Mascha Drost: Zu einem richtigen Theaterskandal taugt diese blutrünstige Produktion nicht, höchstens zu einem Skandälchen. Vor gut hundert Jahren wurden noch ganz andere Opernhäuser kurz und klein geschlagen, wie nach der Uraufführung von Strawinskis "Le Sacre du Printemps" die Paris Oper, oder bei den Konzerten der Zweiten Wiener Schule flogen die Schlüsselbunde durch den Saal. Und heute? Ein unhöfliches Türenknallen, ein paar Buhs, das sind das Äußerste. Hat sich das Publikum an provokantes Theater gewöhnt, ist es vielleicht sogar abgestumpft, oder spielt das Theater an sich eine kleinere gesellschaftliche Rolle, als eine Art Hofnarr der Politik- und Wirtschaftswelt, dessen Frechheiten man sich anhören muss und die für beide Seiten allerdings folgenlos bleiben. Morgen endet die Amtszeit von Klaus Zehelein als Präsident des Deutschen Bühnenvereins, und an ihn die Frage: Hat die Bedeutung des Theaters als Antreiber von politischen und gesellschaftlichen Diskursen in den letzten Jahren und Jahrzehnten abgenommen?
Klaus Zehelein: Das muss man unterscheiden. Dass das Theater nicht mehr das Zentrum auch von Meinungsbildung ist, das hat sich herumgesprochen, das muss man aber jetzt mal konkretisieren. Ich glaube sehr wohl, dass in den Kommunen und regional betrachtet das Theater sehr wohl seine Diskursfähigkeit gegenüber den eigenen schlechten, zum Teil unerträglichen medialen Diskursen behaupten kann. Und das ist, glaube ich, etwas ganz Wichtiges, dass es nicht mehr so am Zentrum ist, wie das vielleicht am Anfang des 20. Jahrhunderts war. Als ich am Theater anfing, war das Theater noch tatsächlich irgendwo in einer Stadt absolut meinungs- und diskursbildend, aber ich glaube, das kommt wieder. Ich glaube, es kommt deshalb wieder, weil die Diskussionen, wie wir sie in den Talkshows erleben, so was von zum Teil unerträglich und auch undifferenziert sind, sodass die Theater die Chance haben, tatsächlich durch die Lebendigkeit des Hier-und-jetzt-Seins des Spielens in den Städten, in den Kommunen, in der Region doch noch so etwas wie Meinungsführerschaft behaupten kann.
Drost: Müsste denn der Theaterbesucher vielleicht auch wieder stärker mit einbezogen werden, also weg von seiner Rolle als Konsument - die beklagen Sie ja immer wieder.
Zehelein: Das ist ja das, was die mediale Präsenz eigentlich ausmacht. Ich kritisiere das jetzt mal so im Ganzen, das ist nicht richtig. Aber letztlich werden die Menschen ja nur noch als Konsumenten dargestellt, und sie fühlen sich auch als Konsumenten, fühlen sich allerdings auch damit als Könige. Das ist natürlich falsch. Das Theater kann seine Besucher nicht als Konsumenten ansehen, dann macht es was falsch, sondern das Theater wird einen emanzipierten Zuschauer fordern müssen und nicht einen Konsumenten. Es geschieht ja bereits in den Theatern. Es geschieht damit, dass zum Beispiel die Frage der Bürgerbühnen ja ein Thema bei uns ist, es gibt zehn Theater, die bereits Bürgerbühnen haben, das heißt, es wird versucht, Menschen auf die Bühne zu bringen, um eine gesellschaftliche Authentizität vielleicht - man muss da sehr vorsichtig sein -, aber vielleicht suggerieren und damit das, was zu verhandeln ist auf dem Theater, partizipieren zusammen mit den Zuschauern auch deutlich machen kann.
Theater-Fusionen: "Jegliche Identifikation geht verloren"
Drost: Herr Zehelein, in Ihrer Amtszeit gab es einige sogenannte Strukturreformen, wie es immer heißt, das heißt, Orchester wurden fusioniert, Sparten abgeschafft, Gelder gestrichen, also Stichworte Mecklenburg-Vorpommern oder SWR-Orchester - ist das ein Problem, das sich fortsetzen wird, oder wird der Wert, sei es jetzt der ideelle oder auch der finanzielle, denn Theater kostet ja nicht nur, sondern es bringt ja auch Geld wieder zurück, wird sich auf diese Werte wieder stärker besonnen werden in Zukunft?
Zehelein: Ja, ich meine, es ist ein bisschen schwierig. Schauen Sie, Sie haben von Fusionen gesprochen. Wenn ich jetzt sehe, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert mit Neubrandenburg, Neustrelitz - die haben fusioniert und Greifswald und Stralsund haben auch fusioniert. Und jetzt kommt die Idee der Fusion der Fusion, nämlich diese bereits fusionierten Theater zu einem Theater zu fusionieren. Das halte ich natürlich für einen unglaublichen Vorgang, auch für einen Riesenfehler, weil jegliche Identifikation, die irgendwelche Bürger noch haben können, mit den Theatern, das ja ihnen gehört, damit verloren geht. Das sind Momente, die nicht auf glückliche Zeiten hoffen lassen. Das ist schon im Moment sehr, sehr schwer, also es sieht nicht sehr gut aus, ich halte allerdings grundsätzlich die Theater- und Orchesterlandschaft doch für so stark, und von den Ländern, von den Kommunen werden ja auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, sodass man - ich würde von einer fast befriedigenden Situation sprechen. Aber wie gesagt, es gibt ja noch andere Dinge. Grundsätzlich kann man nichts gegen Fusionen sagen. Es gibt einfach Dinge, die auch dann funktionieren, aber wie gesagt, es ist schon ein Problem, das wir im Moment haben.
Drost: Und dazu kommen ja noch neue Herausforderungen, Stichwort TTIP - ist das sozusagen vielleicht der Sargnagel tatsächlich oder wird es zum Sargnagel, wenn es denn kommt, dieser vielseitigen und auch staatlich subventionierten deutschen Theaterlandschaft?
Zehelein: Es ist so, wir haben gerade darüber gesprochen. TTIP ist, bevor überhaupt Zeitungen darüber geschrieben haben, für uns schon seit über zwei Jahren Thema, seitdem überhaupt die Verhandlungen in Angriff genommen wurden. Ich glaube, dass es für die Kulturpolitik sehr, sehr schwierig ist, und wir haben Glück, dass Frankreich von vorneherein erst mal interveniert hat. Die haben gesagt, wir reden hier nicht über Kultur und Kunst bei TTIP. Aber was wirklich passiert, wissen wir nicht. In der Tat ist es doch so, dass wir befürchten müssen - die Verhandlungen sind ja geheim -, dass wir also befürchten müssen, dass zum Beispiel die UNESCO-Konvention für die Unterstützung von regionalen Kulturen unterlaufen wird, dass man uns für Dienstleistungen erklärt - und dann wird's schwierig.
Drost: Klaus Zehelein, noch ist er Präsident des Deutschen Bühnenvereins, nach zwölf Jahren gibt er sein Amt ab. Morgen dann beginnt in Potsdam die Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins.