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Deutsche Bahnprivatisierung aus Schweizer Perspektive

Weil Bahnfahren in der Schweiz einfach ist, die Züge pünktlich und oft fahren und die Bahnhöfe sauber sind, fahren die Schweizer mit dem Zug. Weil Bahnfahren in Deutschland kompliziert ist, fahren die Deutschen weniger Bahn. Während Deutschland nun die Teilprivatisierung der Bahn politisch durchsetzt, hätte eine Bahnprivatisierung in der Schweiz nicht den Hauch einer Chance. Die Europa-Kolumne von Fredy Gsteiger vom Schweizer Radio DRS.

    Eine Bahn ist kompliziert. Ein Netzwerk aus Schienen, Bahnhöfen, Lokomotiven, Waggons, Signalen, Werkstätten, Computersystemen und Fahrplänen. Kompliziert ist das Ganze im Fall der Deutschen Bahn auch für den Passagier. Wie gelangt er wann und zu welchem Preis wohin? Vorausbuchen oder nicht? Mit welchen Fristen? Welchen Einschränkungen? Reservieren oder nicht? Bahncard oder keine? Sonderrabatte? Fragen über Fragen.

    Eine Bahn kann aber ganz simpel sein. In der Schweiz ist sie das. Die Züge fahren immer zur selben Zeit ab, gemäß Taktfahrplan von morgens um 5 bis Mitternacht. Auch zwischen Oberentfelden und Unterentfelden. Oder zwischen Chardonnay Château und Bussy-sur-Morges. Kommt man irgendwo an, stehen die Anschlusszüge bereit. Mit einem Fahrschein darf man jeden Zug benützen, Reservieren ist unüblich und meist auch unnötig. Im Wesentlichen gilt: Wer kein Halbtaxabonnement besitzt, also das helvetische Pendant zur Bahncard, reist teuer. Wer dieses Abo hat, reist in der ersten und zweiten Klasse zum halben Preis - darum hat fast jeder eines.

    Weil Bahnfahren in der Schweiz einfach ist, die Züge pünktlich und oft fahren und die Bahnhöfe sauber sind, fahren die Schweizer mit dem Zug, im Durchschnitt jeder und jede vierzig Mal pro Jahr. Das Passagieraufkommen steigt und steigt.

    Weil Bahnfahren in Deutschland kompliziert ist, fahren die Deutschen - trotz zugegeben im Fernverkehr weitaus schnittigerer Züge - weniger Bahn. Ein Vorschlag: Und sie haben ihre Bahn nicht mehr ins Herz geschlossen - das war mal anders.

    Während Deutschland nun die Teilprivatisierung der Bahn politisch durchsetzt, hätte eine Bahnprivatisierung in der Schweiz zurzeit nicht den Hauch einer Chance. Ebenso wenig eine Aufteilung der Bahn in ein Schienen- und ein Zugunternehmen. Weil das bisher ganz gut funktionierte, leuchtet es uns Schweizern einfach ein, dass Bahnhöfe und Züge und Schienen irgendwie zusammenpassen. Genauso wie Hof und Acker und Stall oder Backstube und Bäckerladen.

    Kommt hinzu, dass die Schweizer Bundesbahn SBB im wesentlichen nicht mehr sein will als einfach eine Bahn. Die Deutsche Bahn hingegen will zum weltweit führenden Logistik- und Mobilitätskonzern werden. Fragt sich, ob das die Bahnkunden auch so sehen.

    Schweizer sind solide Rechner: Sie fürchten, dass Bahnfahren teurer würde, wenn künftig Privataktionäre Gewinne forderten. Denn von üblichen Kapitalrenditen ist auch die Schweizer Bahn natürlich weit entfernt. Selbst die ausgewiesenen umgerechnet 50 Millionen Euro Gewinn sind fiktiv, denn da sind öffentliche Zuschüsse von gut zwei Milliarden schon klammheimlich eingerechnet. Aber kein Schweizer erwartet, dass die Bahn, seine Bahn Profite macht - das tun ja die Justiz, die Armee und andere Säulen des Staates auch nicht.

    Und die Bahn, genauso wie die Post, ist eine solche Säule: Bei uns gehört die Bahn zur nationalen, ja zur emotionalen Grundausstattung. Der Werbespruch "der Kluge fährt im Zuge" datiert zwar aus den sechziger Jahren, aber er gilt noch immer. Auch der Schweizer schimpft zwar, wenn sich Züge verspäten. Trotzdem liebt er die Bahn, seine Bahn. Und ob Bauarbeiter oder Bankangestellter, ob Soldat, Aufsichtsratsvorsitzender oder Minister - alle fahren Zug. Fährt eigentlich Hartmut Mehdorn Zug? Oder Angela Merkel?
    Nein, wir lassen die Politiker nicht an unserer Bahn herumpfuschen. Hände weg von der Bahn, heißt es, sobald sie mal wieder den Fahrplan ausdünnen und ungebührliche Preiserhöhungen durchsetzen wollen. Und offen gestanden: Bisherige Bahnprivatisierungen wie jene in Großbritannien haben uns nicht wirklich davon überzeugt, dass sie eine so tolle Sache sind.

    Deutsche und Schweizer haben manche Gemeinsamkeit. Aber während die Deutschen ein Autovolk sind, sind wir ein Bahnvolk. Genau deswegen gibt es ja den Begriff "Märklin-Schweiz", aber "Märklin-Deutschland" eben nicht.