Freitag, 19. April 2024

Archiv


Deutsche Identifikationsfigur

Im öffentlichen Geschichtsbewusstsein ist er der wohl bekannteste deutsche Monarch, geachtet wie umstritten: Friedrich II. Jürgen Luh und Tillmann Bendikowski haben sich beide auf ganz unterschiedliche Weise mit der historischen Größe des Flöte spielenden Herrschers beschäftigt.

Von Sabine Pamperrien | 23.01.2012
    Der alte Fritz war ein Genie in Sachen Eigen-PR. Alles, was er tat, tat er nur, um sich selbst in ein möglichst gutes Licht zu rücken. Das zumindest ist der Tenor der Betrachtungen von Jürgen Luh. Der Historiker ist bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg für Wissenschaft und Forschung zuständig. Er will mit der bisherigen Sicht auf Friedrich aufräumen. Der Regent sei nämlich keineswegs in einem schicksalhaften Widerspruch zwischen intellektuellem Anspruch als Anhänger der Aufklärung und den Anforderungen als Herrscher einer aufstrebenden Großmacht gefangen gewesen. Alles war Kalkül, so Luh.

    "Als ein Großer wollte Friedrich wahrgenommen werden von seinen Zeitgenossen und der Nachwelt. Auf dieses Ziel war all sein Handeln gerichtet. Setzt man das voraus, ergibt sich in seinem Reden und Handeln kein Widerspruch, im Gegenteil: Alles greift ineinander, alles ordnet sich seinem unbedingten Wollen unter, als Friedrich der Große in die Geschichte einzugehen."

    Für Luh ist das Bild vom "Philosophen auf dem Thron" ebenso Produkt von Friedrichs Selbstinszenierung wie das Bild vom großen Kriegshelden. Mal habe ihm das eine genützt, mal das andere. Von tragischem Dilemma keine Spur, urteilt zumindest Luh, der seine Thesen umfassend mit Selbstzitaten Friedrichs belegt. Dieser habe die Wirkmechanismen der Meinungsbildung durchschaut und perfekt zu nutzen gewusst, so Luh.

    "Dass die Öffentlichkeit wusste, was er tat, auch wie sie von ihm dachte, von ihm sprach, war Friedrich von Anfang an wichtig. Friedrich hatte die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit sehr früh erfasst. Diese moderne Bezeichnung trifft sehr genau des Königs Umgang mit den Möglichkeiten, Meinung zu machen und diese auch zu beeinflussen."

    Seine ersten Erfolge im Krieg um Schlesien kamen in der Berliner Bevölkerung nicht so an, wie Friedrich es sich wünschte, fand Luh heraus. In der Gerüchteküche brodelte es von vermeintlichen Heldentaten des Königs, die ihn als Witzfigur erscheinen ließen. Deshalb, so Luh, habe Friedrich sich entschieden, selbst als Kriegsberichterstatter zu fungieren.

    "Selbst zu schreiben, dadurch eine - seine - Sichtweise vorzugeben, war weitsichtig und klug, eine von Friedrichs folgenreichsten Ideen und Leistungen überhaupt. Um sich und seine Sache bekannt zu machen, verfasste der König die Berichte von seinen Bewegungen und Schlachten eigenhändig und ließ sie in ganz Europa verbreiten."

    Luh findet im publizistischen Nachlass sogar Hinweise, dass es Friedrich selbst war, der seinen Beinamen "der Große" dem kollektiven Gedächtnis einpflanzte. Berühmte Multiplikatoren wie der französische Aufklärer Voltaire seien von Friedrich nur benutzt worden, um über ihre Schriften seinen Ruhm europaweit zu verbreiten, so Luh. Schon die fehlgeschlagene Desertion, die Friedrichs Begleiter Katte das Leben kostete und den Kronprinzen in Festungshaft und fast um den Thron brachte, habe Friedrich nur geschickt inszeniert, um an Europas Höfen auf sich aufmerksam zu machen.

    Den wirklich überzeugenden Beweis für diese Sicht bleibt Luh jedoch schuldig. Überhaupt: Allzu oft finden sich in der Beweisführung Sätze wie "Wir dürfen daher annehmen". Zahlreiche Thesen sind viel zu vage. Luhs unbestreitbares Verdienst: Seine kritische Quellenstudie zeigt überaus lebendig den ungewöhnlichen Scharfsinn Friedrichs.

    Friedrichs Intelligenz hat auch Tillmann Bendikowski fasziniert. Ihn interessiert jedoch besonders das Nachleben des Preußen. Der Historiker will den Irrungen der späteren Rezeption auf die Spur kommen. Wie konnte Friedrich in sämtlichen Phasen der deutschen Geschichte zur Identifikationsfigur werden? "Seine vermeintliche Größe ist maßgeblich eine Zuschreibung der Nachwelt", schreibt dieser Autor. Bendikowsi hält - ganz im Gegensatz zu Jürgen Luh - Friedrichs Selbsteinschätzung als "Philosoph von Sanssouci" für angemessen.

    "Der Monarch war gleichermaßen absolutistischer Herrscher und ein risikobereiter Krieger, ein schillernder Intellektueller und ambitionierter Liebhaber der Künste. Er bewegte sich nicht nur souverän durch die klassischen und zeitgenössischen Werke der Philosophie, sondern erwies sich schon früh als intellektuelle Ausnahmeerscheinung auf dem Königsthron. Er überragte in dieser Hinsicht sowohl die Vorgänger als auch die Nachfolger auf dem preußischen Thron."

    Im ersten Teil seines Buchs schildert Bendikowski Friedrichs Leben. Er ordnet Handeln und Denken des Monarchen atmosphärisch dicht in die jeweilige politische Grundgestimmtheit ein. Der König erscheint so ganz als Kind seiner Zeit. Der Autor denunziert Friedrich zwar nicht als Aufschneider wie etwa Jürgen Luh. Doch hebt er hervor, dass Friedrichs Eroberungen nicht der militärischen Genialität zu verdanken waren, wie es in früheren Analysen hieß, sondern schlichtem Glück. Der überraschende Tod der russischen Zarin hatte zum Auseinanderbrechen der gegnerischen Koalition geführt und so Preußens Aufstieg zur Großmacht ermöglicht.

    "Die Vorstellung, einer Welt voll Feinde die Stirn geboten zu haben, und dies vor allem durch Willen und eisernes Durchhalten, sollte im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte noch eine unrühmliche Rolle spielen. In Wahrheit hatte Friedrich als Kriegsherr geradezu unverschämtes Glück."

    Im zweiten Teil seines Buchs widmet sich der Autor dem Nachleben des Königs. Das erweist sich als genauso spannend. Bendikowski:

    "Wer den Blick auf diesen König und sein uns fremdes Leben richtet, schaut zugleich auf die erstaunlichen Erinnerungsanstrengungen ganzer Generationen und damit auf die permanenten Neuentwürfe der deutschen Geschichte. Friedrich ist auch in seinem Nachleben eine außerordentliche Gestalt - und an dieser wird erkennbar, wie mit einer historischen Figur in Deutschland Politik und Geschichte gemacht wurde."

    Schon kurz nach dem Tod des alten Fritz begann die bis heute seltsam anmutende politische Instrumentalisierung. Jede politische Strömung arbeitete sich an Friedrich ab. Und entwarf völlig unterschiedliche Bilder, die sich zuweilen sogar widersprachen. Seine unmittelbaren Nachfolger auf dem Thron weigerten sich, ihn als "Großen" zu bezeichnen.

    "Die Erinnerungsfigur Friedrich wurde von den politischen Lagern im Vormärz denkbar unterschiedlich beurteilt. Zu den prominenten Kritikern zählte Friedrich Wilhelm IV. Geprägt von der Restauration in Preußen, wurde der angeblich so freie Geist Friedrichs ins Feld geführt, was ihn zu einem Instrument der Kritik an der aktuellen preußischen Regierung machte."

    Wie die Nationalsozialisten Friedrich eindeutschten und später die DDR-Oberen ihn unter Verrenkungen auch für sich entdeckten, zeichnet Bendikowski ebenso einleuchtend nach wie den wechselhaften Umgang mit Friedrich in der jungen Bundesrepublik und seit der Wende. Er schreibt unprätentiös und gut verständlich. Der gelernte Journalist hat sehr übersichtlich den Stand der aktuellen Friedrich-Forschung zusammen gestellt, bis hin zur Ikonografie in Bildender Kunst und Film. Mit Friedrich als Mittelsmann ist Bendikowski eine höchst informative und angenehm kurze Geistesgeschichte Deutschlands gelungen.

    Jürgen Luh
    Der Große. Friedrich II. von Preußen. Siedler Verlag, 287 Seiten, 19,99 Euro
    ISBN: 978-3-886-80984-4

    Tillmann Bendikowski
    Friedrich der Große. Bertelsmann Verlag, 331 Seiten,19,99 Euro
    ISBN: 978-3-570-01131-7

    Portal Friedrich der Große