Freitag, 19. April 2024

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Deutsche Fusion-Band Kraan
Groove-Kompetenz seit fünf Jahrzehnten

Die aus Ulm stammende Band hat früh einen unverwechselbaren Sound gefunden. Seit 2008 spielt Kraan in Triobesetzung, bestehend aus den Gründern Hellmut Hattler, Jan Fride und Peter Wolbrandt. Mit dem Album "Sandglass" erschien Ende 2020 ein überraschendes Spätwerk.

Von Fabian Elsäßer | 17.01.2021
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    Kraan live (v.l.n.r.): Peter Wolbrandt (Gitarre), Jan Fride Wolbrandt (Schlagzeug) und Hellmut Hattler (Bass) (Steffen Meyer/Bassball Recordings)
    Musik: "Budenzauber"
    Hellmuth Hattler: "Ich bin planlos glücklich! Wenn ich an nix denken muss, dann kann ich auch Musik machen!"
    Jan Fride Wolbrandt: "Also ich für meinen Teil habe leider immer feststellen müssen: so geil wie mit Kraan war’s mit keiner Band. Das ist schon was Besonderes, wenn Du mit Deinen Brüdern quasi Musik machst... Man weiß ziemlich genau, was der andere spielt. Schlafwandlerisch fast!"
    Musik: "Budenzauber"
    Hellmut Hattler: "Ich hör mir das tatsächlich auch selber an, was sonst nie passiert. Normalerweise sind Aufnahmen für mich gegessen in dem Augenblick, wo sie rauskommen. Das ist ein Produkt, und dann sind sie für mich nicht mehr interessant. Aber ich hör mir das Album wirklich noch oft auf meinen Spaziergängen über Kopfhörer an. Ich liebe das Album."

    Eine zweifelhafte Genre-Bezeichnung

    Musik: "Funky Blue"
    Fangen wir mal mit der Geschichte an. Denn Kraan SIND ein Stück deutsche Musikgeschichte. Gegründet wurde die Band Anfang der 70er-Jahre in Ulm als Quartett: von einem abgebrochenen Abiturienten und drei Studenten. Sie mixten Jazz, Rock, Funk, im Grunde alles was sie interessierte, spielten überwiegend instrumental, und das alles so präzise und jugendlich furchtlos, dass sie bald einen Plattenvertrag und Auftritte im europäischen Ausland hatten. Britische Zeitschriften lobten sie, gaben ihnen allerdings auch die zweifelhafte Genre-Bezeichnung "Krautrock", mit der damals viele deutsche Künstler etikettiert wurden, die international wahrgenommen wurden. Can, Faust, Amon Düül, diese Fraktion eben. Kraan-Platten wie "Wiederhören" aus dem Jahr 1977 verkauften sich knapp sechsstellig, und der daraus stammende Song "Yaqui Yagua" ist ein gutes Beispiel für die stilistische Offenheit der Band.
    Musik: "Yaqui Yagua"
    Der adlige und jungen Menschen und ihren Subkulturen gegenüber aufgeschlossene Unternehmer Graf Metternich stellte Kraan ein Landgut im Teutoburger Wald zur Verfügung, wo die Band als Kommune lebte, bis sie sich Ende der 70er auflöste und kurz darauf wieder zusammenfand. So ging das dann erstmal weiter. 1983 erneute Auflösung, 1987 Neugründung, 1990 wieder Pause, weil Bassist Hellmut Hattler mit dem Jazz-Hip-Hop-Trio Tab Two ganz neue Hörerkreise erschloss und sogar richtige Hits hatte. "No Flagman ahead" von 1995 – kennt man noch, oder?
    Musik: Tab Two "No Flagman ahead"

    In Trio-Besetzung zur Stabilität gefunden

    Zur Jahrtausendwende fand sich eine der klassischen Kraan-Besetzungen wieder: Hattler, Gitarrist Peter Wolbrandt, dessen Bruder Jan Fride am Schlagzeug und am Keyboard der inzwischen gestorbene Ingo Bischof, der Mitte der 70er Saxofonist Alto Pappert als zweiter Melodie-Instrumentalist abgelöst hatte. Seit 2008 spielt Kraan als Trio, nahm 2010 auch nochmal ein Album auf, aber danach 2010 war Kraan eine reine Konzertband, wie so viele Altgediente. Bis der Corona-bedingte Lockdown 2020 die ganze Welt lahmlegte.
    Musik: "Sandglass"
    "Sandglass" ist das Titelstück des Ende 2020 erschienenen Albums der deutschen Fusion-Rockband Kraan, das mehr oder weniger aus dem Nichts kam, nach zehn Jahren Studiopause. Bassist Hellmut Hattler, der ja noch sein Solo-Projekt und mit seiner Partnerin Siyou das Duo Siyou‘n‘Hell betreibt und eigentlich ständig Songs schreibt, hatte ein, zwei Stücke auf Lager, die seiner Meinung nach zu Kraan mussten. Und seine beiden Mit-Kraaniche waren gleich dabei, als sie die Files hörten, auch Gitarrist Peter Wolbrandt, der Hattler zufolge neue Studioarbeiten eher skeptisch sieht. Doch auch Wolbrandt hatte einige Song-Ideen aufgenommen, und damit nicht genug, wie Hellmut Hattler sich erinnert:
    Hellmut Hattler: "Ich hab noch ein paar Samples gefunden von unserem verstorbenen Keyboarder Ingo Bischof, eine kleine Reminiszenz an die Freundschaft. Und dann waren es auf einmal 13 Stücke. Das hat uns ziemlich von den Socken gehauen und ich glaube, das hat uns diesen ersten Lockdown auch ein bisschen versüßt, weil man ja dann doch irritiert ist von dieser Eingesperrtheit und Aktivitätslosigkeit. Und das hat uns das wirklich versüßt und wir waren total begeistert, nach so vielen Jahren plötzlich wieder ein Album zu haben, von dem alle auch dachten, das ist das Album, wo keiner irgendwelche Schwächen drin sieht."

    Räumlich getrennte Studio-Arbeit

    Hattler wohnt in Ulm, wo auch die Wurzeln von Kraan liegen, Peter Wolbrandt lebt bei Dortmund und sein Bruder Jan Fride im Hinterland des Bodensees, auf einem ausgebauten Bauernhof, wo er bei offenem Fenster trommeln kann, wann immer er Lust dazu hat. Daher hat die Band neue Ideen schon des Längeren übers Internet ausgetauscht. Aber für Aufnahmen traf man sich dann bisher doch immer noch persönlich. "Sandglass", das überraschende und überraschend gute Spätwerk-Album aus dem Jahr 2020, nahm jedoch jeder für sich komplett alleine auf.
    Hellmut Hattler: "Es war eine reine Hin- und Herschickerei. Wir haben keinen Präsenzunterricht gemacht sondern Home-Office, wenn Du so willst. Wir haben die Files hin und hergeschickt und jeder hat seine Sachen gemacht. Die einzige Zweit-Kontakt-Person in dieser Zeit war der Jürgen Schlachter, das ist unser Studiomann, mit dem ich meine Sachen aufgenommen habe. Weil ich halt auch ne faule Sau bin und zuhause Home-Recording anleiern will, weil ich einfach auch keine Lust hab, mich mit technischen Dingen zu beschäftigen. Ich will’s einfach schnell, zack-zack aufm Rechner haben und die Editierung macht dann jemand anders."
    Erklärt Bassist Hellmut Hattler. Und auch Schlagzeuger Jan Fride lernte diese neue Aufnahme-Praxis zu schätzen.
    Jan Fride Wolbrandt: "Es war fast leichter als im Studio, da versucht dann doch immer einer zu sagen: spiel doch mal so oder so. So konnte ich einfach spielen, was ich dachte. War echt überrascht, hat total Spaß gemacht."
    Musik: "Path"

    Ein bisschen rauer

    "Path" ist ein weiteres Stück vom Ende 2020 erschienenen Spätwerk-Album "Sandglass" der deutschen Fusion- oder wenn der Begriff denn sein muss – auch Krautrock-Urgesteine Kraan aus Ulm, die es seit 1970 gibt.
    Hellmuth Hattler: "Path, das ist so die Vorstellung, dass manche Leute glauben, sie haben das ganze Leben im Griff und es läuft alles, und plötzlich passiert das Gegenteil. Und andere haben überhaupt keinen Plan und kriegen alles und sind überrascht, dass alles so gut läuft."
    Erklärt Bassist und Kraan-Mitgründer Hellmut Hattler. Bei ihm lief es irgendwie immer, er konnte immer von der Musik leben, durch seine vielen, vielen eigenen Projekte, während die Wolbrandt-Brüder zwischendurch auch andere Jobs machten. Aber 2017 kam Hattlers gewohntes Leben jäh zum Stillstand, durch eine lebensbedrohliche Krankheit. Er hat sie überstanden, Stehaufmännchen, das er ist. Doch sie ging nicht spurlos an ihm vorüber. Selbst das sieht der 1952 geborene Ausnahme-Bassist inzwischen positiv.
    Hellmut Hattler: "Seit ich meinen Klinikaufenthalt hinter mich gebracht habe, klingt meine Stimme etwas rauer als vorher. Die war halt so glockenklar, dass Du jedes Hertz neben dem Ton gehört hast, das nicht richtig ist. Und wenn man viele Obertöne produziert, ist es sehr viel einfacher, dass es sich nicht falsch anhört. So wird man ermutigt. Die Gesänge hören sich ganz gut an. Kann ich gut mit leben."
    Es singt immer derjenige, der den Song komponiert beziehungsweise den Text geschrieben hat, also Peter Wolbrandt oder Hellmut Hattler.
    Jan Fride Wolbrandt: "Der Hellmut hat ja den Kopf voll mit Melodien, der Peter auch. Ich leider nicht. Ich kann überhaupt nicht komponieren, aber ich mache gerne so mit Sounds und Klängen rum. Und Grooves halt."

    Bitte nicht zu viel Text

    Sagt Schlagzeuger Jan Fride Wolbrandt. Kraan waren ja ohnehin von Anfang an eine Band, bei der Texte zwar sinnhaftig sein mussten, die aber gerne die Instrumente singen ließ. Erst kommt die Musik, dann der Text, so Hellmut Hattler.
    "Man muss auch von der Lust der Musiker ausgehen. Bei Kraan ist es ganz klar, dass wir lieber an den Instrumenten abgehen als am Mikrofon. Und deshalb sind die Sachen, die wir live spielen, auch sehr übersichtliche Gesangsparts. "Let it out", "Jerk of Life" – das sind wirklich kurze Textfetzen. Im Studio ist es halt anders, da kann man mal was wagen, danebensingen, ohne dass man gleich geylncht wird."
    Musik: "Schöner wird’s nicht"
    "Schöner wird’s nicht" stammt ebenfalls vom 2020er Kraan-Album "Sandglass" und ist ein weiteres Beispiel für die Fähigkeit der Band, ohne Worte eine Menge zu sagen. Das Besondere ist allerdings, dass bei diesem Song Schlagzeuger Jan Fride Wolbrandt als Urheber gelistet wird.
    Jan Fride Wolbrandt: "Meine Freundin hat mich irgendwie nach Marakkesch mitgeschleppt im Februar, da ging das gerade noch. Da hatte ich dann so ein paar marokkanische Kastagnetten und so’n geiles Tambourin, und ich hab dann versucht, so`n bisschen so einen Orient-Groove zu spielen."
    Moment, eigentlich ist das doch einfach nur ein Vier-Viertel-Backbeat?
    Jan Fride Wolbrandt: "Aber auf ´ner Sechserbetonung! Ding-digering-ding-dingering. Das machen diese Kastagnetten auch, diese Blechdinger. Man kann aber auch einen Vierer durchziehen. Das Ist so ein Mix."

    Ungerade Takte, verschlungene Melodik

    Verschroben—verschobene Rhythmen wie dieser finden sich in der Diskografie von Kraan öfter.
    Jan Fride Wolbrandt: "Ja, schon, aber mit Fünfern oder Siebenern hatte ich immer meine Schwierigkeiten. Da waren ja die Embryos immer die Weltmeister in krummen Takten. Da musste ich oft passen. Da hätte ich üben müssen wie die Sau. Das lag mir nicht so. Den Siebener bei "Vollgas Ahoi", den habe ich gerade noch hingekriegt. Ich hör’s total gern, aber ich hab` Schwierigkeiten, das locker zu spielen, so schräge Sachen."
    Ein schönes Stichwort, das Jan Fride da gibt, der nach eigener Aussage "musikalischer Analphabet" ist, weil er nie Unterricht hatte und nie nach Noten oder mit Metronom getrommelt hat. Das epische Instrumental "Vollgas Ahoi" aus den mittleren 70er-Jahren macht seinem Namen alle Ehre, mit dem sich drehenden Beat und der verschlungenen Melodik. Wer sich dazu nicht bewegt, muss in die Notaufnahme.
    Musik: "Vollgas Ahoi"
    "Vollgas Ahoi" ist eines von mehreren berühmten Kraan-Instrumentals aus den 70er-Jahren, die die Band bis heute spielt. Diese Mischung aus rein autodidaktischem Wagemut, dem bedingungslosen Aufeinanderhören und dem unbedingten Willen zu melodischer und rhythmischer Logik hebt die Band ab von anderen sogenannten Krautrock-Bands der 70er, die aus heutiger Sicht wahlweise chaotisch, verkopft, abgehoben oder schlichtweg dilettantisch klingen. Wir nennen jetzt mal keine Namen.

    Der in den Tönen schwelgt

    Dass Kraan so klingen, wie sie klingen, liegt auch an den Eigenschaften des Kern-Trios, das sich nach diversen Besetzungswechseln um 2008, als alle schon Ende 50, Anfang 60 waren, wiedergefunden hat. Bassist Hellmut Hattler:
    "Jan ist kein Pattern-Schlagzeuger, was er auch kann. Jan spielt melodisch, spielt den Song so, wie die Musik ihn vorgibt. Das ist ganz selten. Weil die meisten Schlagzeuger studiert haben und wissen, ab Takt soundso ändere ich das Pattern, weil da ein Refrain ist. Das ist ein musikalischer Schlagzeuger, der auch die Fähigkeit hat, ganz feine Shuffles zu machen. Aber das würde er nie wissen, was er da macht. Er macht alles instinktiv. Das Instinktive ist bei Peter auch ganz im Vordergrund. Der weiß auch nicht, was er da macht. Der schwelgt in den Tönen. Manchmal schwelgt er so, dass er fast vergisst, wann’s in den nächsten Part geht."
    Hattler sagt, aus diesem Grund habe er seinen etwas auffälligen Bass-Stil überhaupt erst entwickelt. Um die anderen rechtzeitig zu, nun ja – warnen.
    Hellmuth Hattler: "Achtung! Achtung! Achtung! Da kommt ein Wechsel! Da haben dann viele gesagt, ja der Hattler, der spielt aber auffällig. Das habe ich nicht gemacht, weil ich auffällig spielen wollte, sondern, damit das Arrangement funktioniert."

    Im Refrain geht die Sonne auf

    Hellmut Hattler schlägt die Saiten fast immer mit dem Plektrum nah am Steg an, also zum dicken Bass-Ende hin, und er spielt viele sogenannte Deadnotes, perkussive, aber tonlose Noten. So kommt Musik in die Musik. Doch am längsten prägt er mit diesem Signature-Sound eben seine Ursprungs-Band Kraan.
    Hellmut Hattler: "Das Plektrum macht natürlich einen Anschlag und es ist wichtig, dass das mit dem Schlagzeuger zusammen funktioniert. Dass meine Beats das Schlagzeug ergänzen… Bei Tab Two hatten wir teilweise elektronische Beats, die ziemlich tot und dumpf daherkamen. Und wenn ich dann mit meinen 16tel-Geschichten, Deadnotes auf dem Bass den Groove zum Leben erweckt habe, das ist dann schon interessant. Auf der anderen Seite die Obertöne, die liebe ich natürlich über alles und die lasse ich auch immer so’n bisschen über einen Chorus laufen. Es gibt mehrere Programme…wenn’s in den Refrain geht, blas ich das ein bisschen, Stereo, dadurch geht dann auch gleich die Sonne auf."
    Fünf-Saiter mag er nicht – Hattler: "Militant vier!" – manchmal zupft er auch, aber nur manchmal. Und Slappen ist überhaupt nicht seine Welt. Hellmut Hattlers markanter, man könnte auch sagen: dominanter Bass-Sound stieß aber nicht immer auf Gegenliebe, gibt Kraan-Schlagzeuger Jan Fride Wolbrandt zu.
    "Ich muss ehrlich sagen, am Anfang hatte ich da n bisschen Probleme. Weiß Hellmut auch. Ich hab manchmal gefragt, ey kannst Du nicht mal mit den Fingern spielen, normal, wie die anderen auch? Da war Hellmut immer stinkesauer. Aber inzwischen freut man sich, wenn man es hört, so wie es ist. Denn das ist ja das Markenzeichen von Kraan auch geworden, der Bass-Sound mit dem Plektrum."
    Musik: "Holiday am Marterhorn"

    Auf einmal stand Peter auf Hardrock

    Verändert habe sich über die Jahre nicht nur die Kompositions-Weise – früher entstanden Songs durch Jams, heute bringt jeder die Ideen ein, die er für sich erarbeitet hat – sondern auch der Stil von Kraan, erläutert Jan Fride die Entwicklung der Band.
    Jan Fride Wolbrandt: "Mein Bruder und ich haben eigentlich Tanzmusik gemacht, dann kam ein Riesenbruch, da haben wir Freejazz gemacht. Und Peter war in Berlin, hat an der FH Kunst studiert und hat irgendwie ein Black Sabbath-Konzert mitbekommen und Deep Purple. Nach dieser Free Jazz-Zeit kam plötzlich Hardrock, und das haben wir irgendwie vermischt. Selber rumprobiert, was geht, und auch harte Beats dazu gespielt."
    Musik: "Pick Peat"
    "Pick Peat" von der Band Kraan, die inzwischen aus dem Kern-Trio Hellmut Hattler, Bass, Peter Wolbrandt, Gitarre und Jan-Fride Wolbrandt, Schlagzeug besteht. Diese Drei spielen tatsächlich mit Unterbrechungen seit 1970 zusammen, einer Zeit also, als die Mauer noch stand, Geschäfte um 18 Uhr schlossen und Telefone sehr lange Schnüre hatten.
    Hellmuth Hattler: " Das ist natürlich ein Riesen-Blindflug und behaftet mit unendlich viel Blauäugigkeit. Ich hab` das Abitur geschmissen sechs Wochen davor, weil ich wusste, wenn ich das jetzt nicht mache mit den Jungs, die gerade in dem Augenblick bereit waren, ihre Studien abzubrechen, dann wird das wahrscheinlich nichts. Und ich wusste, nein, von Wissen kann überhaupt keine Rede sein, ich ahnte, hatte intuitiv das Gefühl, sowas Cooles, sone spezielle Art, an Musik ranzugehen, das werde ich nie mehr nachvollziehen können, wenn ich dieses Zeitfenster nicht aufmache. Das hat sich auch total bewahrheitet."
    Viele Band-Klassiker sind mit den Jahren entstanden, die bis heute bei Kraan-Konzerten fast schon Pflicht sind. Auch Borgward, übrigens nie auf einem Studioalbum erschienen, sondern als reines Live-Stück 1980 erstmals auf "Tournee" mitgeschnitten. Hier die Trio-Version aus dem 21. Jahrhundert.
    Musik: "Borgward"

    In den USA touren? Nee, lass mal!

    Seit Jahren spielen Kraan in mittelgroßen Clubs, geschätzter Zuschauerschnitt 300 bis 400. Kommerziell richtig groß sind sie nie geworden, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre und obwohl sie nach Hellmut Hattlers Aussage in den 70ern durchaus sechsstellige Verkaufszahlen erreichten und später auch noch fünfstellige.
    Hellmut Hattler: "Es gibt ja unglaubliche Stories. Der Seymor Stein, der später Madonna gemacht hat und was weiß ich alles, der wollte ja unbedingt Kraan haben. 1973. Und die Band hat gesagt: oohhh, viel zu viel Action. Nach Amerika, da rumtouren, lass mal gut sein. Und ich bin auch zwischenzeitlich sehr happy, weil ich auch das Label bin. Und diese Übersichtlichkeit von Verkäufen und Produktionen, das ist alles überschaubar und gesund. Ich habe auch andere Systeme erlebt, wo Dir große Plattenfirmen sechsstellige Vorschüsse gezahlt haben, Dich in der ganzen Welt rumschicken und Du Dich völlig fremdbestimmt fühlst und fragst, was mach ich hier? Ging mir bei Tab Two schon n‘ bisschen so."
    Bassist Hellmut Hattler hat zwischen den diversen Auflösungen seiner Stammband "Kraan" eine Handvoll Projekte gegründet und macht für Kraan inzwischen den Plattenvertrieb und das Management. Jan Fride Wolbrandt hat bei De-Phazz, Faust und einigen Folkbands getrommelt und gelegentlich als Webdesigner oder Grafiker gearbeitet. Sein Bruder Peter, der Stratocaster-Virtuose, spielte bei Guru Guru und war bis zur Jahrtausendwende Grafiker und Programmierer. Alle drei verbindet nicht nur diese Freundschaft seit Kindertagen.

    Ein(e) Band von Brüdern

    Hellmut Hattler: "Jan Fride kam in meine Klasse, als ich neun Jahre alt war. Wir haben die Pubertät miteinander verbracht, waren echte Freunde, haben Filme gemacht, alles, was man sich nur vorstellen kann."
    Jan Fride Wolbrandt: "Eigentlich komm ich mir schon vor wie die Bee Gees. Der Hellmut ist eigentlich wie’n Bruder. Wir kennen uns seit der dritten Klasse. Da kann man echt froh sein, wenn man Freunde hat, mit denen man noch Kontakt hat und auch kreativ sein kann. Dafür bin ich sehr dankbar."
    Musik: "Das Meer"
    Was die drei Gründer von Kraan über die Freundschaft hinaus teilen, ist eine musikalische Sprache, die sie selbst entwickelt haben, die außer ihnen auch niemand zu sprechen scheint – wie Klingonisch oder Elbisch. Nerdisch. Magisch. Die Streitereien zwischendurch, die aufgegebene 70er-Jahre-Kommune im Teutoburger Wald, die Band-Auflösungen, das alles ist vergessen und verziehen.

    Musikalische Tapete für ein ganzes Leben

    Hellmut Hattler: "Je mehr ich auch mit anderen gespielt habe, umso mehr weiß ich auch, wie nicht nur eigenartig, sondern auch einzigartig diese Band ist!"
    Jan Fride Wolbrandt: "Also ich für mein Teil habe leider immer feststellen müssen: so geil wie mit Kraan war’s mit keiner Band. Das ist schon was Besonderes, wenn Du mit Deinen Brüdern quasi Musik machst. Man weiß ziemlich genau, was der andere spielt. Schlafwandlerisch fast!"
    Hellmut Hattler: "Einer schrieb mir neulich, thanks for making the world a better place. Und das rührt mich natürlich schon zutiefst. Weil ich dann auch die Bestätigung kriege, nicht das Falsche gemacht zu haben. Ganz viele Kollegen spielen einmal dieses, einmal jenes. Bei Kraan und der Musik, die ich gemacht habe, habe ich das Gefühl, das hat so klar mit mir selber zu tun, und mit dem, was mir wichtig ist. Und wenn das bei Leuten ankommt, dann ist das einfach eine langfristig wirkende Angelegenheit. Und wenn das schon 50 Jahre funktioniert, hallo? Was Besseres kann Dir als Künstler doch gar nicht passieren als die Rückmeldung, dass Du die musikalische Tapete für ein ganzes Leben bist!"
    Musik: "Solitude"