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Deutsche Einheit
Schutzbehauptung "Autonomie des Sports"

Die "Autonomie des Sports" wird heute immer dann angeführt, wenn heikle politische Fragen in die Sportwelt vordringen. Eine schon fast traditionelle Schutzbehauptung, wie sich auch beim Blick zurück auf die Wiedervereinigung zeigt.

Von Jonas Reese | 04.10.2014
    Cordula Schubert, letzte Sportministerin der DDR
    Cordula Schubert, letzte Sportministerin der DDR (DLF / Jessica Sturmberg)
    "Die Deutsche Demokratische Republik wurde zu einer Weltnation auf dem Gebiete des Sportes." Und warum nicht etwas dieses Glanzes auf das wiedervereinigte Deutschland herüberretten, könnte man diesen Worten Erich Honeckers hinzufügen. Denn rückblickend erscheint der Vereinigungsprozess der beiden Sportsysteme - Ost und West - so, als wären den handelnden Politikern darin auch fast jedes Mittel recht gewesen, um vom sportlichen Erfolg des kleinen Bruders zu profitieren. Ganz so wie der Bundesinnenminister der Wendezeit Wolfgang Schäuble aus eigener Erfahrung berichtet: "Also ich habe einmal als noch relativ junger Abgeordneter einen Innenminister erlebt, der im Sportausschuss des Bundestages angetreten ist mit der Erklärung, wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht genauso viel Medaillen wie die DDR holen können. Daraufhin hab ich gesagt: Herr Minister, schön wär's. Aber ich glaube nicht. Ich glaube nicht. Unser System ist anders, und mir gefällt dann unser System trotzdem besser. Die Medaillen, die Erfolge sind ja nur die eine Seite von Sport auch von Leistungssport. Und nun wollen wir mal sehen, was aus der Symbiose beider wird. Da kann etwas Besseres vielleicht etwas ganz Neues werden."
    So haben offenbar nicht alle Beteiligten gedacht und dazu einige fragwürdige Erbstücke aus dem System der benachbarten Weltnation des Sports zu übernehmen. So wurden zum Beispiel so genannte Forschungseinrichtungen aus dem Osten, mittlerweile als Giftküchen und Menschenversuchsanstalten bekannte Dopinglabors oder zahlreiche Trainer mit Stasi-Vergangenheit übernommen. Auch der Westen wollte an das verbotene Wissen des Nachbarn.
    Beschimpfungen im Westen
    Die erste und einzige Sportministerin der DDR, Cordula Schubert, erinnert sich heute rund 25 Jahre später an die Schwierigkeiten, mit den sie sich konfrontiert sah, bei dem Versuch die Kaderstrukturen aufzubrechen und den Sport zu entideologisieren. Auch von westlicher Seite aus: "Ich kann mich noch an das erste Treffen im Bundesinnenministerium erinnern, als damals noch Willi Daume da war, und er mich übelst beschimpft hatte, wie ich hier doch mit dem Sport umgehe und den DDR-Sport zerschlagen werde."
    Schubert war mit 31 Jahren jüngstes Mitglied damals im Kabinett Lothar de Maizieres und nur ganze 183 Tage im Amt. Als "Totengräberin des DDR-Sports" wurde sie beschimpft, als sie dem staatstreuen ostdeutschen Sportbund DTSB die Gelder entzog und stattdessen direkt an die Landesverbände gab.
    "Unser Ziel war es, das Geld direkt über die Fachverbände zu verteilen, dass es eine Vereinigung der Fachverbände mit den West-Fachverbänden gibt und dass sozusagen das Dach des DTSB ausgehöhlt wird." Schon am 12. Mai 1990 fordert der DTSB-Bundesvorstand deshalb den Rücktritt Schuberts. Begründung: "Der Sport ist autonom. Lassen sie doch mal den Sport machen, sie dürfen hier eigentlich überhaupt keinen Einfluss nehmen."
    Hoffnung auf schnelle Einigung
    Ein Argument, dass Schubert immer wieder zu hören bekommt. Der Sport sei selbstbestimmt und das solle auch so bleiben. Und so kam es, dass auch Stasi-belastete Ost-Trainer neue Anstellungen im wiedervereinten Deutschland erhielten. Denn der auch der West-Sport wollte nicht so genau hinschauen, wie Ferdinand Kösters berichtet, der damalige und für den Sport zuständige Referatsleiter im Bundesinnenministerium: "Das war ja eben das Problem, dass die Verbände die Trainer wollten und dass man sehenden Auges sagen musste: Kann das denn eigentlich gutgehen, sind die jetzt alle geläutert, sind die jetzt alle sauber oder was machen die künftig?"
    Damit wurde schließlich doch wahr, was Sportministerin Schubert in ihrer Stellungnahme zum Einigungsvertrag damals schon andeutete. Auch der Westen setzt damals auf Hochleistung. "Das zeigt auch der Einigungsvertrag, dass hier der Leistungssport auch in der DDR nach den Regeln und Grundsätzen der Bundesrepublik gefördert werden muss, dass hier Übergangslösungen geschaffen werden und dass man hier in der DDR, auf dem Gebiet der Jetzt-Noch-DDR, auf allen Fällen den Sportlern und Trainern eine Zukunft bieten muss. Denn es wird uns sicher keiner in der Zukunft abnehmen, wenn bei künftigen Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen die Mannschaft von Gesamtdeutschland wesentlich weniger Medaillen gewinnt und wesentlich weniger erfolgreich ist, als jetzt das Gebiet der DDR alleine."
    Uns so hofften damals die Sportfunktionäre auf einen schnellen Einigungsprozess. Nach dem sich die Politik wieder völlig aus dem Sport zurückziehen und ihn sich selbst überlassen werde, so Schubert: "Wenn die Vereinigung da ist, dann wird der Sport wieder autonom sein, und dann werden wir nicht so eine Ministerin haben, die hier ständig versucht in den Sport hineinzuregieren und hier andere Strukturen schaffen zu wollen."
    25 Jahre nach dem Mauerfall hat sich an dieser Einstellung des Sports offenbar nicht viel geändert.