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Deutsche Oper Berlin
Griechen unter sich

Mit "Oresteia" von Iannis Xenakis beginnt die Deutsche Oper Berlin ihre Spielzeit und sie tut es wegen der laufenden Sanierung des Hauses an einem ebenso außergewöhnlichen Spielort: in einem dem Publikum sonst verborgenen Hof zwischen Garderobentrakt, Kulissenmagazinen und Parkdeck.

Von Julia Spinola |
    Kassandra ist ein Mann. Als halb nackter Wilder erscheint der Bariton Seth Carico in einer sich öffnenden eisernen Kaktusblüte, um den bevorstehenden Mord an Agamemnon zu verkünden. In virtuosen Registerwechseln führt er einen hysterischen Dialog mit sich selbst: Mal jammert er im Falsett, mal menetekelt er in grollend tiefer Lage. Doch auch das ekstatische Stampfen in einer blutroten Flüssigkeit, das er dazu vollführt, bleibt eine vergebliche Anstrengung. Denn das griechische Volk ist eine dämliche Schafsherde, die den Unheilstanz mit einer Kelter verwechselt. Glücklich greift es nach Weinschläuchen, besäuft sich und schlummert selig ein. So passiert, was nicht aufzuhalten ist. Mord folgt auf Mord am Hof von Agamemnon und Klytämnestra.
    Inszeniert auf dem Parkdeck der Oper
    Weil die große Bühne der Deutschen Oper zurzeit wegen Sanierungsarbeiten nicht bespielt werden kann, hat David Hermann Iannis Xenakis' Musiktheater nach der Tragödie des Aischylos auf dem oberen Parkdeck der Deutschen Oper inszeniert. Immerhin hatte Xenakis seine zwischen 1966 und 1992 komponierte und immer wieder umgearbeitete "Oresteia" dezidiert als Freilichtaufführung komponiert.
    Die Musik des griechischen Solitärs der Neuen Musik, der sich von allen Schulen distanzierte und sich den Naturwissenschaften verpflichtet fühlte, entfaltet zwischen Wellblechwänden und den großen Eisentoren des Magazins unter Moritz Gnanns Leitung eine archaisierende Wucht. Es ist eine harte, bisweilen atavistisch anmutende Klangwelt, die das vornehmlich mit Bläsern und einem üppig besetzten Schlagzeug bestückte Kammerorchester entfaltet. Hauptakteure sind die verschiedenen Chöre, die als griechisches Volk, als Erinnyen oder als Eumeniden auf Altgriechisch in einem oft psalmodierenden Ton und in einer eigentümlich "viereckig" klingenden Quint- und Quartharmonik von den Stationen der Handlung berichten.
    Inszenierung mit Witz, Spaß und Klamotte
    Elektra, Orest, Agamemnon und Klytämnestra - die vier zentralen Protagonisten der Tragödie - agieren zu den Erzählungen des Chores in stilisierten, puppenspielartigen Tanzbewegungen. Schuldverstrickung und Schicksal haben sie scheinbar blind gemacht. Denn ihre Köpfe sind in übergroßen schwarzen Teerklumpen versteckt, die auch ein wenig aussehen wie die schwarzen Riesengehirne irgendwelcher Aliens. Überhaupt steckt in Hermanns Inszenierung mehr Witz, Spaß und auch Klamotte, als es das Publikum - das sich in ehrfürchtiger Erwartung hoher Bildungsgehalte zunächst jeden Lacher verkneift - womöglich realisiert.
    Das Parkdeck und seine Symboliken mischen sich kräftig ins Geschehen ein. Ein goldener Bagger fährt herein, um die Nervensäge Kassandra zu entsorgen. Die Erinnyen lauern hinter einem Gitterzaun und schwingen Schraubschlüssel in den Händen. Die hiervon eingeschüchterten griechischen Schafsköpfe verteilen zur Selbstverteidigung Papp-Pflastersteine an die Zuschauer. Und zum glücklichen Ende fährt Pallas Athene - eine Männerpartie, wie die der Kassandra - als winkende Margaret-Thatcher-Parodie in einem dicken Mercedes herein, mitten durch die Zuschauerreihen. Die eiserne Lady kommt als Friedensbotschafterin und Entwicklungshelferin in Sachen Demokratie. Doch dem finalen Jubelchor der so beglückten Griechen traut die Inszenierung nicht - wie ernst es Xenakis mit diesem hoffnungsvollen Ende auch gewesen sein muss.