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Deutsche Grammatik in Kassel

Der schweizerische Künstler Christoph Büchel zeigt in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum seine Rauminstallation "Deutsche Grammatik". Nach spektakulären Auftritten in Paris und London verwandelt Büchel den ältesten, noch bestehenden Museumsbau Deutschlands in ein bundesrepublikanisches Panoptikum mit allem, was dazugehört: Schnäppchenmarkt, Automatenspielhalle, Bundesagentur für Arbeit, Solarium und Kneipe samt Bundeskegelbahn.

Von Carsten Probst | 11.09.2008
    Der Titel ist mindestens so plakativ wie die Ausstellung selbst - "Deutsche Grammatik" bezieht sich historisch zwar auf den Genius Loci, weil Jacob Grimm im Jahr 1818 im Museum Fridericianum als Bibliothekar den ersten Band seiner Deutschen Grammatik verfasst hat - aber natürlich soll hier vor allem die deutsche Gegenwart durchdekliniert werden, genauer die Gegenwart der Kultur in Deutschland am Beispiel eben jenes Fridericianum, das der älteste noch bestehende Museumsbau in Deutschland ist und damit von ganz allein einen Reizpunkt bildet. Christoph Büchel hat nun ein sehr authentisch wirkendes Baustellenschild vor das Haus gestellt, das darüber informiert, dass hier demnächst eine Außenstelle der Bundesagentur für Arbeit eröffnet. Das Museum, so scheint es, wird nicht mehr gebraucht, es ist aufgelöst worden. Im ganzen Haus machen sich einstweilen Zwischennutzungen breit. Im Foyer empfängt den Besucher eine ebenfalls überaus authentische, weil echte Filiale eines Schnäppchenmarktes. Dahinter warten ein vorgezogener Weihnachtsmarkt, eine Automatenspielhalle, Werbebanner einiger namhafter deutscher Unternehmen, ein Solarium, oder eine Kneipe, auf deren Bundeskegelbahn zu allem Überfluss auch noch überaus authentisch die erste Station der zerrissenen Stasiakten aus der Berliner Normannenstraße nach dem Mauerfall nachgestellt wurde. Und dann gab es da auch noch die ominöse Parteienmesse am vergangenen Wochenende, die Kassel prompt den ersten Aufreger im deutschen Feuilleton der noch jungen Saison beschert hat, weil der Künstler zu dieser Messe eben alle deutschen Parteien, auch die NPD eingeladen hatte. Was die daraufhin nach oben geschnellten Aufmerksamkeitswerte für dieses Projekt angeht, zweifellos ein gelungener Einstand für den neuen künstlerischen Leiter des Fridericianum, Rein Wolfs.

    Parteienmesse und Ausstellung erfreuten sich an diesem Wochenende jedenfalls regen Zulaufs. Das läge aber vor allem an der Kasseler Museumsnacht, beteuern die Ausstellungsmacher, und nicht daran, dass die Kasseler endlich einmal einen praktischen Nutzen in ihrem Museum sähen. Manche haben sich sogar sehr über alles das geärgert und Rein Wolfs vorgeworfen, es sei doch keine Kunst, was er hier ausstellt. "Stimmt", pflegt dieser dann zu antworten, "das Museum ist ja auch geschlossen." Damit war die Irritation meist komplett.

    Aber in Wirklichkeit ist Christoph Büchels Arbeit natürlich doch Kunst, denn Christoph Büchel ist ausgewiesenermaßen ein Schweizer Künstler. Wer sein Werk kennt, konnte nicht überrascht sein. Seit etwa drei Jahren mehren sich seine Großinstallationen in Museen in- und außerhalb Deutschlands, in denen es meist um die konsumgetränkte deutsche Alltagskultur geht, die so spezifisch deutsch genau genommen gar nicht einmal ist, wenn man von einigen ästhetischen Eigenheiten absieht. Dass Büchel demonstrativ das Museum abschafft, ist vom inhaltlichen Standpunkt sogar eine kleine Verleumdung der Deutschen, die bekanntlich Weltmeister sind im Museen-Neubauen und auch in der Förderung von Gegenwartskunst, denn man möchte sich ja dem Ausland als Kulturnation präsentieren. Es ist also schade, dass diese wie immer von Büchel akribisch aufgezogene Rieseninstallation als Provokation ein wenig ins Leere zielt. Das Thema selbst beschäftigt ihn schon länger. In Salzburg hat er schon mal für ähnlichen Aufruhr gesorgt, als er vor zwei Jahren ein Bürgerbegehren für ein fünfjähriges Moratorium für Gegenwartskunst in der Stadt initiierte, das großen Zuspruch erfuhr. 2005 lockte er Besucher ins Zürcher Helmhaus mit der Ankündigung, dass dort ein Barscheck in Höhe des Ausstellungsbudgets versteckt sei, den der Finder einlösen dürfe.

    Die öffentlichen Aufschreie, die Büchel damit provoziert, ähneln sich und sind Bestandteil seiner Projekte. In Kassel war es wieder einmal soweit - was angesichts der Vorhersehbarkeit schon beinah wieder lustig ist.