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Deutscher Orchestertag in Berlin
Arbeiten im Zeitalter der Digitalisierung

Der "Deutsche Orchestertag“ soll für mehr Präsenz der Orchester im kulturellen Diskurs der Gesellschaft sorgen und internes Forum sein, um in einer sich verändernden, globalisierten Welt Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Am Wochenende fand der 16. Orchestertag in Berlin statt.

Von Claus Fischer | 14.11.2016
    Chefdirigent Sir Simon Rattle bei einer Probe mit den Berliner Philharmonikern
    Ein Leben mit Musik: Orchesterprobe bei den Berliner Philharmonikern (picture alliance / dpa / Jakub Kaminski)
    Der Buchstabe Y wird im englischen "Why" ausgesprochen. Genau wie das "w-h-y" geschriebene Wort "Why", das im Deutschen "Warum" bedeutet. Von dieser Doppelbedeutung her kamen Soziologen auf die Idee, die zwischen 1980 und 1999 geborene Generation so zu bezeichnen, da sie, gerade im Berufsleben, Vieles, was von Eltern und Großeltern noch als selbstverständlich angesehen wurde, hinterfragt.
    "Die ist erstmal gigantisch groß, die ist größer als die Babyboomer-Generation",
    betont der Organisator des Deutschen Orchestertages und ehemalige Intendant der Dresdner Philharmonie Anselm Rose.
    "Also die ist für uns als zukünftige Arbeitnehmer interessant, aber auch als Kunden. Wie erreichen wird die? Und da sind die als "Digital Natives", als die, die mit den digitalen Medien von Geburt an sozusagen groß geworden sind, eine ganz andere Generation, als es unsereiner noch gewesen ist."
    "Wir denken nicht darüber nach, ob wir "ins Internet gehen" oder ob wir "den Computer hochfahren", sondern nein, wir waren immer verbunden."
    So bringt Philipp Riederle, 23 Jahre alt, das auf den Punkt, was die heute zwischen 15 und 35-jährigen ausmacht. Der Internetaktivist und Buchautor, 2014 vom Bundesforschungsministerium mit der Auszeichnung "Digitale Köpfe" geehrt, durfte beim Deutschen Orchestertag ausführlich über das Lebensgefühl seiner Generation sprechen. In seinem Vortrag ging er u.a. darauf ein, dass es für sie weit mehr Wahlmöglichkeiten gibt als früher. In der freien Wirtschaft können sie sich oftmals ihre Jobs aussuchen. Und dann den Chef enttäuschen, wenn sie nach zwei Jahren doch was ganz anderes machen wollen. Außerdem wird im Beruf viel mehr Wert darauf gelegt, das die sogenannte "Work-Life-Balance" stimmt. Und das, bestätigt Kulturmanager Anselm Rose macht sich auch in der deutschen Orchesterlandschaft bemerkbar.
    Wie arbeiten Orchestermusiker in Zukunft?
    "Was die Musikerinnen und -musiker anbelangt, stellen wir fest, daß es ein viel größeres Bedürfnis an Freizeit, an flexibleren Arbeitszeitmodellen gibt, als es früher der Fall war. Es ist gar kein so großes Karriere-Interesse mehr vorhanden. Also: Gut bezahlte Führungspositionen im Orchester zu übernehmen und dort aus unserer Sicht das Personal zu gewinnen, ist ein echtes Problem geworden mittlerweile."
    Das gilt jedoch nur für die ersten Pulte, betonte Gerald Mertens. Er ist der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, des wichtigsten Arbeitnehmerverbandes der Branche hierzulande. In einem Podiumsgespräch wies er darauf hin, daß es im Tuttibereich für Absolventen deutscher Musikhochschulen immer schwieriger wird, überhaupt eine Stelle zu bekommen - der Wettbewerb sei enorm groß.
    "Also Berufmusiker zu werden ist heute eine größere Herausforderung, als es das vor 30 oder 40 Jahren war."
    Auf rund 150 freie Stellen pro Jahr kommen derzeit rund 3500 Bewerber aus Deutschland, ausländische sind dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Anders als vielfach in der freien Wirtschaft könnten also diejenigen, die genommen werden, kaum Bedingungen an die Chefetage ihres Orchesters stellen. An der Basis - zumal im wirtschaftlich gesehen ärmeren Ostdeutschland – geht es tatsächlich eher weniger um Fragen wie eine gesunde Work-Life-Balance, meint denn auch Thomas Herm, Marketingchef der Elbland-Philharmonie Radebeul-Riesa. In seinen Augen ist die Aufgabe des Musikers, der Musikerin ziemlich klar geregelt.
    "Man steht auf der Bühne, man bringt quasi seine Emotionen auch rüber. Und dazu muß man auch verschiedene Kompromisse eingehen."
    Dazu gehöre dann eben auch, dass nicht garantiert werden kann, das man unbedingt jeden Tag um 16 Uhr frei hat, um sein Kind in der Kita abholen zu können. Arbeitnehmer und Chefetage sollten, so Thomas Herm, allerdings schon gemeinsam die besten Bedingungen für die Musiker ausloten. In diesem Zusammenhang müsse man aber, so der Organisator des Deutschen Orchestertags Anselm Rose beachten, dass die Mitglieder der "Generation Y" - Stichwort "Warum" - viel stärker nach dem Sinn fragen.
    "Also mein Eindruck ist, auch in den Gesprächen mit den Musikhochschulen, die wollen also nicht nur einfach einen Platz in einem Orchester haben oder einen Arbeitsplatz sonst irgendwo haben. Die fragen. "Was gibt mir das, was bringt mir das, die Fragen nach Werten."
    Dass dabei eine Festanstellung nicht unbedingt das erstrebenswerte Ziel sein muß, bestätigte Alexander Fieres auf dem Podium. Er studiert Posaune an der Musikhochschule in Mannheim und kann sich gut vorstellen, später auch freiberuflich tätig zu sein. Das, betont er, funktioniert bei ihm bereits jetzt schon recht gut, nämlich in der Verbindung mit Laienensembles
    "Das sind Kirchenchöre, wo man dann mal ein Brahms-Requiem spielt am Wochenende, das sind Blasorchester, die sich einen Dozenten einladen, um mit bestimmten Instrumentengruppen zu arbeiten."
    Auf freiberuflicher Basis ?
    Freiberuflichkeit als Zukunft? Von da aus ist es gedanklich nur noch ein kleiner Schritt hin zum Gedanken, ein Kulturorchester auf freiberuflicher Basis zu betreiben. So fragte denn auch Rolf Bolwin, der Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins auf dem Podium:
    "Ist der auf Lebenszeit angestellte Musiker eigentlich unser Zukunftsmodell oder ist er das nicht?"
    Für den Gewerkschaftler und Vorsitzenden der Deutschen Orchestervereinigung Gerald Mertens steht fest: ein Orchester, zumindest im Hochleistungsbereich, lässt sich nicht wie ein Start-Up-Unternehmen führen. Um die charakteristische Klangtradition zu wahren, sprich die Unverwechselbarkeit zu erhalten, brauche es beständige Kräfte.
    "Sie werden immer eine Keimzelle haben von festangestellten oder festzusammenarbeitenden Musikern, und dann fangen sie an, die dritten Bläser oder Streichergruppen zu ergänzen."
    Neue Strategien sind nötig – nach innen und nach außen
    Als Ergebnis des Podiumsgesprächs wurde klar: Es müssen neue Strategien für die Weiterentwicklung der Orchester in Deutschland gefunden werden. Nach innen, was die Arbeitsbedingungen und die veränderten Erwartungen der Musiker an den Beruf betrifft. Aber auch und gerade nach außen, sprich: Wie erhält man sich das Publikum, bzw. wie vergrößert man es? Hier rückt die digitale Lebenswirklichkeit der "Generation Y" in den Focus, die Internet-Aktivist und Buchautor Philipp Riederle beim Deutschen Orchestertag beschrieben hat. Es reiche z.B. heute längt nicht mehr, wenn ein Orchester eine, meist auch noch schlecht gestaltete, Internetseite betreibt. Die neue Lebenswirklichkeit fange an beim kostenlosen WLAN für die Besucher eines Konzertsaals und ende beim live gestreamten Konzertabend im Netz. Bei den versammelten Orchestermanagern im Publikum konnte man da eine gewisse Skepsis feststellen, die Branche ist, so scheint es, eben überwiegend konservativ eingestellt. Thomas Herm von der Elbphilharmonie Radebeul-Riesa z.B. bringt seine Sicht des Themas so auf den Punkt:
    "Ich glaube nicht, daß das die Frage ist, ob man kostenloses WLAN hat. Die Frage ist, ob das Produkt, was wir anbieten und die Nebenprodukte, die damit in Verbindung stehen, ob das ein Gesamtprodukt ist, was für die Bevölkerung attraktiv ist. Und ob da WLAN dazugehört, weiß ich nicht. Kann sein, muß aber nicht!"