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Deutscher Lehrerverband
Vollverschleierung passt nicht zum Unterricht

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, begrüßt das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrücks, wonach einer Muslimin das Tragen eines Gesichtsschleiers an einem Abendgymnasium nicht gestattet wird. Mit dieser Entscheidung bekämen die Schulen ein Stück Rechtssicherheit, sagte er im Deutschlandfunk.

23.08.2016
    Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus
    Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus (Horst Galuschka, dpa picture-alliance)
    Man sollte die Entscheidung der Kopfverkleidung nicht den einzelnen Schulen überlassen, betonte Josef Kraus. Er warb für eine zentrale Regelung - auch aus Gründen der Gleichbehandlung. Wünschenswert sei in dieser Frage ein gemeinsamer Beschluss aller 16 Kultusminister. "Es kann nicht sein, dass die Entscheidung den 40.000 Schulen vor Ort überlassen wird."
    Kraus sagte weiter, das Tragen einer Burka oder eines Niqab passe nicht zum Unterrichtsgeschehen. Er begründet seine Haltung vor allem mit pädagogischen Argumenten. "Bildung und Erziehung sind etwas sehr Kommunikatives", so Kraus. Dazu gehörten ebenso die Mimik und die Gestik. Diese Form der nonverbalen Kommunikation sei methodisch und didaktisch sehr wichtig. "Die Lehrkraft kann am Gesicht ablesen, ob jemand bei der Sache ist und es Verständnisprobleme gibt."

    Das Interview in voller Länge:
    Regina Brinkmann: Darf eine muslimische Schülerin vollverschleiert am Unterricht teilnehmen? Ein Abendgymnasium hatte das einer 18-Jährigen untersagt, das Verwaltungsgericht von Osnabrück hat die Entscheidung der Schule am Montag bestätigt. Noch ist der Entscheid nicht rechtskräftig, aber es entspinnt sich schon jetzt eine Debatte darüber, ob das der richtige Umgang mit vollverschleierten Schülerinnen ist. Auch innerhalb der Lehrerschaft gibt es dazu ganz unterschiedliche Auffassungen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft warnt etwa davor, Frauen nur deswegen von Bildung auszuschließen. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, lehnt dagegen eine Vollverschleierung grundsätzlich ab. Warum er das tut und wie er die Entscheidung des Gerichts bewertet, das habe ich ihn vor dieser Sendung gefragt.
    Josef Kraus: Ich bin dankbar für diese Entscheidung, weil es eine Entscheidung ist, die den Schulen auch ein Stück Rechtssicherheit gibt. Ich war auch der Meinung, dass es richtig war, dass dieses Abendgymnasium den Besuch dieser jungen Frau mit Burka oder Niqab untersagt hat, denn das passt nicht zur Schule, das passt nicht zum Unterrichtsgeschehen.
    Brinkmann: Warum?
    Kraus: Unterricht, Bildung, Erziehung sind etwas sehr Kommunikatives. Und in dem Moment, wo jemand sein Gesicht ganz oder weitestgehend verschleiert, ist das eine enorme Einschränkung von Kommunikation.
    Brinkmann: Aber die Schülerin könnte ja noch sprechen?
    Kraus: Kommunikation bedeutet immer auch, dass nicht nur das Verbale ausgetauscht wird und rüberkommt, sondern dass auch das Nonverbale rüberkommt. Und Gestik und Mimik, in dem Fall die Mimik, sind einfach Teil von Kommunikation, übrigens auch pädagogisch, methodisch, didaktisch äußerst wichtig, weil die Lehrkraft einfach am Gesicht ablesen kann, erstens, ist jemand bei der Sache, und zweitens am Gesicht ablesen kann, ob es hier Verständnisprobleme gibt oder keine Verständnisprobleme gibt.
    Im Ermessen der Schule
    Brinkmann: Also Sie begrüßen diese Entscheidung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft warnte davor, vollverschleierten Mädchen und Frauen den Zugang zum Schulunterricht zu erschweren. Ilka Hoffmann vom GEW-Hauptvorstand sagt, ein Verbot der Vollverschleierung ist der vollkommen falsche Weg.
    Kraus: Es gibt im Übrigen ja auch noch andere Gründe, und zu Recht diskutieren ja auch die Innenminister ein Burka-Verbot, weil es letztendlich ja auch, die Burka gesehen werden kann als ein Symbol der Unterdrückung von Frauen. Nein, da bin ich völlig anderer Meinung, aus der Schulpraxis heraus. Ich sage noch mal: Es ist sehr wichtig für die Mitschülerinnen und Mitschüler, es ist sehr wichtig für die Lehrkräfte, zu sehen, mit wem man es erstens zu tun hat, und zweitens eben auch an der Mimik zu sehen, ist jemand bei der Sache, hat jemand etwas verstanden.
    Brinkmann: Sie sagen, diese Entscheidung gibt Ihnen Rechtssicherheit. Wie ist es denn bis jetzt geregelt? Liegt es allein im Ermessen der Schulen, zu sagen, wir haben ein Problem damit, ja oder nein, ein vollverschleiertes Mädchen zum Unterricht zuzulassen, und bedeutet das nicht eigentlich auch für muslimische Mädchen, dass es sehr willkürlich für sie geregelt ist, ob sie eine Chance haben, in den Unterricht kommen zu dürfen oder nicht?
    Kopfverkleidung zentral regeln
    Kraus: Diese Willkür möchte ich eben gerade vermieden wissen. Und darum sollte man diese Entscheidung der Zulassung oder der Nichtzulassung dieser Kopfverkleidung nicht den einzelnen Schulen überlassen, sondern letztendlich aus Gründen der Rechtssicherheit, auch der Gleichbehandlung vor dem Gesetz, zentral regeln. Ich würde mir wünschen, dass die Kultusminister der 16 deutschen Länder, am besten alle 16 innerhalb der Kultusministerkonferenz hier einen Beschluss fassen. Es kann nicht sein, dass dieser Konflikt, dass diese Konfliktfrage den theoretisch 40.000 Schulen vor Ort zur Entscheidung überlassen wird.
    Brinkmann: Noch ist es ja nicht so, dass es diese Entscheidung der Innenminister gibt, dass sie rechtskräftig wäre. Jetzt gibt es sicherlich noch Situationen, wo Schulleiter entscheiden müssen. Bislang haben wir Fälle von 18-Jährigen, die sind ja nicht mehr schulpflichtig in dem Sinne. Was macht denn ein Schulleiter, wenn ein Mädchen in seiner Schule schulpflichtig ist und dann entscheidet, sich voll zu verschleiern?
    Kraus: Zunächst bedarf es natürlich da des intensiven Gesprächs mit der betreffenden Schülerin und ihren Eltern. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass der Konflikt dann vor Ort in solchen Gesprächen gelöst werden kann. Aber wenn Verhärtungen seitens der Eltern oder seitens der Schülerin da sind, dann muss Schule sich darauf verlassen können, dass die Entscheidung, sie nicht zuzulassen, auch gesetzlich und administrativ abgesichert ist. Was ich auf keinen Fall möchte, dass hier Schulen den Konflikt auszutragen haben, dann zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, sodass wir in Schule A dann eine liberale Regelung haben und, drei oder fünf Kilometer entfernt, in der Schule B eine sehr strenge Regelung haben. Das kann es in keinem Fall sein. Da wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz verletzt.
    Konflikte schwelen
    Brinkmann: Ist es denn so, dass es auch Schulen gibt, von denen man vielleicht jetzt heute gar nicht so viel hört, weil immer die Fälle quasi medienträchtiger sind, die vor Gericht ziehen, die gar kein Problem damit haben, eine voll verschleierte Schülerin zum Unterricht zuzulassen?
    Kraus: Natürlich gibt es die auch, aber es gibt auch diejenigen, die den Konflikt scheuen und die nicht sozusagen dann an den Pranger gestellt werden wollen und dann halt gegen die eigene Überzeugung sagen, gut, dann akzeptieren wir es halt. Und im Übrigen, man sollte schon eines auch mitbedenken: Es geht ja nicht nur um die eine betreffende Schülerin, sondern es geht ja auch um die Art und Weise der Wahrnehmung durch die 22, 25, 28 Klassenkameraden und deren Eltern.
    Brinkmann: Was befürchten Sie da?
    Kraus: Dass hier Konflikte schwelen, entweder zum Ausbruch kommen oder auch unterdrückt werden, was auch eine gefährliche Geschichte ist. Deshalb also noch mal mein Appell, erstens an den Gesetzgeber – es kann ja nicht nur eine Entscheidung der Innenminister und der Kultusminister sein, es bedarf ja letztendlich auch einer gesetzlichen Regelung nach dem Wesentlichkeitsprinzip. Die Schulen müssen hier Rechtssicherheit bekommen.
    Brinkmann: Das fordert Josef Kraus vom Deutschen Lehrerverband in der Diskussion darüber, ob Schülerinnen mit Vollverschleierung zum Unterricht erscheinen dürfen oder nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.