Dienstag, 23. April 2024

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Deutscher Song Contest 2016
Wortgewaltiger Musikwettstreit

Mit treffsicheren Pointen gewann der Münchner Liedermacher Alex Döring den Deutschen Song Contest 2016. Christina Scherrer aus Österreich wurde mit einer Mischung aus politischem Lied und Cabaret Noir Zweite. Beim Duo Die Halbe Wahrheit trifft Kammerrock auf verwegene Schnulzen, und Nachwuchspreisträgerin Lucie Mackert betrieb surreale Textmetzgerei.

Am Mikrofon: Thekla Jahn | 17.02.2017
    Alex Döring steht mit der Gitarre auf einer dunklen Bühne und begleitet seinen Gesang
    Mit makabrem Humor gewann Alex Döring den Deutschen Song Contest 2016 (Thekla Jahn)
    "Ich bin immer wieder fasziniert, über die Lebendigkeit der deutschen Jugend des deutschen Nachwuchses in Sachen Songmaterial, in Sachen deutscher Sprache. Das ist toll, das merkt man eigentlich - das soll jetzt keine Kritik sein - das merkt man eigentlich in den Medien nicht so richtig. Oder vielleicht ist doch eine unterschwellige Kritik in dem, was ich da sage."
    So der Schweizer Liedermacher Stephan Sulke in Stuttgart beim Deutschen Song Contest 2016, dessen Pate er ist.
    "Es freut mich, dass wir mit den wenigen Mitteln, die wir haben, ein bisschen mithelfen und ich glaube schon, dass sich etwas tut in dieser vermeintlichen Einöde der deutschen Musik. Es ist ein sehr lebendiges und tolles Ding."
    Stephan Sulke, der selber vor allem in den 1980er Jahren mit Liedern wie "Der Mann aus Russland" oder "Uschi" in Deutschland bekannt wurde, castet jedes Jahr die Teilnehmer des Wettbewerbs. Sie treten an mehreren gegeneinander an und Publikum und Jury wählen jeweils zur Hälfte die Finalisten, die um den Nachwuchsförderpreis und den Hauptpreis, den Troubadour, konkurrieren - ein nostalgisches Mikrofon, um den sich eine Rose windet. Seit 2005 veranstaltet das Le Méridien in Stuttgart den Chanson- und Liedwettbewerb, der seit vorvergangenem Jahr "Deutscher Song Contest" heißt. Bernd Schäfer-Suren:
    "Wir haben es umbenannt, um das ein bisschen offener zu gestalten, auch nach außen zu zeigen, dass es offener ist, dass es jünger ist und nicht in ein enges Genre gepresst wird."
    Lucie Mackert sitzt auf der Bühne mit Gitarre und singt
    Auf der Suche nach dem Absurden im Alltag: Nachwuchspreisträgerin Lucie Mackert (Thekla Jahn)
    Nachwuchspreisträgerin 2016 wurde eine Musikerin, die schon einige Auszeichnungen mit nach Hause genommen hat, darunter den Goldenen Chansonpreis Hoyschrecke 2015 und den Preis der Deutschen Schallplattenkritik für ihr Debütalbum "Kreuzweise", das sie mit ihrer Band dem "Tribunal des Escargot" - dem Schneckengericht - eingespielt hat. Lucie Mackert sagt von sich selbst, sie sei nur in eine Richtung unterwegs, sondern
    "Ich bin ein totaler Mischungsmensch."
    Sie ist mit Band auf Tour oder solo, sie textet und komponiert, sie spielt mal Klavier, mal Gitarre, hatte Klarinettenunterricht, die Cajon ist ihr nicht fremd, sie steppt und ist Schauspielerin und sie hat ihre eigene Philosophie beim Schreiben.
    Auf der Suche nach dem Absurden
    "Ich schreibe deutsche Texte. Ich versuche aber, die Sachen nicht direkt zu sagen, so wie man es vielleicht im Kabarett machen würde oder auch in vielen Popsongs - was ich auch gar nicht schlecht reden will. Es ist nicht mein Stil, die Sachen direkt zu sagen, sondern ich umschreibe sie mit verschiedenen Metaphern und Bildern, die ich habe. Das ist dann teilweise ziemlich skurril, würde ich sagen, manchmal auch witzig. Also ich finde das Leben ist nicht nur traurig oder lustig, sondern es ist immer eine Mischung. Also das beste Beispiel ist, wenn irgendwas total trauriges oder schlimmes passiert, das man plötzlich irgendwas absurdes daran erkennt und lachen muss oder auch einfach so lachen muss, was irgendwie überhaupt nicht passt, aber gleichzeitig ja auch so lebenstypisch ist. Ich finde, das passiert ständig. Ich versuche das auch zu mischen, einen traurigen Text mit einer lustigen Melodie zu mischen z.B. und zu gucken: funktioniert das?"
    Beim Wettbewerb in Stuttgart trat Lucie Mackert als One Woman Show auf, so nennt sie ihre Soloauftritte. Für ein Stück kam auch Pianist und Musikkabarettist Peter Fischer hinzu, mit dem sie häufig unterwegs ist.
    Sascha Bendiks mit Gitarre und Tobias Schwab am Kontrabaß stehen nebeneinander auf der Bühne und spielen
    Musik trifft auf Theater: Das Duo Hallbe Wahrheit beim Deutschen Song Contest 2016 in Stuttgart (Thekla Jahn)
    Den dritten Preis beim Wettbewerb machte das Duo Die Halbe Wahrheit. Dahinter stecken die beiden Freiburger Musiker Sascha Bendiks und Tobias Schwab. Beide singen und beide sind Multiinstrumentalisten – Gitarre und Klavier sind obligatorisch - dazu kommen bei Sascha Bendiks die Labsteel Gitarre, außerdem Akkordeon und Klarinette und bei Tobias Schwab der Kontrabass. Zwischen ihnen stimmte von Anfang an die Chemie, erzählt Sascha Bendiks.
    Schlagzeuggrooves aus Kontrabass und Loopstation
    "Also man saß das erste Mal beim Kaffee zusammen, wir hatten noch nie zusammen einen Ton gespielt und haben gleich einen Premierentermin ausgemacht. Also das war im Nachhinein ziemlich mutig, aber das spricht für das Gefühl, das von vorneherein da war: Komm wir machen das zu zweit, wir verzichten auf Schlagzeug - wobei nicht ganz, Tobias mit seinem Kontrabass, da hat er seine Loopstation und haut mit Klöppeln darauf rum und mit einem Besen und macht so seine Loops, seine Schlagzeuggrooves, also damit arbeiten wir. Aber letztendlich wollten wir uns zu zweit die Freiheit bewahren, nicht noch mehr Leute, sondern haben gesagt, die Räume kriegen wir selber gefüllt oder die Räume sind offen, die machen wir gar nicht zu, damit es eine Luftigkeit gibt."
    Sascha Bendiks arbeitet in Gießen, Tobias Schwab in Zürich als musikalischer Leiter, was man ihrer Musik auch anmerkt. Sie vertonen Geschichten, liefern den Soundtrack zum Bild und das heißt auch: reduzieren zu können.
    Zwischen Schnulzen und Kammerrock
    "Ich glaube Einfachheit ist Trumpf, in der Musik, im Text. Das heißt nicht platt, sondern einfach nur Klarheit, Einfachheit und das kann man bei unserer Musik durchaus auch sagen: Da ist eine Klarheit und Einfachheit Trumpf", sagt Sascha Bendiks und Tobias Schwab meint, die Musik der Halben Wahrheit liege zwischen Schnulzen und Kammerrock.
    "Schnulzen mögen wir, und wir spielen immer am liebsten die Schnulzen. Und Kammerrock fand ich eigentlich so eine Verbindung wie Kammermusik - also sehr konzentriert das, was wir machen. Wir sind nur zu zweit auf der Bühne, haben aber trotzdem ganz viel Farben drin - aber wir sind trotzdem Rock´n Roll. Das muss man einfach auch sein."
    Christina Scherrer in geblümtem Kleid steht am Mikrofon nehmen ihr der Akkordeonist Andrej Prozorov
    Gnadenlos im Umgang mit musikalischem Material: Christiana Scherrer in Stuttgart (Thekla Jahn)
    Den zweiten Platz beim Deutschen Song Contest 2016 gewann Christina Scherrer aus Österreich, die ganz eigensinnig daherkommt - und - wie sie sagt - dies auch schon immer war.
    "Irgendwann bin ich auf den Geschmack gekommen mit 14und wollte Oper machen. Jeder hat gesagt: wieso Operngesang, was machst du damit und über den Operngesang bin ich irgendwie auf Musical gekommen und dann habe ich mir gesagt: Oh, das ist glaube ich nichts für mich. Dann bin ich auf die Schauspielschule gekommen, hab aber immer weiter Gesangsunterricht gehabt, Lehrer aus ganz unterschiedlichen Fächern: Musical, Jazz und Klassik und die haben mich dann gedrängt und gesagt: ‚Sing ja keine geraden Töne mehr, du singst immer so schön, du kommst vom Musical und das ist alles immer so glatt bei dir. Du singst jetzt Wienerlieder und möglichst falsche Noten bitte. Und dann hab ich das zwei Jahre lang machen müssen und rausgekommen ist meine Sehnsucht, was Eigenes zu machen."
    Das setzt sie nun um mit einer Mischung aus Moritat, politischem Lied und Cabaret Noir.
    "Ich bin ja Schauspielerin eigentlich und da kommt ein bisschen die Liedtradition von Brecht und Weill dazu, die mir Super-Spaß macht. Und auf der anderen Seite sind da Georg Kreisler, Qualtinger, die Wiener Liedtradition und aus dem Pool quasi nehme ich auch ein bisschen Anleihen oder zitiere. Und dann ist da noch Amanda Palmer zum Beispiel von den Dresden Dolls, die immer eine schräge Besetzung hat und immer ein bisschen grobschlächtiger umgeht mit der Musik, aber trotzdem irrsinnig poetisch ist und einfühlsam. Aus diesem Pool schöpfe ich und hau zusammen und dann kommt Andrejs Pool."
    Andrej - damit ist Andrej Prozorov gemeint - der Klavier und Saxophon spielt.
    "Und dann kreieren wir quasi unseren eigenen Stil, und ich glaube wir haben so was wie einen eigenen Stil gefunden."
    In Stuttgart trat zusammen mit Christina Scherrer auch noch Milos Todorowski auf, Akkordeonist und ein gnadenloser wie kooperativer Musiker, wenn es um Stilistiken und Bühnenperformance geht
    Von John Cage bis Johann Sebastian Bach
    "Für mich ist Orignialität im Spiel wichtig. Ich will immer überrascht werden und genauso versuche ich meine Musik an Christinas Musik anzupassen, Natürlich bin ich beeinflusst von allen Musikern der Welt, weil ich bin klassisch ausgebildet, auch Jazz und in gewisse Hinsicht sind wir in unserer postmodernen Zeit auch ein Ergebnis des Postmodernismus. Und ich bin von allen beeinflusst bzw. kurz gesagt von allen, die ich mag zwischen John Cage bis Johann Sebastian Bach.
    Christina Scherrer, die Zweitplatzierte beim Deutschen Song Contest in Stuttgart ist eine engagiert, eine eigenwillige und mutige Zeitgenossin mit einem klaren Ziel:
    "Man kann erreichen, dass man klar sich positioniert mit dem, was man macht; mit seinen eigenen Mitteln klar dafür stehen oder klar dagegen stehen und je klarer man das tut, desto wichtiger ist es gerade in unserer heutigen Zeit, wo man immer so ein bisschen s o ist: Ja ich reserviere mal eine Karte, aber ich muss sie nicht abholen. Unverbindlichkeit ist sozusagen das Hauptwort und dagegen wehre ich mich einfach."
    Alex Döring singt zur Gitarre vor dunklem Bühnenhintergrund
    Wortspiel und Wortwitz: Der Liedermacher Alex Döring (Deutschlandradio/Thekla Jahn)
    Gewinner der Troubadour-Trophäe 2016 wurde der Münchner Liedermacher Alex Döring. Es war im Übrigen nicht das erste Mal, dass er in Stuttgart einen Preis bekam. Schon 2011 begeisterte er - damals 21 Jahre alt - die Jury und das Publikum und erhielt den Nachwuchsförderpreis. Alex Döring punktet vor allem mit seinen Wortspielen und Reimen und neuerdings auch mit seinem Witz:
    "Dann ist das Optimum erreicht, wenn man sich selber im Lied oder der Zuhörer sich selber im Lied dabei ertappt, über seine eigenen Fehler oder seine eigenen Denkweisen zu lachen. Das ist natürlich, was ich anstreben will."
    Alex Döring hat ein Germanistikstudium abgeschlossen, jetzt studiert er Politik und das mit großer Ernsthaftigkeit, wie er beteuert. Denselben Ernst spürt man bei ihm oft in seinen Songtexten.
    "Am absurdesten ist eine Freundin in der Tiefkühltruhe"
    "Über irgendwelche Beziehungsproblem singen, da bin ich echt einfach überfordert in vielen Fällen. Ich hab bis jetzt größtenteils politische Lieder geschrieben, und dabei ist es extrem trocken immer mit dem Publikum umzugehen. Da ist selten ein Lacher dabei und dementsprechend habe ich mir gesagt, ich brauche unbedingt mal was anderes und habe dann tatsächlich nur darüber nachgedacht, was ist denn jetzt am absurdesten. Und am absurdesten ist eine Freundin in der Tiefkühltruhe zu verstauen."
    Und so entstand "Tiefkühltruhe", eines seiner makabren Stücke.
    Dass der Münchner Alex Döring, Gewinner des Deutschen Song Contest 2016 in Stuttgart, derzeit kaum in Deutschland auftritt, hat einen Grund.
    "Ich muss nebenbei immer noch studieren und arbeiten und dementsprechend habe ich noch nicht so viel Zeit gehabt mal über Bayern hinauszugucken."
    Aufnahme vom 22.10.16 im Le Méridien, Stuttgart
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung online nachhören.