Volmer: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Deutschland ist seit Jahresbeginn wieder Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Was kommt da auf die deutsche Außenpolitik zu?
Volmer: Das wichtigste Thema, was ja die ganze Welt und die öffentliche Diskussion bei uns bewegt, ist die Frage, wie es im Irak weitergehen wird. Am 28. Januar wird Hans Blix seinen Report vorlegen. Dann wird sich die UNO mit der Frage befassen wollen, wie es nun weitergehen wird und ob sich Saddam Hussein an die Auflagen gehalten und seine Arsenale abgerüstet hat oder ob andere Schritte ergriffen werden müssen. Das ist sicherlich eine sehr schwierige Fragestellung.
Engels: Sehen Sie denn noch Chancen auf eine friedliche Einigung?
Volmer: Nach dem, was wir bis jetzt wissen, konnten die UNO-Inspekteure halbwegs effektiv arbeiten. Der Irak hat seinen Report, die sogenannte Selbstanzeige vorgelegt. Diese ist zwar lückenhaft, aber auch nach Meinung der kritischen Seite, hat der Irak die Möglichkeit, hier nachzubessern. Wir hoffen, dass Saddam Hussein die Chance ergreift, den Krieg noch abzuwenden.
Engels: Nun sagt man ja gerade den Vereinigten Staaten nach, dass die Politik aus Washington schon den Krieg unausweichlich macht, zur Not auch als amerikanischen Alleingang. Teilen Sie diese Einschätzung?
Volmer: Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Aber immerhin wurden die USA und die UNO mit ihren unterschiedlichen Ansätzen durch die UNO-Resolution 1441 wieder auf einen gemeinsamen Plan vereinigt. Wir hoffen, dass die Amerikaner doch dabei bleiben, den multilateralen Weg, eingebunden in die UNO, zu gehen. Ich hoffe nicht, dass sie den anderen Weg gehen und warten ob die UN ihre Politik unterstützt und wenn nicht, alleine handeln.
Engels: Das könnte ja gerade für Deutschland eine besonders schwierige Position werden. Diese Position besteht nicht nur, weil Deutschland im Februar den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernimmt, sondern auch weil Deutschland sich festgelegt hat, sich nicht an einem Militäreinsatz gegen den Irak zu beteiligen. Kann es sein, dass die Bundesregierung trotzdem im UN-Sicherheitsrat, wenn es dazu kommt, einem Krieg gegen den Irak zustimmt?
Volmer: Der Sicherheitsrat wird sich in der einen oder anderen Form mit dem Reformreport von Hans Blix befassen. Ob der Sicherheitsrat selber eine Empfehlung abgibt, ist noch völlig offen. Von daher ist auch die Warnung des Außenministers, sich jetzt zu dieser spekulativen Frage festzulegen, eigentlich sehr verständlich. Die Haltung der Bundesregierung und der Koalition ist meines Erachtens eindeutig. Wir werden uns an militärische Aktionen gegen den Irak nicht beteiligen. Wenn die USA und andere, völkerrechtlich durch die Resolution 1441 legitimiert, andere Konsequenzen ziehen, dann werden wir ihnen nicht in den Rücken fallen wollen und können.
Engels: Das heißt, auch Sie schließen eine Zustimmung Deutschlands zu einer möglichen Resolution nicht aus.
Volmer: Ausschließungsfragen beantworte ich grundsätzlich nicht, weil sie immer spekulativ sind.
Engels: Eine deutsche Beteiligung an einem möglichen Militäreinsatz im Irak wird also ausgeschlossen, die Zustimmung im UN-Sicherheitsrat ist aber möglich. Wird das nicht wieder auf einen Spagat für Rot-Grün und speziell auch für die Grünen hinauslaufen?
Volmer: Ich sehe den Spagat nicht, weil ich auch nicht das Ja im Sicherheitsrat zu einem Irak-Krieg sehe. Der Spagat besteht in einer ganz anderer Hinsicht. Auf der einen Seite sind die Amerikaner nach wie vor unsere wichtigsten Freunde und Verbündeten. Auf der andere Seite haben wir mit ihnen einen ganz spezifischen Disput in einer ganz spezifischen Frage. Dahinter steht allerdings die allgemeinere Fragestellung, wie nach dem Ende des Kalten Krieges denn nun die Welt geordnet werden soll. Hier gibt es zwei unterschiedliche Auffassungen. Die einen sagen, dazu gehören die Europäer und auch die Deutschen, dass die UNO und das eng mit der UNO verknüpfte Völkerrecht der oberste Regulationsmechanismus für internationale Konflikte sein soll. Und andere, vor allen Dingen in den USA, sind der Meinung, dass die verbleibende Supermacht die Ordnungsfunktion gemeinsam mit Verbündeten wahrnehmen soll. Diese verbleibenden große Modelle müssen gegen einander ausdiskutiert werden. Das ist die eigentlich schwierige Aufgabe, vor der die deutsche Außenpolitik in den nächsten Jahren steht.
Engels: Wird dieser Unilateralismus der Vereinigten Staaten bestimmend für 2003?
Volmer: Nach dem, was wir von der jetzigen Administration wissen, sieht es so aus, als würden die Unilateralisten dort sehr starkes Gewicht haben. Aber auch dort gibt es ja Mahnungen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Vereinigten Staaten, die im letzten Jahr noch allein losschlagen wollten, zumindest phasenweise auf die Pro-UNO-Linie eingeschwenkt sind. Wir hoffen, dass sich diese multilaterale Orientierung dennoch durchsetzt. Wir sind der Meinung, die Welt braucht so etwas, wie eine internationale Strukturpolitik, die an die UNO angebunden ist. Die geht nicht gegen die USA, sondern nur mit den USA zusammen. Deshalb möchten wir die USA für eine solche Politik gewinnen.
Engels: Das heißt, da kommt doch ein Spagat zwischen politischer Überzeugung einerseits und diplomatischer Notwendigkeit andererseits auf die Bundesregierung zu.
Volmer: Aber diesen Spagat gibt es ja immer, sonst bräuchte man keine Politik. Wenn die Dinge immer einfach lägen, bräuchte man keine Politiker. Wir müssen immer einen Spagat machen zwischen dem, was wir eigentlich für wünschenswert halten und der Realität, die noch nicht soweit ist. Wie man eben im Einzelnen damit umgeht, macht eben die Qualität von Regierungspolitik aus.
Engels: Nun haben Sie ja wieder eine andere Rolle. Früher waren Sie als Staatsminister im Auswärtigen Amt nun aber sind Sie in der Grünen-Fraktion. Dort regt sich ja gerade mit Blick auf den Irak-Konflikt möglicherweise Widerstand, wenn beispielsweise Winfried Herman sagt, er erwarte von der Bundesregierung, dass sie im UN-Sicherheitsrat gegen einen Krieg stimme, wenn sie einen solchen für gefährlich halte.
Volmer: Wissen Sie, der Kollege Hermann ist sportpolitischer Sprecher. Er ist weder im auswärtigen Ausschuss noch im Verteidigungsausschuss dabei. Ob er immer alle Hinter- und Vordergründe der Sicherheitspolitik kennt, da mache ich mal ein Fragezeichen hinter. Klar ist, dass der Bundeskanzler und der Außenminister und damit die Spitze der Koalition, eine klare Aussage gemacht haben. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass dies so gemeint ist, wie es gesagt wurde. Für den Fall, dass es sich ändern sollte, wovon ich aber nicht ausgehe, sähe ich für den Kurswechsel keine Mehrheit in der Koalition auf der Parlamentsebene.
Engels: Außenminister Fischer hat angekündigt, er werde die Arbeit in den Vereinten Nationen bewusst europafreundlich anlegen. Wissen Sie, was man sich darunter vorzustellen hat?
Volmer: Ja, es gibt die Frage, ob Deutschland einen ständigen Platz im Sicherheitsrat beanspruchen soll. Wir sind der Auffassung, dass es keinen dritten Platz für Deutschland im europäischen Kontext, also neben Frankreich und Großbritannien geben soll. Es sollte eigentlich einen europäischen Sitz geben. Nun ist dies aber auch Theorie und Wunschdenken. Die Realisierungschancen dafür sind relativ gering, während eine deutsche Perspektive doch weltweit sehr starken Rückhalt hat. Wir Deutschen haben deshalb gesagt, wenn wir mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann würden wir das machen. Wir wollen das aber nicht im nationalen Interesse tun, sondern wir tun das in dem Sinne, dass wir den deutschen Sitz auch in den Dienst der europäischen Politik stellen würden.
Engels: Sehen Sie auch eine gemeinsame europäische Haltung für das Jahr 2003, das ja wahrscheinlich auch wieder im Zeichen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus stehen wird?
Volmer: Also bei dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus liegen die Staaten sehr eng bei einander, also nicht nur die europäischen Länder untereinander, sondern auch mit den USA und beispielsweise Russland. Aber in dem Maße, wie sich die Bekämpfung des Terrorismus von dem Kernproblem, nämlich El Kaida und Taliban in Afghanistan, abwendet, gibt es zunehmende Diskussionen darüber, wie dieser Kampf geführt werden soll. Die Freunde jenseits des Atlantiks setzen dabei immer sehr stark auf militärische Elemente. Wir Europäer sind der Auffassung, dass der Kampf gegen den Terrorismus in letzter Instanz nicht militärisch gewonnen werden kann, sondern politisch gewonnen werden muss. Das bedeutet insbesondere, dass der Dialog, vor allem der sicherheitspolitische, mit der arabischen Welt vertieft wird. Denn nur wenn dieser Konnex zwischen Europa und den arabisch-islamischen Staaten aufrecht erhalten bleibt und vertieft wird, ist es möglich, den Nährboden, den der Terrorismus in machen Regionen der arabischen Welt findet, auszutrocknen.
Engels: Sind Sie bezüglich des Nahen Ostens für das kommende Jahr optimistisch?
Volmer: Man muss das skeptisch beurteilen. Es gibt Kräfte im Nahen Osten, die im Windschatten eines eventuellen Irak-Krieges versuchen, ihre eigenen Interessen dort auch vielleicht militärisch durchzusetzen. Wir meinen als Europäer und als Deutsche, dass es eigentlich die primäre Aufgabe wäre, den Nah-Ost-Konflikt zu lösen, also einen friedlichen Interessensausgleich zwischen den Israelis und den Palästinensern herzustellen. Dann wäre auch eines der großen Frustpotentiale beseitigt, die mit dazu beitragen, dass der Terrorismus in der arabisch-islamischen Welt eine bestimmte Sympathisantenschaft genießt. Also wir finden die Lösung des Nah-Ost-Konfliktes erheblich dringender, als einen weiteren Konflikt, nämlich den mit dem Irak, über die militärische Eskalationsschwelle zu treiben.
Link: Interview als RealAudio
Engels: Deutschland ist seit Jahresbeginn wieder Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Was kommt da auf die deutsche Außenpolitik zu?
Volmer: Das wichtigste Thema, was ja die ganze Welt und die öffentliche Diskussion bei uns bewegt, ist die Frage, wie es im Irak weitergehen wird. Am 28. Januar wird Hans Blix seinen Report vorlegen. Dann wird sich die UNO mit der Frage befassen wollen, wie es nun weitergehen wird und ob sich Saddam Hussein an die Auflagen gehalten und seine Arsenale abgerüstet hat oder ob andere Schritte ergriffen werden müssen. Das ist sicherlich eine sehr schwierige Fragestellung.
Engels: Sehen Sie denn noch Chancen auf eine friedliche Einigung?
Volmer: Nach dem, was wir bis jetzt wissen, konnten die UNO-Inspekteure halbwegs effektiv arbeiten. Der Irak hat seinen Report, die sogenannte Selbstanzeige vorgelegt. Diese ist zwar lückenhaft, aber auch nach Meinung der kritischen Seite, hat der Irak die Möglichkeit, hier nachzubessern. Wir hoffen, dass Saddam Hussein die Chance ergreift, den Krieg noch abzuwenden.
Engels: Nun sagt man ja gerade den Vereinigten Staaten nach, dass die Politik aus Washington schon den Krieg unausweichlich macht, zur Not auch als amerikanischen Alleingang. Teilen Sie diese Einschätzung?
Volmer: Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Aber immerhin wurden die USA und die UNO mit ihren unterschiedlichen Ansätzen durch die UNO-Resolution 1441 wieder auf einen gemeinsamen Plan vereinigt. Wir hoffen, dass die Amerikaner doch dabei bleiben, den multilateralen Weg, eingebunden in die UNO, zu gehen. Ich hoffe nicht, dass sie den anderen Weg gehen und warten ob die UN ihre Politik unterstützt und wenn nicht, alleine handeln.
Engels: Das könnte ja gerade für Deutschland eine besonders schwierige Position werden. Diese Position besteht nicht nur, weil Deutschland im Februar den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernimmt, sondern auch weil Deutschland sich festgelegt hat, sich nicht an einem Militäreinsatz gegen den Irak zu beteiligen. Kann es sein, dass die Bundesregierung trotzdem im UN-Sicherheitsrat, wenn es dazu kommt, einem Krieg gegen den Irak zustimmt?
Volmer: Der Sicherheitsrat wird sich in der einen oder anderen Form mit dem Reformreport von Hans Blix befassen. Ob der Sicherheitsrat selber eine Empfehlung abgibt, ist noch völlig offen. Von daher ist auch die Warnung des Außenministers, sich jetzt zu dieser spekulativen Frage festzulegen, eigentlich sehr verständlich. Die Haltung der Bundesregierung und der Koalition ist meines Erachtens eindeutig. Wir werden uns an militärische Aktionen gegen den Irak nicht beteiligen. Wenn die USA und andere, völkerrechtlich durch die Resolution 1441 legitimiert, andere Konsequenzen ziehen, dann werden wir ihnen nicht in den Rücken fallen wollen und können.
Engels: Das heißt, auch Sie schließen eine Zustimmung Deutschlands zu einer möglichen Resolution nicht aus.
Volmer: Ausschließungsfragen beantworte ich grundsätzlich nicht, weil sie immer spekulativ sind.
Engels: Eine deutsche Beteiligung an einem möglichen Militäreinsatz im Irak wird also ausgeschlossen, die Zustimmung im UN-Sicherheitsrat ist aber möglich. Wird das nicht wieder auf einen Spagat für Rot-Grün und speziell auch für die Grünen hinauslaufen?
Volmer: Ich sehe den Spagat nicht, weil ich auch nicht das Ja im Sicherheitsrat zu einem Irak-Krieg sehe. Der Spagat besteht in einer ganz anderer Hinsicht. Auf der einen Seite sind die Amerikaner nach wie vor unsere wichtigsten Freunde und Verbündeten. Auf der andere Seite haben wir mit ihnen einen ganz spezifischen Disput in einer ganz spezifischen Frage. Dahinter steht allerdings die allgemeinere Fragestellung, wie nach dem Ende des Kalten Krieges denn nun die Welt geordnet werden soll. Hier gibt es zwei unterschiedliche Auffassungen. Die einen sagen, dazu gehören die Europäer und auch die Deutschen, dass die UNO und das eng mit der UNO verknüpfte Völkerrecht der oberste Regulationsmechanismus für internationale Konflikte sein soll. Und andere, vor allen Dingen in den USA, sind der Meinung, dass die verbleibende Supermacht die Ordnungsfunktion gemeinsam mit Verbündeten wahrnehmen soll. Diese verbleibenden große Modelle müssen gegen einander ausdiskutiert werden. Das ist die eigentlich schwierige Aufgabe, vor der die deutsche Außenpolitik in den nächsten Jahren steht.
Engels: Wird dieser Unilateralismus der Vereinigten Staaten bestimmend für 2003?
Volmer: Nach dem, was wir von der jetzigen Administration wissen, sieht es so aus, als würden die Unilateralisten dort sehr starkes Gewicht haben. Aber auch dort gibt es ja Mahnungen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Vereinigten Staaten, die im letzten Jahr noch allein losschlagen wollten, zumindest phasenweise auf die Pro-UNO-Linie eingeschwenkt sind. Wir hoffen, dass sich diese multilaterale Orientierung dennoch durchsetzt. Wir sind der Meinung, die Welt braucht so etwas, wie eine internationale Strukturpolitik, die an die UNO angebunden ist. Die geht nicht gegen die USA, sondern nur mit den USA zusammen. Deshalb möchten wir die USA für eine solche Politik gewinnen.
Engels: Das heißt, da kommt doch ein Spagat zwischen politischer Überzeugung einerseits und diplomatischer Notwendigkeit andererseits auf die Bundesregierung zu.
Volmer: Aber diesen Spagat gibt es ja immer, sonst bräuchte man keine Politik. Wenn die Dinge immer einfach lägen, bräuchte man keine Politiker. Wir müssen immer einen Spagat machen zwischen dem, was wir eigentlich für wünschenswert halten und der Realität, die noch nicht soweit ist. Wie man eben im Einzelnen damit umgeht, macht eben die Qualität von Regierungspolitik aus.
Engels: Nun haben Sie ja wieder eine andere Rolle. Früher waren Sie als Staatsminister im Auswärtigen Amt nun aber sind Sie in der Grünen-Fraktion. Dort regt sich ja gerade mit Blick auf den Irak-Konflikt möglicherweise Widerstand, wenn beispielsweise Winfried Herman sagt, er erwarte von der Bundesregierung, dass sie im UN-Sicherheitsrat gegen einen Krieg stimme, wenn sie einen solchen für gefährlich halte.
Volmer: Wissen Sie, der Kollege Hermann ist sportpolitischer Sprecher. Er ist weder im auswärtigen Ausschuss noch im Verteidigungsausschuss dabei. Ob er immer alle Hinter- und Vordergründe der Sicherheitspolitik kennt, da mache ich mal ein Fragezeichen hinter. Klar ist, dass der Bundeskanzler und der Außenminister und damit die Spitze der Koalition, eine klare Aussage gemacht haben. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass dies so gemeint ist, wie es gesagt wurde. Für den Fall, dass es sich ändern sollte, wovon ich aber nicht ausgehe, sähe ich für den Kurswechsel keine Mehrheit in der Koalition auf der Parlamentsebene.
Engels: Außenminister Fischer hat angekündigt, er werde die Arbeit in den Vereinten Nationen bewusst europafreundlich anlegen. Wissen Sie, was man sich darunter vorzustellen hat?
Volmer: Ja, es gibt die Frage, ob Deutschland einen ständigen Platz im Sicherheitsrat beanspruchen soll. Wir sind der Auffassung, dass es keinen dritten Platz für Deutschland im europäischen Kontext, also neben Frankreich und Großbritannien geben soll. Es sollte eigentlich einen europäischen Sitz geben. Nun ist dies aber auch Theorie und Wunschdenken. Die Realisierungschancen dafür sind relativ gering, während eine deutsche Perspektive doch weltweit sehr starken Rückhalt hat. Wir Deutschen haben deshalb gesagt, wenn wir mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann würden wir das machen. Wir wollen das aber nicht im nationalen Interesse tun, sondern wir tun das in dem Sinne, dass wir den deutschen Sitz auch in den Dienst der europäischen Politik stellen würden.
Engels: Sehen Sie auch eine gemeinsame europäische Haltung für das Jahr 2003, das ja wahrscheinlich auch wieder im Zeichen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus stehen wird?
Volmer: Also bei dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus liegen die Staaten sehr eng bei einander, also nicht nur die europäischen Länder untereinander, sondern auch mit den USA und beispielsweise Russland. Aber in dem Maße, wie sich die Bekämpfung des Terrorismus von dem Kernproblem, nämlich El Kaida und Taliban in Afghanistan, abwendet, gibt es zunehmende Diskussionen darüber, wie dieser Kampf geführt werden soll. Die Freunde jenseits des Atlantiks setzen dabei immer sehr stark auf militärische Elemente. Wir Europäer sind der Auffassung, dass der Kampf gegen den Terrorismus in letzter Instanz nicht militärisch gewonnen werden kann, sondern politisch gewonnen werden muss. Das bedeutet insbesondere, dass der Dialog, vor allem der sicherheitspolitische, mit der arabischen Welt vertieft wird. Denn nur wenn dieser Konnex zwischen Europa und den arabisch-islamischen Staaten aufrecht erhalten bleibt und vertieft wird, ist es möglich, den Nährboden, den der Terrorismus in machen Regionen der arabischen Welt findet, auszutrocknen.
Engels: Sind Sie bezüglich des Nahen Ostens für das kommende Jahr optimistisch?
Volmer: Man muss das skeptisch beurteilen. Es gibt Kräfte im Nahen Osten, die im Windschatten eines eventuellen Irak-Krieges versuchen, ihre eigenen Interessen dort auch vielleicht militärisch durchzusetzen. Wir meinen als Europäer und als Deutsche, dass es eigentlich die primäre Aufgabe wäre, den Nah-Ost-Konflikt zu lösen, also einen friedlichen Interessensausgleich zwischen den Israelis und den Palästinensern herzustellen. Dann wäre auch eines der großen Frustpotentiale beseitigt, die mit dazu beitragen, dass der Terrorismus in der arabisch-islamischen Welt eine bestimmte Sympathisantenschaft genießt. Also wir finden die Lösung des Nah-Ost-Konfliktes erheblich dringender, als einen weiteren Konflikt, nämlich den mit dem Irak, über die militärische Eskalationsschwelle zu treiben.
Link: Interview als RealAudio
