Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Deutscher Juristentag in Essen
Gerichte wehren sich gegen Kameras

Auf dem Deutschen Juristentag in Essen sprach sich die Mehrzahl der dort versammelten Anwälte und Richter für eine lediglich behutsame Öffnung der Gerichtssäle für Kameras aus. Justizminister Heiko Maas (SPD) will da lieber etwas weiter gehen.

Von Gudula Geuther | 17.09.2016
    Eine Statue der Justitia
    Statue der Justitia. (dpa / picture alliance / David Ebener)
    "Die dritte Gewalt hat wahrlich keinen Grund, sich zu verstecken, aber dann sollte sie ihr Licht auch nicht unter den Scheffel stellen", rief der SPD-Politiker gleich zu Beginn den Skeptikern zu. "Ich glaube, dass die Justiz die großartigen Leistungen und die hohe Qualität der Rechtsprechung bei den Obersten Bundesgerichten auch noch deutlicher den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes ganz unmittelbar vermitteln kann."
    Der Entwurf sieht vor, dass die mündlichen Urteilsverkündungen bei den Obersten Bundesgerichten aufgenommen werden dürfen, wenn der Vorsitzende kein Veto einlegt. Dass auch Verhandlungen in einen Pressearbeitsraum übertragen werden dürfen, wenn Platznot besteht und dass – nicht für journalistische, sondern ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke – bei Verfahren von historischer Bedeutung auch die Verhandlung gefilmt werden kann.
    Alle Präsidenten der Obersten Bundesgerichte laufen seit einem Jahr Sturm gegen die Möglichkeit, Urteilsverkündungen zu filmen oder aufzunehmen. Es würden ohnehin nur Schnipsel gesendet, die eher der Staffage als der Erhellung dienten, fürchten Kritiker. Der Leiter der SWR-Rechtsredaktion am Rechtsstandort Karlsruhe, Frank Bräutigam, widerspricht.
    "Auch ein Schnipsel, drei zentrale Sätze eines großen Urteiles in der Tagesschau um 20 Uhr sind wichtig. Wir stellen auch in den kurzen Nachrichtensendungen das ganze Urteil dar. Und erklären den Bürgern, warum das für sie wichtig ist. Und wenn die Justiz dann selber spricht, ernst nimmt, dass sie im Namen des Volkes spricht, dann halte ich das für ein wichtiges Element."
    Oberste Bundesgerichte wollen keine Kameras
    Bettina Limperg, die Präsidentin des Bundesgerichtshofs dagegen, fürchtet etwa, die Justiz könnte mithilfe höchstrichterlicher Versprecher in der heute-show der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Sie glaubt außerdem, wer im Prozess unterliegt, würde die noch nicht ausgefeilte frühe mündliche Verkündung benutzen, um gegen das Urteil vorzugehen. Vor allem aber sagt die BGH-Präsidentin, zukünftig könnten auch die Rechte von Angeklagten, Zeugen oder auch von Klägern und Beklagten im Zivilrecht leiden:
    "Wir möchten, dass in einem umfassenden Diskurs zunächst die Gefahren, die Chancen, die Risiken von Kameras in Gerichtssälen diskutiert werden. Denn wir sehen jetzt schon, dass schon längst im Raum steht, auch andere wichtige Entscheidungen aufnehmen zu lassen. Und das war genau unsere Sorge: Dass es nur ein Einstieg in eine viel weitergehende Reform sein könnte."
    Und mehr als das. Denn die strafrechtliche Abteilung des Juristentages diskutierte – äußerst kontrovers – noch ganz anderes. Auf dem Podium machte sich der Ressortleiter Innenpolitik der "Süddeutschen Zeitung" Heribert Prantl dafür stark, Kameras nicht nur bei der Verkündung, sondern auch in der Hauptverhandlung in den Saal zu lassen.
    "Die Demokratie, glaube ich, gebietet eine andere Öffentlichkeit als im 19. Jahrhundert. Es geht um Legitimation und um Kontrolle der Justiz zugleich. Und dazu braucht es eine Öffentlichkeit, die über die Saalöffentlichkeit hinausgeht. Ich denke, es geht auch darum, dem Volk – im Namen des Volkes wird Recht gesprochen – zu zeigen, wie eine Entscheidungsfindung funktioniert."
    Modell des Jugoslawien-Tribunals diskutiert
    Wie ihm schwebt auch dem Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate das Modell des Jugoslawien-Tribunals vor. Dieses Gericht erlaubt zwar Zeugen, der Aufnahme zu widersprechen. Filmt aber ansonsten alles – allerdings ausschließlich in Eigenregie. Und nach ganz besonderen Regeln.
    "Der Gerichtssaal ist umgeben von einem Medienraum, von dem aus sechs Kameras gesteuert werden, sechs Kameras, die immer fest auf bestimmte Punkte halten. Es gibt nicht die Möglichkeit, mit diesen Kameras Schwenke durchzuführen und auch keine Zoomaufnahmen, wo man dann plötzlich die bebenden Nasenflügel eines Angeklagten oder Zeugen sieht."
    Das Gericht entscheidet, welche Kameraeinstellung an die Öffentlichkeit gelangt. Wird es emotional, ist es die Totale, auf der der Sprecher nur von Weitem zu sehen ist. Für den Strafverteidiger Strate hat so ein Modell zusätzlichen Charme. Denn dann entfielen auch die Blitzlichtgewitter und Filmaufnahmen vor Beginn der Verhandlung.
    Den Juristentag überzeugten solche Argumente nicht. Mit großer Mehrheit sprachen sich die Praktiker gegen Experimente mit der Hauptverhandlung aus. Dass Urteilsverkündungen an Obersten Gerichtshöfen aufgenommen werden, wollen allerdings auch sie zulassen.
    Und das nicht nur, weil das Bundeskabinett das will. Dem widersprachen die Teilnehmer an anderer Stelle: Übertragungen der Verhandlung in einen Pressearbeitsraum, wie beim Streit um den NSU-Prozess diskutiert, lehnen sie strikt ab. Die Hauptverhandlung, das zeigte sich als roter Faden, soll tabu bleiben.