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Deutsche Hoffnungsträgerin

Die deutschen Hoffnungen auf dem Gebiet der Mathematik tüfteln ab morgen bei der Internationalen Mathematikolympiade - kurz IMO - in Kasachstan. Unter ihnen die 17-jährige Lisa Sauermann aus Dresden - ein Ausnahmetalent.

Von Lenore Lötsch |
    Wenn Lisa Sauermann einen Moment hochguckt von ihrem Schreibtisch, auf dem die Bücher kleine Türmchen bilden und mit Bleistift beschriebene Zettel mit endlosen Rechnungen und Beweisen liegen, dann fällt der Blick auf ihre Schule. Das Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium in Dresden ist eine Spezialschule mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Und trotzdem ist Mathe für Lisa Sauermann in erster Linie Hobby und als Schulfach inzwischen eher uninteressant.

    "Man kann nicht erwarten, dass wenn man sich in seiner Freizeit so sehr mit Mathematik beschäftigt wie ich, dass man dann irgendwie in der Schule noch sehr viel geboten kriegt, was man nicht weiß. Und das ist, denke ich, auch ganz normal und deswegen ist es auch so, dass ich im Mathematikunterricht irgendwie Sachen lesen kann, die mich mehr interessieren."

    Die aschblonde 17-Jährige kommt nach den Ferien in die 12. Klasse. Bei den Internationalen Mathematikolympiaden der vergangenen Jahre hat sie bereits zwei Goldmedaillen und eine Silbermedaille gewonnen. Und gern würde sie Außenstehenden ihre Mathematikbegeisterung vermitteln, wenn die nicht immer nur nach dem Rechnen fragen würden. Mathe ist so viel mehr für Lisa Sauermann:

    "Problemlösen durch Kreativität, Beweise finden, logische Schlussfolgerungen ziehen, abstraktes Denken – aber nicht so: Rumrechnen mit Zahlen!"

    Und ihr Betreuer der 26-jährige Christian Reiher, der mit vier Gold- und einer Bronzemedaille immer noch der erfolgreichste IMO-Teilnehmer der Welt ist, ergänzt:

    "Also, so wie Klavierspielen nicht davon handelt, dass man gute Fingerübungen machen kann. Es ist wichtig, dass man sozusagen rechnen kann, dass man auch lange komplizierte Rechnungen gut überblickt, aber das ist eigentlich nur ein Hilfsmittel, während es eigentlich darauf ankommt, durch die Rechnung irgendwas zu verstehen."

    Seit Februar haben Lisa Sauermann und Christian Reiher intensiv miteinander gearbeitet: Mit Hilfe von Klausuren, Trainingslagern, fünf Spezialseminaren und einem Intensivtraining, bei dem zwölf Stunden täglich Mathe trainiert wurde, ist die deutsche Mannschaft ausgewählt worden. Ab morgen vertreten sie Deutschland in Kasachstan bei der IMO: fünf Jungen und Lisa. Der Mädchenanteil bei der Matheolympiade schwankt zwischen acht und zehn Prozent.

    "Die meisten Mädchen sind breiter gefächert. Also meine Schwester zum Beispiel interessiert sich auch für Mathe und Physik, aber macht auch viel Gitarre und hat Gesangsunterricht und so und legt sozusagen auf diese Vielfalt wert. Aber mit der breiten Interessenlage ist natürlich schwerer bis ganz nach oben zu kommen, das heißt ja nicht, dass man dadurch weniger glücklich ist. Aber mir macht es sozusagen mehr Spaß in einer Sache ganz oben mitzuspielen."

    Und doch betont die Schülerin, dass es bei allem Ehrgeiz für sie bei der Mathematikolympiade vor allem um den Spaß geht. Im vergangenen Jahr belegte Deutschland den neunten Platz in der Nationenwertung. China, Japan und Korea sind auch in diesem Jahr die großen Favoriten.

    "Wir machen das insgesamt aus Spaß an der Freude und weil es uns begeistert. Aber in den asiatischen Ländern hat das für die Teilnehmer eine ganz andere Bedeutung. Davon hängt ab, ob sie studieren können, wo sie studieren können, die Zukunft ihrer ganzen Familie kann von dieser Olympiade abhängen. Und damit hat das natürlich eine ganz andere Bedeutung, ein ganz anderer Zwang, ein Leistungsdruck."

    550 Teilnehmer aus aller Welt, ein großer Raum und an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vier einhalbstündige Klausuren: Das ist Lisas Perspektive für diese Woche. Und danach will sie sich entscheiden: Zum Mathematikstudium gibt es für sie keine Alternative. Im Moment schwankt sie jedoch zwischen den Studienorten Bonn und Rostock. Für Rostock spricht ihr Betreuer Christian Reiher: Der ehemalige IMO-Champion ist dort gerade promoviert worden und dessen Doktorvater Hans Dietrich Gronau schwärmt:

    "Normalerweise ist es so, wenn einer es in drei Jahren schafft, ist das sehr gut. Christian hat es in gut einem Jahr geschafft. Viele schreiben Arbeiten über 100 Seiten. Christian hat 38 Seiten und er hat ein altes Problem gelöst, wo sich schon andere sehr drum bemüht hatten. Das ist sicherlich ein einmaliges Erlebnis in meinem ganzen Leben, dass man so einen Doktoranden hat."

    Vielleicht ist die Einmaligkeit doch wiederholbar: Das mathematische Ausnahmetalent Lisa Sauermann versucht aber erst einmal dem Rekord ihres Betreuers bei der Mathematikolympiade möglichst nahe zukommen: Und so zählt in Astana in Kasachstan nur die Goldmedaille.

    "Ich würd mich natürlich freuen, wenn ich dieses Jahr noch eine Goldmedaille erringen könnte. Mal sehen, ob das klappt."