwänge und mehr Geld für die Schiene

    Der Sparzwang hat die Deutsche Bahn ins Chaos getrieben, sind sich Verkehrsexperten einig. Um kurzfristig Kosten zu senken und die eigene Bilanz für den ursprünglich geplanten Börsengang zu verbessern, baute der Konzern jahrelang Infrastruktur wie Gleise und Weichen ab. Zwar wurde der Börsengang im Zuge der Finanzkrise 2008 kurzfristig abgesagt, doch die Bahn war bereits auf Rendite getrimmt.
    Noch in den frühen 1990er-Jahren kam die Bahn auf eine Pünktlichkeitsquote von 85 Prozent. Der aktuelle Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, sagte Anfang 2024, man wolle in diesem Jahr eine Pünktlichkeit von mehr als 70 Prozent erreichen. Ein Ziel, das verfehlt wurde. Für 2025 will die Bahn insgesamt auf 65 bis 70 Prozent Pünktlichkeit im Fernverkehr kommen.
    Die Ampelkoalition war die erste Regierung der Bundesrepublik, die mehr Geld in die Schiene als in die Straße gesteckt hat, so Joachim Breuninger vom Deutschen Technikmuseum Berlin. Für Schienen und andere Technik wurden 2024 fast 20 Milliarden Euro ausgegeben.
    Die aktuelle Koalition aus Union und SPD will die Sanierung der Schiene zusätzlich mit Geld aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen vorantreiben. Bis 2029 sollen 107 Milliarden Euro fließen.

    bth