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Deutscher sein und Deutscher werden

Drei Millionen so genannter Russlanddeutscher sind seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die Bundesrepublik gekommen. 15 Jahre nach dem Beginn der Zuwanderung macht sich Ernüchterung breit. Die Integration lässt zu wünschen übrig.

Von Christoph Gehring | 31.05.2007
    "Die erste Generation der Zuwanderung, das waren durchaus Leute, die hatten ein Deutschlandbild. Die wollten in Deutschland auch wieder heimisch werden, weil sie von Russland völlig enttäuscht waren von der geschichtlichen Entwicklung, von der tatsächlichen Entwicklung. Die zweite Welle war schon eher materialistisch eingestellt. Während die erste Welle der Russlanddeutschen eher mehr geschichtsbewusst war, war die zweite Welle mehr wohlstandsbewusst. Bei der dritten Welle hatten wir allerdings schon dabei Menschen, die keinen Bezug zum Deutschtum hatten. Im besten Sinne meine ich das jetzt, also nicht im völkischen Sinne, sondern einfach, dass sie keine deutsche Sprache kannten und sich eher auch nicht richtig eingliedern wollten. Und da haben wir ja zum Teil auch Rückwanderungen."

    Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch zieht eine nüchterne Bilanz der Zuwanderung deutschstämmiger Familien aus Russland und den Republiken der GUS-Staaten. Drei Millionen so genannter Russlanddeutscher sind seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die Bundesrepublik gekommen.

    "Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird."

    So legt es Paragraf 6, Absatz 1 des Bundesvertriebenengesetzes fest. Und fast eine Million Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion könnten sich theoretisch unter Berufung auf diesen Paragrafen noch auf den Weg nach Deutschland machen. Allerdings hat die Bundesregierung im Januar 2005 einen neuen Passus in das Gesetz eingefügt. Seither heißt es dort:

    "Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann."

    Wer nach Deutschland übersiedeln möchte, muss also in der Heimat einen Sprachtest bestehen. Im Ergebnis hat diese Verschärfung der Zuwanderungsregelungen den Zustrom nahezu versiegen lassen. Kaum 8.000 Spätaussiedler kamen im vergangenen Jahr noch nach Deutschland. Der Blick fällt nicht mehr auf die Neuankömmlinge, sondern auf jene, die schon hier sind und sich mit dem Leben in der neuen Heimat schwer tun.

    Selbstbewusste und zudem fromme Pioniere waren es, die die Zaren im 18. und 19. Jahrhundert aus Deutschland ins Russische Reich geholt hatten: Handwerker, Bauern, Pastoren, die bei der Modernisierung des Landes helfen sollten und ihre eigene Kultur mitbrachten. Ausgerechnet die Russische Revolution machte Anfang des 20. Jahrhunderts eine wahre Blüte des Deutschtums möglich, denn die Bolschewiki förderten die nationalen Minderheiten, ihre Zeitungen und ihre Theater zunächst, solange sie politisch zuverlässig waren.

    50 Jahre später war davon nichts mehr übrig, die Sowjetunion nahm an der deutschen Minderheit stellvertretend Rache für zwei Weltkriege. Die Deutschen wurden deportiert, ihre Sprache wurde ihnen verboten, eine Teilhabe an der sowjetischen Gesellschaft war durch eine Vielzahl von Restriktionen nahezu unmöglich. Was blieb, war der Traum von einem besseren Leben in Deutschland.

    Dass die Bundesrepublik sich bald nach dem Krieg für die Deutschstämmigen öffnete, die aus dem Sowjetreich übersiedeln wollten und durften, war vor allem ein Akt der geschichtlichen Verantwortung, dessen Richtigkeit auch heute noch gelte, sagt der vielbeschäftigte Bundesbeauftragte für Aussiedler, der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Bergner, am Telefon.

    "Das ist dann richtig, wenn wir uns klar darüber werden, dass Spätaussiedler nicht irgendwelche Zuwanderer sind, sondern auch aus historischen Gründen einen besonderen Anspruch auf unsere Solidarität haben. Wir haben noch immer die Folgen des von Deutschland verursachten Zweiten Weltkriegs aufzuarbeiten. Und zu diesen Folgen gehört die Solidarität mit den Deutschen, die gewissermaßen stellvertretend für die Untaten des Nationalsozialismus büßen mussten. Und in diesem Kontext erklärt sich die Sonderstellung der Spätaussiedler, wie ich finde, in einer sehr schlüssigen Weise. Wir haben nur angefangen, die Sache völlig geschichtslos zu betrachten. Und für mich ist dies unaufgebbarer Bestandteil unserer nationalen Verantwortung für die Zeit des Nationalsozialismus, dass wir eine besondere Solidarität mit einer deutschen Volksgruppe haben, die im übrigen in Russland jedenfalls noch nicht einmal rehabilitiert ist."

    Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung der Grenzen zum Westen wurde der Traum vom besseren Leben für die Russlanddeutschen endlich greifbar. Und Deutschland gewährte ihnen Privilegien, die anderen Zuwanderern verwehrt blieben - Sprachkurse, finanzielle Starthilfe und den deutschen Pass. Denn Deutsche waren sie ja qua Gesetz und insbesondere konservative Politiker nährten über Jahrzehnte die Illusion, es handele sich bei den Russlanddeutschen um eine kulturell und sozial deutsch geprägte Bevölkerungsgruppe, die einfach in ihr Ursprungsland zurückkehren und dort problemlos eingegliedert werden könne.

    "Unser Recht sieht ja auch die Abstammung nach Blut vor. Und von daher gesehen war das wohl die Illusion, die man hatte damals, man könne die Menschen auch sehr schnell integrieren, und es hat sich herausgestellt, es war nicht so. Das ist wohl so, dass es eine Illusion war. Die Illusion hat dann sehr schmerzhaft an uns gerüttelt im Endeffekt. Wir hatten durchaus große Schwierigkeiten in der Frage der Integration. Damals waren Arbeitsplätze knapp. Man hat damals von Seiten des Bundes sehr schnell die Sprachförderung eingestellt, das war ein großer Fehler","

    sagt der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch in der Rückschau. Tatsächlich kamen mit den Greisen, die urtümliche deutsche Dialekte sprachen, die Töchter und Söhne, die Enkel und Urenkel, deren Sprache das Russische war. Sie wurden nach einem festen Plan auf die Bundesländer verteilt und untergebracht, wo gerade Platz war. Karl Peter Bruch:

    ""Es ging ja da um freie Wohnungen, und da hat man oft Wohnungen genommen, wo die Stationierungsstreitkräfte weggegangen sind. Also da gibt es schon Gemeinden, die weit über 50 Prozent Aussiedler aufgenommen haben."

    Dort blieben und bleiben die Spätaussiedler häufig unter sich. Von den Deutschen nicht als Landsleute anerkannt, in der Schule mangels deutscher Sprachkenntnisse abgehängt, befinden sich zumal die jugendlichen Russlanddeutschen sozial und mental in einer echten Migrationssituation, die sich kaum von der Lage anderer Zuwanderer unterscheidet. Auf dem Arbeitsmarkt tun sich Aussiedler schwer, weil ihre Ausbildungen und Abschlüsse aus dem Herkunftsland vielfach in Deutschland nicht anerkannt werden, wie die rheinland-pfälzische Integrationsbeauftragte Maria Weber beklagt.

    "Sehr viele Spätausgesiedelte und ihre Familienmitglieder kommen ja mit hohen Qualifikationen in unser Land. Immer wieder wird mir vorgetragen, dass ausgebildete Ärztinnen oder andere Hochqualifizierte hier unter ihrem Niveau arbeiten müssen bis hin zu einfachen Hilfsarbeiten."

    Tatsächlich gilt ein russisches Universitätsexamen in Deutschland nicht viel. Ingenieure werden abgewiesen, weil ihnen angeblich das aktuelle Know-how des Westens fehlt. Lehrerinnen werden zu Putzfrauen, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird. Studierten Apothekern wird allenfalls zugestanden, als Helfer zu arbeiten. Fälle, die auch der Sozialpädagoge Alexander Böhler in seiner Praxis täglich sieht. Er ist Migrationsberater bei der Diakonie im Westerwaldkreis, wo sich seit 1989 mehr als 10.000 Russlanddeutsche niedergelassen haben.

    "Ich hatte heute zwei junge Damen bei mir, die sind im Oktober 2006 gekommen. Eine ist Pharmazeutin, die andere ist Finanzkauffrau. Was haben die für eine Chance? Abgeschlossene Berufe und keine Chance."

    Alexander Böhler ist selbst ein Spätaussiedlerkind. Seine Familie kam 1990 aus Kasachstan in die Bundesrepublik, da war er schon 22. Er machte spät das deutsche Abitur, er studierte, aber er kann sich gut an die mangelhafte staatliche Betreuung erinnern, die ihm damals zuteil wurde. Da war beispielsweise der verpflichtende Sprachkurs, zu dem er geschickt wurde:

    "Ich war die ersten vier Monate im Sprachkurs drin, wir waren zwei Jugendliche. Der Rest waren Opas und Omas. Was hat mir das gebracht? Ich war froh, dass ich da raus war."

    Nicht der staatliche Sprachkurs hat Alexander Böhler Deutsch lernen lassen, sondern die Tatsache, dass in seiner Familie immer schon Deutsch gesprochen wurde - eine Ausnahme.

    Der Pädagoge Jürgen Greiner hat ermittelt, dass in den meisten Aussiedlerfamilien auch fünf Jahre nach der Ankunft in Deutschland ausschließlich Russisch gesprochen wird. Nicht einmal zehn Prozent nennen Deutsch als Ihre normale Umgangssprache. Keine gute Voraussetzung für eine gelungene Integration, vor allem der Kinder und Jugendlichen. Die Sprachprobleme führen zu Schulproblemen, die Schulprobleme zu Chancenlosigkeit auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Vor allem junge Frauen flüchten sich in dieser Situation in den biologischen Notausgang, die Schwangerschaft, wie Alexander Böhler in Montabaur beobachtet hat:

    "Junge Frauen, wir haben letztes Jahr einen Boom gehabt: Auf einmal sind die alle schwanger. Mit 16, 17 – ja, keine Perspektive. Was macht man? Man verlässt sich auf den Mann, man wird schwanger. Da bist du versorgt, da stört dich keine ARGE mehr, wenigstens vier Jahre, und sagt. Du musst da Bewerbung schreiben und hier Bewerbung schreiben. Das sind die Sachen, wo man sich so dagegen wehrt."

    Eine subjektive Unterdrückungssituation nennen Soziologen das, was junge Russlanddeutsche nach der Übersiedelung vorfinden: Die alten Freunde sind weg, die jungen Deutschen ignorieren sie bestenfalls, Chancen auf Arbeit gibt es kaum, eine gesellschaftliche Teilhabe findet mangels Sprachkompetenz und mangels finanzieller Möglichkeiten nicht statt: Fast zwei Drittel der Russlanddeutschen im Berliner Bezirk Marzahn leben von Hartz IV, wie eine Untersuchung des dortigen Migrantenbeauftragten ergab. Das Geld der Eltern reicht nicht fürs Kino oder für einen Discoabend, allenfalls für ein Bier mit der Clique, in die sich viele männliche Jugendliche aus Aussiedlerfamilien zurückziehen. Dort bestätigen sie sich gegenseitig, sind aber für Hilfsangebote nur schwer zu erreichen. Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch sieht die Probleme, auch wenn er sich dem Schwarzsehen verweigert:

    "Da gibt es hervorragende Beispiele, und es gibt ganz schlimme Beispiele. Ich habe hervorragende Ergebnisse gehabt in meiner Gemeinde, wo die beste Abiturientin eine Deutschrussin war, die mit zehn Jahren erst nach Deutschland gekommen ist. Und ich habe Fälle gehabt, die eigentlich alle Möglichkeiten gehabt hatten, die völlig abgerutscht sind in Kriminalität und Drogen. Und wir haben damals auf Drängen insgesamt der Bevölkerung, die gesagt hat, da passiert doch was, hier auch eine Statistik eingerichtet im Jahre 2003, wo wir erfasst haben den Hintergrund von Kriminalitätsentwicklung, wo wir gesagt haben, wo sind die denn her, kommen die auch aus der früheren Sowjetunion? Das machen wir, und da haben wir auch exemplarisch Beispiele, dass der Anteil, der in dieser Altersgruppe vorkommenden Kriminellen im Bereich der Russlanddeutschen doch deutlich höher ist."

    Jahrelang wurden Aussiedler in der Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst, weil sie einen deutschen Pass besitzen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein, der 1998 als einer der ersten Politiker auf die erhöhte Kriminalitätsrate bei Russlanddeutschen hinwies, erntete damals noch einen Sturm der Entrüstung und wurde - gerade von Parteifreunden - verdächtigt, eine populistische Kampagne zu fahren. Heute sind die Zahlen evident: Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat ermittelt, dass jugendliche Spätaussiedler gegenüber in Deutschland geborenen Jugendlichen ein signifikant höheres Risiko haben, kriminell zu werden. In der "Zeit" schrieb er:

    "Es zeichnet sich eine massive Loser-Winner-Konstellation innerhalb der Zuwanderergruppe ab, große Teile der Spätaussiedler werden auch in den nächsten Jahrzehnten sozial stark benachteiligt bleiben und kaum integriert sein."

    "Mein Name ist Michalim Shekezy, und ich arbeite für das rasik.de, dem Internetradio Deutsch-Russisch."

    Rasik.de, das deutsch-russische Webradio aus Speyer, ist eines der Integrationsmodelle, mit denen private und kirchliche Träger versuchen, jugendliche Spätaussiedler am Rand der Gesellschaft abzuholen. Unterstützt von Profis produzieren die Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeinsam zweimal in der Woche ein halbstündiges Musikmagazin. Moderiert wird zweisprachig, auf Deutsch und Russisch.

    Im HipHop verschwinden die kulturellen Unterschiede der Jugendlichen, die gemeinsame Musik macht aus Zuwanderern und Deutschen eine Community. Der 22-jährige Moderator Michalim Shekezy erklärt das Prinzip:

    "Wenn wir HipHop betreiben, kommen wir auch an die Jugendlichen ran. Das heißt, wir können hier mit ihnen etwas aufbauen, mit ihnen arbeiten und sie von der Straße holen, damit sie keinen Scheiß bauen. Die Jugendlichen, die hängen halt draußen rum, kiffen, bauen jeden möglichen Scheiß. Es ist einfach so, dass die russischen Jugendlichen einfach unter sich sind. Also sie bilden Cliquen, sie bilden Gemeinschaften, nur russische. Und das versuchen wir ein bisschen zu kippen. Also wir versuchen sie hier reinzubekommen, zu sagen bei uns seid ihr willkommen, wir verstehen euch, kommt, lasst uns doch zusammenarbeiten! Lasst uns doch mal was aufbauen, wir geben euch eine Perspektive! Und, ja, so sieht das halt aus."

    Rasik.de wird getragen von der gemeinnützigen Colab GmbH, deren eigentlicher Zweck die berufliche Integration von Spätaussiedlern ist. Der Geschäftsführer Thomas Friedrich bestätigt die Abkapselung der Aussiedler, vor allem der jungen.

    "Auf dem Papier ist es vielleicht so, der eine oder andere hat einen deutschen Pass. Allerdings in der Realität leben diese Jugendlichen dann doch in ihrer eigenen Parallelgesellschaft."

    In Speyer ist man überzeugt, dass unter den Russlanddeutschen, die wegen ihrer Sprachdefizite Probleme in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt haben, Talente und Begabungen zu finden sind, die zu entdecken und auszubauen sich lohnt. Das Radioprojekt ist deswegen keine Spaßveranstaltung, wer mitmachen will, muss beweisen, dass er zuverlässig und leistungsbereit ist. Rasik-Moderator Michalim Shekezy hat es geschafft, Colab will ihn übernehmen, weil er sich im Radioprojekt bewährt hat:

    "September werde ich dann die Lehre hier anfangen als Kommunikationskaufmann, Bürokaufmann kann man auch dazu sagen."

    Unterdessen beginnt die Rückwanderung der Spätaussiedler: Das neue Russland lockt mit einem stabilen Wirtschaftsaufschwung und einer Sprache, die den Aussiedlern auch nach Jahren in Deutschland näher ist als die vermeintliche Heimatsprache. Alexander Böhler kennt solche Fälle aus seiner Beratungspraxis in der Diakonie in Montabaur.

    "Ich habe hier eine Familie, die sind beide wirklich intelligente Leute, beide Unis und sonst was. Die Kinder, zwei Töchter hatten sie gehabt, die hätten keine Perspektive hier. Die sind wegen den Kindern zurückgegangen. Die haben zwei Jahre ausgehalten, die Kinder gingen fast von der Schule ohne Abschluss. Die sind zurückgegangen, und die Kinder studieren drüben. Das ist die Sache, wo die Eltern rechtzeitig gepeilt haben: Aha, wird nichts."

    Heutzutage, so Alexander Böhler, kämen die Spätaussiedler mit Rückfahrkarte.

    "Die meisten kommen rüber und haben noch auf Reserve ein Häuschen, eine Wohnung. Das ist dieser Gedanke: Womöglich müssen wir zurück, spielt bei vielen mit. Es gibt Jugendliche, die sagen, ich gehe lieber zurück, warum haben die Eltern mich hierher geschleppt."

    15 Jahre nach dem Beginn der großen Zuwanderung macht sich Ernüchterung breit: Alte Illusionen über die Integrierbarkeit der Volksdeutschen sind zerstoben. Und die Spätaussiedler mussten erkennen, dass das Deutschland, aus dem ihre Vorfahren kamen, ein ganz anderes ist als das Deutschland, in das sie glaubten heimzukehren. Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch hält die Geschichte der Aussiedler dennoch für eine Erfolgsgeschichte - mit Einschränkungen.

    "Ich bin der Meinung es ist eine Erfolgsgeschichte mit Macken. Wir haben unendlich viele Menschen gewonnen, die ich nicht missen möchte. Wir haben Macken insoweit, dass wir nicht aufgepasst haben, dass wir da etwas mehr tun mussten, den Leuten zu helfen bei der Integration. Hauptsächlich bei ihren Kindern. Wir haben dort bei den Kindern und Jugendlichen Defizite zugelassen. Das hätten wir nicht zulassen dürfen. Hauptsächlich in der Sprache, in der Schulbildung, in der Betreuung. Sicher auch die Aussiedler selbst. Da hat sicherlich auch so Deutschlandbild eine fatale Rolle gespielt, das man eingespielt hat, nach dem Motto, da ist alles Wohlstand, da ist alles in Ordnung, das läuft alles seinen geordneten Gang. Und hat nicht festgestellt, dass man eigentlich hier bei uns in Deutschland ein hohes Maß an Selbsteinprägung haben muss, um in der Gesellschaft weiterzukommen."