Nicht jeder der Besucher wird alleine wegen der Kunst den Weg ins kleine Musée de L’Annonciade am Hafen von Saint Tropez finden. Während draußen die Luft vor Hitze flirrt, arbeitet die Klimaanlage, in der zum Museum umgebauten einstigen Fischerkirche, auf Hochtouren und verspricht Abkühlung - die mancher französische Museumsgast auch angesichts der knapp 50 zur diesjährigen Sommerausstellung vereinten Werke empfinden dürfte.
Als Blickfang, dem Eingang gegenüber, dienen Marianne von Werefkins Bilder "Herbst" und "Frau mit Laterne", worauf Werefkin eine vermummte Gestalt durch eine eisige Winterlandschaft stapfen lässt. Museumsdirektor Jean-Paul Monery konfrontiert jetzt seine Landsleute mit den Werken der Künstler des "Blauen Reiters", die diese in Frankreich bisher eher vereinzelt in großen Übersichtsausstellungen zur modernen deutschen Kunst entdecken konnten.
Will Monery den Franzosen den deutschen Expressionismus mit Bildern von Marc, Macke, Kandinsky, Jawlensky oder Münter näher bringen?
"Wir gebrauchen in Frankreich den Begriff 'Expressionismus' immer dann, wenn wir von der Kunst der klassischen Moderne in Deutschland reden wollen. 'Der Blaue Reiter' hat für mich jedoch nichts mit Expressionismus zu tun. Dieser Begriff bezieht sich doch eher auf die Kunst im Berlin der 20er Jahre. Das Problem ist, dass die Deutschen selbst zu Beginn des Jahrhunderts den Begriff Expressionismus gebrauchten, wenn sie von ihrer modernen Kunst sprachen. Ganz ähnlich benutzten wir lange den Begriff 'Impressionismus', wenn wir in Frankreich unsere moderne Kunst meinten."
Über Begrifflichkeiten, ob nun der "Blaue Reiter" vielleicht doch dem Expressionismus zuzurechnen wäre, ließe sich streiten. Doch hierum geht es Monery in seiner Ausstellung auch nicht.
Wenn jetzt etwa die von schwarzen Konturen umrissene, grellfarbige "Landschaft bei Obersdorf" und die "Byzantinerin" - beide 1910 von Jawlensky gemalt - Mackes "Vier Badende" oder seine "Spaziergänger" von 1913, Marcs an einen Holzschnitt erinnerndes, in reinen Farben komponiertes Aquarell "Pferde" von 1912 und Kandinskys frühes Ölbild "Landschaft mit Turm" von 1908 oder sein Holzschnitt "Zwei Reiter" vor rotem Hintergrund in Saint-Tropez gezeigt werden, dann geschieht dies offenbar, um Vergleiche mit der kurz zuvor entstandenen französischen Kunst anzustellen. Hatten nicht schon Robert und Sonja Delaunay in Paris den Weg in die Abstraktion gewagt?
"Beim 'Blauen Reiter' muss man zunächst vor allem von Kandinsky sprechen. Er war es, der die Geburt der abstrakten Kunst in Deutschland eingeleitet hat. Sein erstes abstraktes Aquarell entstand 1910, und genau dieses Bild führte zur Gründung des 'Blauen Reiters'. Denn das Werk wurde ja zunächst bei der 'Neuen Künstlervereinigung München', der er damals angehörte, abgelehnt. Daraufhin verlässt er diesen Zusammenschluss und gründet mit anderen Künstlern den 'Blauen Reiter'. Die Ausstellungen des 'Blauen Reiters' von 1911 und 1912 werden an mehreren Orten in Deutschland gezeigt, und öffnen damals vielen die Augen für die moderne deutsche Kunst. Daher werden die Maler auch hart von offizieller Seite kritisiert. Zudem entbrennt ja auch eine Debatte um die junge französische Kunst, die von einigen deutschen Museen damals angekauft wird. Die deutschen Künstler kritisieren heftig, dass eben nicht ihre eigenen Arbeiten, sondern diejenigen etwa von van Gogh oder Gauguin erstanden werden."
Wie modern also war der "Blaue Reiter", scheint sich Monery gefragt zu haben. Zumindest hat er mit Kandinsky der deutschen Kunstgeschichte die Abstraktion beschert. Und warum wird nun erstmals in Frankreich eine ausschließlich dem "Blauen Reiter" gewidmete kleine Schau gerade in Saint-Tropez gezeigt?
"Der Grund, warum ich den 'Blauen Reiter' ausgerechnet hier vorstelle, lässt sich einfach damit erklären, dass sich starke Parallelen zu unserer Sammlung hier in Saint Tropez aufzeigen lassen. Es gibt Bilder in der Ausstellung, die sich offenbar an den Werken der Nabis-Künstler Vuillard oder Valloton orientieren. Außerdem haben wir Mackes 'Elisabeth am Schreibtisch' ausgeliehen, und hier zeigt sich die Parallele mit 'Missia an ihrem Schreibtisch' von Valloton. 'Die Lautenspielerin' von Macke verweist deutlich auf die Kunst des Fauvismus oder der Schule von Pont Aven. Man kann sagen, dass alle französischen Kunstströmungen vom 'Blauen Reiter' verarbeitet wurden. Ich denke da vor allem an Marc und Macke, die damals sehr jung waren, und begierig die neuesten Entwicklungen in der modernen Kunst verstehen und verinnerlichen wollten, und dabei auch nach Frankreich schauten. Mein Ziel war es, mit der Ausstellung dem französischen Publikum zu zeigen, dass unsere moderne Kunst von damals auch jenseits der Grenzen wahrgenommen und verstanden wurde."
Dies wird wohl leider eine Wunschvorstellung bleiben: Weder in der Ausstellung noch im Katalog wird den Besuchern Hilfestellung angeboten, um etwa Matisse fauvistisch gemalte "Zigeunerin" mit Jawlenskys "Resi" oder einige Signacs und Seurats der Sammlung mit Jawlenskys "Landschaft bei Wasserburg" formal zu vergleichen, und zu entdecken, welchen großen Einfluss die französische Kunst auf den deutschen Expressionismus im Allgemeinen, und den "Blauen Reiter" im Speziellen, einst ausgeübt hat.
Entdecken wird das französische Publikum aber sicherlich Marianne von Werefkins "Große Straße" von 1907 oder Gabriele Münters "Seine-Spaziergang" von 1906, die beide den Einfluss Edvard Munchs verraten. Die erste, wenn auch kleine Ausstellung zum "Blauen Reiter" in Frankreich hätte aber sicher mehr leisten können.
Als Blickfang, dem Eingang gegenüber, dienen Marianne von Werefkins Bilder "Herbst" und "Frau mit Laterne", worauf Werefkin eine vermummte Gestalt durch eine eisige Winterlandschaft stapfen lässt. Museumsdirektor Jean-Paul Monery konfrontiert jetzt seine Landsleute mit den Werken der Künstler des "Blauen Reiters", die diese in Frankreich bisher eher vereinzelt in großen Übersichtsausstellungen zur modernen deutschen Kunst entdecken konnten.
Will Monery den Franzosen den deutschen Expressionismus mit Bildern von Marc, Macke, Kandinsky, Jawlensky oder Münter näher bringen?
"Wir gebrauchen in Frankreich den Begriff 'Expressionismus' immer dann, wenn wir von der Kunst der klassischen Moderne in Deutschland reden wollen. 'Der Blaue Reiter' hat für mich jedoch nichts mit Expressionismus zu tun. Dieser Begriff bezieht sich doch eher auf die Kunst im Berlin der 20er Jahre. Das Problem ist, dass die Deutschen selbst zu Beginn des Jahrhunderts den Begriff Expressionismus gebrauchten, wenn sie von ihrer modernen Kunst sprachen. Ganz ähnlich benutzten wir lange den Begriff 'Impressionismus', wenn wir in Frankreich unsere moderne Kunst meinten."
Über Begrifflichkeiten, ob nun der "Blaue Reiter" vielleicht doch dem Expressionismus zuzurechnen wäre, ließe sich streiten. Doch hierum geht es Monery in seiner Ausstellung auch nicht.
Wenn jetzt etwa die von schwarzen Konturen umrissene, grellfarbige "Landschaft bei Obersdorf" und die "Byzantinerin" - beide 1910 von Jawlensky gemalt - Mackes "Vier Badende" oder seine "Spaziergänger" von 1913, Marcs an einen Holzschnitt erinnerndes, in reinen Farben komponiertes Aquarell "Pferde" von 1912 und Kandinskys frühes Ölbild "Landschaft mit Turm" von 1908 oder sein Holzschnitt "Zwei Reiter" vor rotem Hintergrund in Saint-Tropez gezeigt werden, dann geschieht dies offenbar, um Vergleiche mit der kurz zuvor entstandenen französischen Kunst anzustellen. Hatten nicht schon Robert und Sonja Delaunay in Paris den Weg in die Abstraktion gewagt?
"Beim 'Blauen Reiter' muss man zunächst vor allem von Kandinsky sprechen. Er war es, der die Geburt der abstrakten Kunst in Deutschland eingeleitet hat. Sein erstes abstraktes Aquarell entstand 1910, und genau dieses Bild führte zur Gründung des 'Blauen Reiters'. Denn das Werk wurde ja zunächst bei der 'Neuen Künstlervereinigung München', der er damals angehörte, abgelehnt. Daraufhin verlässt er diesen Zusammenschluss und gründet mit anderen Künstlern den 'Blauen Reiter'. Die Ausstellungen des 'Blauen Reiters' von 1911 und 1912 werden an mehreren Orten in Deutschland gezeigt, und öffnen damals vielen die Augen für die moderne deutsche Kunst. Daher werden die Maler auch hart von offizieller Seite kritisiert. Zudem entbrennt ja auch eine Debatte um die junge französische Kunst, die von einigen deutschen Museen damals angekauft wird. Die deutschen Künstler kritisieren heftig, dass eben nicht ihre eigenen Arbeiten, sondern diejenigen etwa von van Gogh oder Gauguin erstanden werden."
Wie modern also war der "Blaue Reiter", scheint sich Monery gefragt zu haben. Zumindest hat er mit Kandinsky der deutschen Kunstgeschichte die Abstraktion beschert. Und warum wird nun erstmals in Frankreich eine ausschließlich dem "Blauen Reiter" gewidmete kleine Schau gerade in Saint-Tropez gezeigt?
"Der Grund, warum ich den 'Blauen Reiter' ausgerechnet hier vorstelle, lässt sich einfach damit erklären, dass sich starke Parallelen zu unserer Sammlung hier in Saint Tropez aufzeigen lassen. Es gibt Bilder in der Ausstellung, die sich offenbar an den Werken der Nabis-Künstler Vuillard oder Valloton orientieren. Außerdem haben wir Mackes 'Elisabeth am Schreibtisch' ausgeliehen, und hier zeigt sich die Parallele mit 'Missia an ihrem Schreibtisch' von Valloton. 'Die Lautenspielerin' von Macke verweist deutlich auf die Kunst des Fauvismus oder der Schule von Pont Aven. Man kann sagen, dass alle französischen Kunstströmungen vom 'Blauen Reiter' verarbeitet wurden. Ich denke da vor allem an Marc und Macke, die damals sehr jung waren, und begierig die neuesten Entwicklungen in der modernen Kunst verstehen und verinnerlichen wollten, und dabei auch nach Frankreich schauten. Mein Ziel war es, mit der Ausstellung dem französischen Publikum zu zeigen, dass unsere moderne Kunst von damals auch jenseits der Grenzen wahrgenommen und verstanden wurde."
Dies wird wohl leider eine Wunschvorstellung bleiben: Weder in der Ausstellung noch im Katalog wird den Besuchern Hilfestellung angeboten, um etwa Matisse fauvistisch gemalte "Zigeunerin" mit Jawlenskys "Resi" oder einige Signacs und Seurats der Sammlung mit Jawlenskys "Landschaft bei Wasserburg" formal zu vergleichen, und zu entdecken, welchen großen Einfluss die französische Kunst auf den deutschen Expressionismus im Allgemeinen, und den "Blauen Reiter" im Speziellen, einst ausgeübt hat.
Entdecken wird das französische Publikum aber sicherlich Marianne von Werefkins "Große Straße" von 1907 oder Gabriele Münters "Seine-Spaziergang" von 1906, die beide den Einfluss Edvard Munchs verraten. Die erste, wenn auch kleine Ausstellung zum "Blauen Reiter" in Frankreich hätte aber sicher mehr leisten können.