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Deutscher Geist und deutsche Landschaft

Der Mystiker Jakob Böhme, der 1624 starb, befreite sich von der Vorstellung, daß die Landschaft etwas Unberührbares, weil Gottgebenes war. Er betrachtete die Landschaft auch als ästhetisches Gebilde und entwickelte so eigene Anschauungen von der Natur.

Klaus Weinert |
    Für Friedmar Apel ist Jakob Böhme ein Vorläufer der Aufklärung, in der die kritische Reflexion der Natur auch immer ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse war. Der Mensch wurde nicht mehr nur begriffen als abhängig von der Natur, sondern als freies Wesen, das seine Umwelt auch selbstbestimmt gestalten konnte. Für Herder zeigte sich die Freiheit besonders im freien Gebrauch der Sprache, die es ihm ermöglicht, in eigener Anschauung über sich und seine Mitmenschen nachzudenken. Friedmar Apel sieht darin keimhaft den Idealismus vorgeprägt, der sich in Kants Distanz zur Landschaft konstituiert, indem er den Menschen zwar von der Natur abhängig sieht, aber in seiner Anschauung über sie souverän. Für Kant bedeutet dies letztendlich auch die Freiheit des Menschen, sich die Gesellschaft nach seiner Vorstellung gemäß schaffen zu können.

    Von Immanuel Kant leitet der Autor über zu Karl Philipp Moritz und seinem psychologischen Roman "Anton Reiser". Dieser harte Übergang deutet auf die Problematik, die in dem Buch von Apel immer wieder zu finden ist. Es ist dem Leser nicht einsichtig, nach welchen Kriterien die Dichter ausgesucht wurden, die der Autor behandelt. Dem Idealismus Kants die gescheiterte Selbstfindung des jungen Antons folgen zu lassen, fehlt die zwingende Logik. Allenfalls läßt sich Moritz' Roman als Brücke zwischen Idealismus und der romantischen Schriftsteller deuten, die Apel anschließend ins Auge faßt. Konnte die Natur Anton Reisers Wunsch von Geborgenheit und Identität nicht erfüllen, so kommt bei den Romantikern auch die zwiespältige Seite zur Natur zum Vorschein. Das Gemetzel während der Französischen Revolution nährte die Zweifel am aufgeklärten Individuum. Dem schrankenlosen Aufbegehren des einzelnen begegnete auch Friedrich Hölderlin kritisch. Friedmar Apel: "Es war nicht nur Hölderlin, sondern auch Friedrich Schlegel, der im luziferischen Aufbegehren das Übertreiben, Entdeckung der Autonomie, des Menschen gesehen hat. Einerseits haben alle Kant gelesen gehabt und ihn aufgenommen und haben gesehen, daß der Mensch in vielen Bereichen sich als frei handelndes, als autonomes Wesen begreifen kann. Aber wo er diese Autonomie übertreibt und nicht mehr bedenkt, daß er kein Selbstgeborener ist, daß er der Tradition, der Geschichte und auch anderen Menschen etwas verdankt, wo er die Liebe vergißt und die Sehnsucht, sich überwirft in seiner Freiheit: in dem Augenblick begehrt er auf wie Luzifer und wird wahrscheinlich ein gefallener Engel."

    Friedrich Schlegel hoffte auf die Ausbildung einer Individualität, die schließlich zu einer Ganzheit mit Hilfe der Naturerfahrung werden sollte. Die Geschlossenheit dieser Sicht führte die Romantiker dann in die mitteralterliche Vorstellung eines Deutschen Reiches, das durch ein geistiges Band den Zusammenhalt sichern würde. Heinrich Heine stand dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. Er sah darin die Gefahr einer Rechtfertigung staatlicher Verhältnisse. Heine plädierte gegen jede Tradition für einen gegenwärtigen Lebenswillen, der die Verbindung mit einem realen Ganzen gar nicht bedarf, zitiert Friedmar Apel.

    Im Verhältnis zu Natur und Landschaft zeigt sich immer wieder das schwierige Verhältnis deutscher Schriftsteller zur modernen Gesellschaft. Nicht die menschliche, sondern die entmenschlichte Natur schien Glück zu verheißen und nicht die neuzeitliche Zivilisation.

    Friedmar Apel zeichnet diese Entwicklung über Kleist, Fontane, Dilthey, George weiter bis ins 20. Jahrhundert. Eichendorff widmet er kein eigenes Kapitel, Stifter kommt überhaupt nicht vor. Das macht die Auswahl doch fragwürdig. Spielte bei Brecht, der nicht erwähnt wird, die Natur und Landschaft tatsächlich keine Rolle? Sind nicht deutsche Schriftsteller zu entdecken, die andere Entwürfe von Landschaft machten als Novalis, Droste-Hülshoff oder der Germanisit Josef Nadler, der den Nationalsozialismus literarhistorisch begründen wollte?

    So geht es dem Autor um die dunkle Seite deutscher Landschaftsreflexion, die Thomas Mann im Doktor Faustus erneut aufgreift. Die alchimistischen Versuche Vater Leverkühns mit Wasserglas bedeuten die Andacht zur Natur, die kritische Reflexion kaum zuläßt. Mann konstitutiert ein Bild deutscher Naturauffassung, das wesentlich in der romantischen Tradition verwurzelt ist. Friedmar Apel meint: "Er sieht in den Abbildern der Landschaft und im zu starken Grübeln über die Geheimnisse der Natur, er sagt: einen wesentlich deutschen Zug, der das Stereotyp der deutschen Tiefe mitbegründet hat und letztendlich den antimodernistischen und antizivilatorischen Zug im deutschen Denken sehr deutlich herausarbeitet."

    Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat Friedmar Apel Adorno und Herta Müller als Exempel gewählt, eine Auswahl, die gewiß auch anders hätte ausfallen können. Adorno sieht die Landschaft in der Moderne als vermittelt an, als Kulturlandschaft, deren Entzifferung schon auf das Leid und die Gewalt weist. Friedmar Apel beschreibt Adornos Sicht der amerikanischen Landschaft während des Exils, die ihm roh und brutal erschien. Der Autor meint, daß diese Landschaft keine menschlich tingierte sei und daher nicht als Raum der Erinnerung diene. Denn Adorno war immer verwurzelt in der Landschaft seiner Kindheit, im Odenwald, in Frankfurt. Sinnhaftigkeit war für ihn verbunden mit seiner deutschen Heimat und Landschaft.

    Am Ende des Buchs steht Herta Müller. Geprägt durch ihr Leben im Rumänien Ceausescus traut sie der Landschaft nicht. Friedmar Apel: "Herta Müller hatte beobachtet, daß man für den Diktator in Rumänien, für Ceausescu, die Natur hergerichtet hat, indem man die gelben Blätter aus den Bäumen entfernte, auch den Klatschmohn aus den Feldern entfernte, weil diese Farbe den Diktator anscheinend gestört hat. Also die Zurichtung der Natur zum Zwecke des Beherrschens und natürlich auch der Täuschung ist für Herta Müller ein Abbild illegitimer Herrschaft geworden, so daß ihre Naturbeschreibungen immer von einem Mißtrauen gegenüber die erscheinenden Natur bestimmt sind; und dieses deute ich als eine Kritik der totalitären Herrschaft."

    Die Rolle der Landschaft in Herta Müllers Romanen oder Essays hat doch eine ganz andere Dimension als die im Buch vorherrschende romantische Reflexion. Die erfahrene Landschaft Herta Müllers ist keine nur deutsche Landschaft, sie weist schon darüber hinaus, in eine universale, potentiell gefährdete Natur. So zeigt auch Müllers Landschaft die Korrespondenz mit der Gesellschaft, sie ist aber kaum so verankert in der deutschen Geschichte wie Manns Nachdenken über deutsche Natur.

    So ist Apels Buch zwar eine interessante Beschäftigung mit deutschem Geist und deutscher Landschaft, dem Buch fehlt aber der innere Zusammenhalt. Die Auswahl der Dichter und Schriftsteller bleibt bis zum Schluß fragwürdig. Adorno und Müller sind nicht mehr so eindeutig in eine romantische Tradition zu integrieren. Und man fragt sich, warum nicht andere Nachkriegsschrifsteller ein Kapitel zugedacht bekamen.