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Deutsche Schwarzseherei

Lückert: Viele Deutsche blicken offenbar, was ihre rein wirtschaftliche Weiterentwicklung angeht, nicht sehr frohgemut in die Zukunft. Ein Phänomen, das sich nicht zuletzt an den heftigen Reaktionen auf die Äußerungen des Bundespräsidenten Horst Köhler ablesen lässt. Dem Magazin Focus hatte Köhler, der immerhin Chef des internationalen Währungsfonds war, gesagt, es gäbe überall in Deutschland große Unterschiede in den Lebensverhältnissen. In der Süddeutschen Zeitung diagnostiziert nun Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen in dieser perspektivlosen deutschen Gegenwartsgesellschaft sei ein überproportionales Interesse am Dritten Reich, wie es etwa Bernd Eichingers Film ‚Der Untergang’ filmisch wieder auferstehen lässt. Und dies eben auch, weil der Nationalsozialismus (zumindest in den ersten Jahren) den Menschen ein Übermaß an Zukunft versprochen hatte. An den Zukunftsforscher Matthias Horx ging nun heute die Frage: Wenn man diesem Gedankenexperiment folgt und die Tatsache, dass das Interesse für den Untergang natürlich ein medial und werbetechnisch gesteuertes ist beiseite lässt, halten Sie diese Analyse, auf der einen Seite Perspektivlosigkeit und auf der anderen Seite Faszination des Dritten Reichs für mehr als nur ein Spiel mit der Alliteration Hartz und Hitler?

Der Zukunftsforscher Matthias Horx im Gespräch |
    Horx: Das ist zumindest riskantes Denken und da ist solches schon ein bisschen spannend, es stellt aber zunächst erstmal nur Fragen, die, finde ich, da nicht beantwortet werden, weil die Auseinandersetzung mit dem Niedergang des Dritten Reiches jetzt in diesen Kontext zu stellen, ist natürlich absurd, denn da geht es nur um Trümmer und Niedergang. Was hier aber zur Debatte steht – und das finde ich spannend – sind die Zukunftsbilder einer Gesellschaft und da müssen wir schon sehen, dass wir in einer, ich nenne das immer futurophoben Gesellschaft leben, das heißt, es gibt eigentlich gar keine Dimension von Zukunft im deutschen Diskurs. Das ist anders als in anderen Gesellschaften und das hat schon etwas mit einer Tradition in Deutschland zu tun, in der die Deutschen immer nur gewendet wurden. Also Zukunft, Veränderung und Wandel war eigentlich immer nur katastrophisch denkbar als Niedergang. Es gibt keine Tradition von errungenem Wandel, von Volksaufständen, denken sie an die französische Revolution. Das hat für mich eher den Kern dieser Problematik, in der wir heute stecken.

    Lückert: Allerdings könnte man ja auch fragen: Ist es nicht auch menschlich, dass turnusmäßig traurige Phasen von hoffnungsfrohen abgelöst werden, ja sie einander sogar bedingen?

    Horx: Das wäre im Prinzip so, nur ist das bei uns inzwischen pathologisch geworden. Wenn Sie eine Medienanalyse machen, merken Sie, das geht weit hinaus über den klassischen Alarmismus der Medien, die ja immer die negative Botschaft, die Angst auch befördern müssen, das bringt ja Auflage. Es ist letztlich zu einer Art kollektiven nicht nur Melancholie, sondern Depression geworden, die selbst wiederum Probleme erzeugt. Sie können mit einem depressiven Patienten natürlich nicht die Zukunft erobern. Insofern geht das weit darüber hinaus und führt eben dazu, dass man irgendwann auch tatsächlich seinen Finger an Tabus legen muss und das hat der Bundespräsident gemacht, das finde ich gar nicht schlecht. Die Gleichheitsvorstellung, die in der deutschen Kultur drin ist, die ja auch mit katastrophischen Vorbedingungen zu tun hat, diese Idee, dass der Staat eine Absicherung bietet für alle und gleiche Lebensverhältnisse, das ist ja selten woanders so ausgeprägt wie hier.

    Lückert: Man könnte allerdings schon den Eindruck gewinnen, dass die Politik eben bürgerferner wird und ihr die Vermittlung auch notwendiger Reformen nicht mehr gelingt.

    Horx: Ja, das ist das klassische Erklärungsmuster. Das stimmt natürlich, die Politik ist im Moment sprachlos, sie hat eben auch dieses Problem des Zukunftsentwurfs nicht, zum Beispiel zu formulieren, dass wir in Zukunft in einer Gesellschaft leben müssten oder sollten, in der 80 Prozent der Menschen hochgebildet sind, das ist kaum formulier- und vermittelbar. Nur ich fürchte, dass das nicht der zentrale Punkt ist, das könnte man dann nämlich mit guten Werbemethoden letzten Endes verändern. Mein Gefühl ist, dass es gar nicht ankommen kann. Wenn Sie sich die Hartz-Gesetze mal anschauen, dahinter steckt ja ein grundlegend neues Denken über den Sozialstaat, das ist übrigens auch mit viel Hilfe von Zukunftsforschern entwickelt worden. Die Idee, dass man Menschen nicht mehr abschiebt in staatliche alimentierte Bereiche, wo sie dann vom Fernseher hocken, sondern dass man sie sich zur Brust nimmt und sie fördert und fordert, dass man eine andere Ethik der Arbeit in die Gesellschaft hineinbringt. Das wird ja überhaupt nicht diskutiert, sondern es wird nur auf der Angstverlustebene diskutiert. Diese Fragen offen in der Öffentlichkeit in Deutschland zu diskutieren ist unmöglich. Sie werden von den Medien dermaßen niederkartetscht, negativ umgedreht, dass sie gar keine Chance haben. Ich glaube, dass der mediale Diskurs über Politik mindestens genauso auf den Hund gekommen ist, wie die Stimmung bei den Leuten selber.

    Lückert: Aber könnte es nicht denn auch sein, wenn wir so weit sind, dass die Angst, eben auch die radikalen Parteien und ihre Anziehung größer werden lässt?

    Horx: Sehen Sie, das ist eine typische Journalistenfrage: könnte es nicht sein, dass es schlimmer wird?

    Lückert: Was sollte ich sonst für eine Frage stellen?

    Horx: Das ist gar keine Kritik jetzt, sondern eine typische Struktur, die Sie jeden Sonntag bei Frau Christiansen oder in jeder Radiosendung: könnte es nicht sein, dass etwas schlimmer wird? Ja. Natürlich kann es sein. Könnte es nicht sein, dass etwas besser wird? Wird das eigentlich jemals gefragt? Oder andersrum: Wann fängt eine Gesellschaft eigentlich an, die richtigen Fragen zu stellen. Das ist ja in der Wissensgesellschaft das knappe Gut. Wenn man die Fragen stellt und die Bürger an der Erarbeitung der Antworten beteiligt, dann würde man einen anderen Prozess erzeugen. Aber das setzt ein Einverständnis von tieferer, auch geistiger Demokratie voraus, der letzten Endes mit einem Zukunftserntwurf arbeitet, der davon ausgeht, dass es später besser werden kann.