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Deutsche Singspiele

Die Salzburger Festivalleitung hat die Aufführung sämtlicher Mozart-Bühnenwerke ins Programm gesetzt, und so wird wir zu Beginn der zweiten Marathonwoche nicht nur die "Zauberflöte", sondern auch "Bastien und Bastienne" sowie der "Schauspieldirektor" gezeigt. Die Zauberflöte war dabei nicht die vom Vorjahr, denn die hatte das Publikum schwer verärgert, und so griff man lieber auf eine alte Amsterdamer Produktion zurück.

Von Frieder Reininghaus |
    Mozarts letztes Bühnenwerk ist von Kontrasten des Stoffs und ambivalenten Charakteren geprägt, auch vom Frontwechsel des Hohen Paars. Der als Protagonist zur Läuterung schreitende Prinz Tamino tritt zunächst für die (allerdings eindeutig charakterisierte) Königin der Nacht an. Am Ende empfiehlt er sich als Nachfolger von deren Gegenspieler, dem höchsten Sonnenpriester, und Pamina, ihre Tochter aus nächtlichen Tiefen, zunächst in Geiselhaft bei Sarastro & Co., entdeckt im aufklärerischen Sonnenreich und der amtlich geprüften Liebe Taminos die wahre Freiheit und Zukunftsperspektive.

    Freilich war ein Wechsel der Loyalitäten, der Dienst- und Kriegsherrn zu Mozarts Lebenszeit nicht anrüchig, sondern gang und gäbe. Und, wie im wirklichen Leben, können ambivalente Charaktere auf der Bühne spannender sein als eindeutige, ohnedies die dramatischen Kontraste zwischen dem, was stofflich zur Sphäre des Volkstheaters gerechnet wird (wie das fröhliche Vögeln des Vogelhändlers) und hehren Ideen (wie denen der Freimaurer oder anderer Erleuchteter).]

    Pierre Audi führte, in Fortschreibung einer gut zehn Jahre alten Amsterdamer Produktion, "Die Zauberflöte" als grellbunt animiertes Märchenspiel vor ohne tieferen Kunstanspruch oder Ideenabhub in einer Gebirgs- und Läuterungslandschaft von Karel Appel. Der niederländische Künstler verstarb vor Kurzem im 86. Lebensjahr. Es mag Altersweisheit gewesen sein, dass Appel und Audi an so manchem Kindheitsmuster anknüpften. Die Felsen, zwischen denen Prinz Tamino sich vor der "Schlange" fürchten muss, muten an, als presche alsbald Ali Baba mit wenigstens 400 Räubern herbei. Das Ungeheuer ist ein veritabler Lindwurm mit Scheinwerferaugen. Konsequenterweise wurden die drei von der Königin der Nacht entsandten Damen in Gebirgsjäger-Uniformen gesteckt. Der mit gelboranger Strickjacke bedachte Papageno wird von fünf munteren Vögelchen begleitet, die emsig durch die Lüfte flattern und die Klüfte beleben. Später dient der fröhlich dekorierte Geschäftswagen des Vogelfängers (Modell 2 CV "Ente") als Fluchtauto. Die drei Knaben schweben in einem ebenfalls heftig bemalten Spielzeugflieger herein. Nicht minder bunt und fantastisch treten die wilden Tiere hervor und der geile fette Mohr Monostatos, der das Pummelchen Pamina zur Liebe zwingen will. Der durchgängig naive Zugriff auf das Werk ist geeignet, dieses zur Kenntlichkeit zu entstellen: als Machwerk.

    Daran ändert die nicht eben konsequent bespielte, streng geometrische vierstufige Pyramide in der zweiten Halbzeit nichts – Riesenblumen, wie aus Knetgummi geformt, konterkarieren den wohltuenden optischen Paradigmenwechsel. Es ist immer irgendwie etwas los auf der Bühne. Dieser Aktionismus verrät, wie wenig der Musik zugetraut wird. Und, fürwahr, die Stagnation und (geistige) Trägheit im Bereich des Kerngeschäfts sind das Ärgerlichste: Riccardo Muti steht zwar mit den Wiener Philharmonikern ein exzellenter Resonanzboden zu Verfügung. Doch er versteht ihn nicht zu einem wirklich brillanten und der Buntheit der Bühne entsprechenden Gesamtklang zu nutzen.1

    Mit dem Text, der bei einem auf Schauspiel basierenden Singspiel nicht ganz unwesentlich ist, hat Paul Groves, der Tamino, seine liebe Mühe (er mümmelt die Dialoge, als wäre er ein Prince of Wales). Nicht minder die beiden Primadonnen, die ins Marionettentheater verpflichtet wurden. Dort haben sie einen neuen Verschnitt von Mozarts frühem Singspiel "Bastien und Bastienne" mit dem fast zwei Jahrzehnte später entstandenen "Schauspieldirektor" zu bestreiten. Die Montage ist, was die Salzburgerin kurz und knapp einen Schmarrn nennt: offensichtlich auf fernsehgewohnte Kinder zugeschnitten. Eine Schar munterer, aber wohl nicht durchweg professioneller Musiker unter Stabführung einer ambitionierten Schulmusikerin absolvierte das musikalische Arrangement.

    Zwar hätte sich die virtuose musikalische Farce auch ernst nehmen lassen – Mademoiselle Netrebko und Mme. Kožena stehen ja gemeinsam bei anderen zusammengestoppelten Programmen (wie der Gala-Matinee) ebenso zu Verfügung wie die Wiener Philharmoniker. Aber so wenig es eine ernsthafte Bemühung um den womöglich abgründigen historischen Kontext des "Schauspieldirektors" geben sollte, so wenig wurden die virtuosen Herausforderungen der Tonkunst angenommen. Wenn es aber überhaupt einen Sinn gibt, alle Mozart-Opern und -Fragmente bei einem Festival zu versammeln, dann den, nämlich gerade den unbekannten und "problematischen" Werken die denkbar größtmögliche Aufmerksamkeit zu widmen.