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Deutscher Schwimmverband
Schaden für den Schwimmsport

Kurz vor den Olympischen Spielen herrscht Chaos im Deutschen Schwimmverband. Zwei Gruppen bestimmen das derzeitige Geschehen im Verband und machen sich gegenseitig Vorwürfe. Dass der Schwimmsport Schaden genommen hat, ist offensichtlich. Verantwortung übernehmen möchte aber niemand.

Von Andrea Schültke | 25.04.2021
Swim Ireland national team, Nationalteam Trials, National Aquatic Centre, Dublin 22/4/2021 The mens 400m Freestyle heats Barry McClements of Ards Swim Club Barry McClements 22/4/2021 PUBLICATIONxNOTxINxUKxIRLxFRAxNZL Copyright: x INPHO/BryanxKeanex AZ4I4344
Eine Freistil-Schwimmerin (IMAGO / Inpho Photography)
Briefe hier, Informationen da, Pressemitteilungen, unzählige Telefonate, Presseanfragen und Antworten. Was ist los im DSV? Eine generelle Antwort gibt es nicht bis auf die, dass zwei Gruppen das derzeitige Geschehen im Schwimm-Dachverband bestimmen und sich gegenseitig Vorwürfe machen: Von Geheimniskrämerei, Eigeninteressen und Unkenntnis von Strukturen sprechen und schreiben die einen. Von Macht, Rauswurf von Kritikern und Manipulation, die anderen.

Ämterhäufung erlaubt

Fakt ist: Drei der vier Vorstandsmitglieder im Deutschen Schwimmverband sind gleichzeitig Präsidenten von Landesverbänden. DSV-Präsident Marco Troll hat dieses Amt auch im Landesverband Baden, Vize-Präsident Harald Walter ist Chef des Bayerischen Landesschwimmverbandes, Vize-Präsident Wolfgang Rupieper ist Präsident in Brandenburg. Diese Ämterhäufung ist erst seit Ende November erlaubt. Damals wählte die Mitgliederversammlung das neue Präsidium und stimmte gleichzeitig für die entsprechende Satzungsänderung.
Im Dachverband sind die 18 Landesschwimm-Verbände also gut vertreten. Ihre Interessen bezeichnete Präsident Marco Troll im Interview mit dem DLF als "zweite Säule": "Das Nichtschwimmer Thema aufzunehmen, dass Kinder schwimmen, also alles, was Breitensport betrifft, das wollten wir primär angehen", so Troll vor wenigen Tagen.

Einfluss vom Verband NRW

Der Landesschwimmverband NRW ist der mitgliederstärkste in Deutschland. Allein auf ihn entfallen ein Drittel der Stimmen in der Mitgliederversammlung, gemeinsam mit Bayern sogar die Mehrheit. NRW-Präsidentin Claudia Heckmann gehört zwar nicht dem neuen DSV-Vorstand an. Einfluss auf den Dachverband hat der mitgliederstärkste Landesverband dennoch: Der NRW Vize-Präsident ist Mitglied im DSV-Finanzausschuss und Generalsekretär Frank Rabe sitzt in der neuen Satzungskommission. Rabe hat offensichtlich das Sagen in NRW. Denn er ist es, der auf unsere Anfrage an Präsidentin Claudia Heckmann die umfassenden Antworten und Ausführungen schickt. Er schreibt zur aktuellen Situation im DSV: "Mangelnde Loyalität".
"Die Entwicklungen im Teilbereich Leistungssport, genauer gesagt, die wohl von einigen Mitarbeitern des DSV aus dem Teilbereich Schwimmen im Teilbereich Leistungssport in der Öffentlichkeit über diverse Medien getätigten und dort unreflektiert wiedergegebenen Aussagen, sehen wir mit Sorge. Sie schaden dem DSV in Gänze und zeugen von mangelnder Loyalität gegenüber dem DSV und dem Schwimmsport insgesamt."
Die ehemalige Weltklasse-Schwimmerin Antje Buschschulte.
"Nicht professionell genug aufgestellt"
Dass es vor Großveranstaltungen im DSV unruhig wird, sei nicht neu, sagte Ex-Schwimmerin Antje Buschschulte im Dlf. Sie habe das Gefühl, der Verband sei nicht professionell genug aufgestellt.
Dass der Schwimmsport in den letzten Wochen Schaden genommen hat, sehen alle Beteiligten. Die Verantwortung dafür sieht niemand bei sich.
Mit Claudia Boßmann kommt die Vizepräsidentin Finanzen im DSV aus NRW. Dass ihr Landesverband durch diese Personalie sicherlich Einblick in die Finanzen des DSV habe, bestreitet NRW und schreibt dem Deutschlandfunk: "Wie 18 Millionen andere Menschen auch kommt Claudia Boßmann aus Nordrhein-Westfalen und sie ist eines von 200.000 Mitgliedern in unseren Vereinen." Schwimm-Vereinsmitglied Boßmann ist aber auch Geschäftsführerin des Bezirks Ruhrgebiet und Mitglied in der AG Finanzen im Landesverband NRW. Das schreibt dieser allerding nicht.

Landesverbände im DSV gut vertreten

Erkennbar ist: Hochrangige Funktionärinnen und Funktionäre aus den mitgliederstärksten - und damit mächtigsten - Landesverbänden sitzen in Führungspositionen oder Gremien des DSV und im Vorstand. Der wollte sich laut Präsident Troll mit Amtsantritt um den Breitensport kümmern, denn: "Wir sind zum damaligen Zeitpunkt Ende November davon ausgegangen, dass der Leistungssport in trockenen Tüchern ist. Da brauchen wir uns im Prinzip nicht drum zu kümmern. Und jetzt beschäftigt uns genau dieses Thema, was wir ausklammern wollten."
Von den Freistil-Schwimmern sind über Wasser nur die Ellbogen zu sehen
Ein desolates Bild
Während die deutschen Schwimmer derzeit versuchen, sich für Olympia in Tokio zu qualifizieren, bietet der Verband in der Außendarstellung ein desolates Bild.
Für den aus Bundesmitteln finanzierten Leistungssport ist qua Stellenbeschreibung Sportdirektor Thomas Kurschilgen zuständig. Den hatte der neue Vorstand im Februar entlassen. Die Gründe: unklar. Der Landesverband NRW wirft Kurschilgen unter anderem Intransparenz bei den Finanzen vor, etwa eine nicht nachvollziehbare Rechnungslegung des außerordentlichen Haushalts, also dem für den Leistungssport. Daher habe NRW bei der Mitgliederversammlung Ende November: Einen Antrag auf 'Einführung einer transparenten und vollständigen, kostenstellenbasierenden Haushaltsführung' gestellt. Diesem Antrag wurde mit großer Mehrheit stattgegeben."

Antrag nicht satzungskonform

Nach Recherchen des DLF ist der Beschluss allerdings nicht satzungskonform und damit nichtig. Das steht jedoch nicht im Antwortschreiben des mitgliederstärksten Landesverbandes.
DSV-Präsident Marco Troll, der angab für den Breitensport zu stehen und die "zweite Säule" propagiert, wechselt nun in den Leistungssport, fährt in der neu geschaffenen Rolle als "Teilmannschaftsleiter" zu den Olympischen Spielen nach Tokio. Ursprünglich war offenbar Harald Walter in verantwortungsvoller Aufgabe für die Olympiareise vorgesehen. Hat eine gerichtliche Auseinandersetzung, die gerade in seinem bayerischen Schwimmverband stattfindet, das verhindert?
Machtspiele, Eigeninteressen und umstrittene Personalentscheidungen – was ist los im DSV?