Sylvia Asmus öffnet eine schwere Stahltür im Erdgeschoss der Nationalbibliothek. In diesem Magazin lagern die neu eingegangenen Bestände des Exilarchivs.
"Ich bin immer aufgeregt, wenn neue Dinge kommen. Weil viele Dinge einfach auch Erfahrungen transportieren, zu denen wir bis jetzt noch kein Material haben. Denen kann man bestimmte Familiengeschichten oder auch individuelle Geschichten ablesen."
Die Leiterin des Exilarchivs ist gespannt. Vor wenigen Tagen sind zwei Koffer mit dem Nachlass des Schriftstellers und Journalisten Roberto Schopflocher aus Argentinien angekommen.
"Ich bin immer aufgeregt, wenn neue Dinge kommen. Weil viele Dinge einfach auch Erfahrungen transportieren, zu denen wir bis jetzt noch kein Material haben. Denen kann man bestimmte Familiengeschichten oder auch individuelle Geschichten ablesen."
Die Leiterin des Exilarchivs ist gespannt. Vor wenigen Tagen sind zwei Koffer mit dem Nachlass des Schriftstellers und Journalisten Roberto Schopflocher aus Argentinien angekommen.
Heimatlosigkeit als Heimat
Manche Nachlässe füllen mehrere Regalreihen, der von Roberto Schopflocher ist überschaubarer: einige Ordner voll mit ausgedruckten Texten, ein handbeschriebenes Gedichtheft, eine von Schopflocher geschnitzte Druckplatte für einen Holzschnitt. Asmus kramt in einem Umschlag mit sorgsam beschrifteten Fotos.
"'Der erste Sonntag in Buenos Aires'. Das sind eben auch interessante Beschriftungen. 'In der neuen Heimat.' Später hat er sich gefragt: hat er überhaupt eine Heimat? Ist er entwurzelt, ist er heimatlos? Und hat eben gesagt: in der Heimatlosigkeit liegt seine Heimat."
"'Der erste Sonntag in Buenos Aires'. Das sind eben auch interessante Beschriftungen. 'In der neuen Heimat.' Später hat er sich gefragt: hat er überhaupt eine Heimat? Ist er entwurzelt, ist er heimatlos? Und hat eben gesagt: in der Heimatlosigkeit liegt seine Heimat."
Die deutsche Heimat mussten Schopflocher und seine Familie 1937 verlassen, weil sie Juden waren. Zu gefährlich war die Lage im nationalsozialistischen Deutschland geworden. Als 15-Jähriger kam Schopflocher nach Argentinien. Bis zu seinem Lebensende arbeitete er in Buenos Aires, schrieb auf Spanisch, später auch wieder auf Deutsch. Dieses literarische Erbe hat seine Witwe nun an das Exilarchiv übergeben.
"Frau Schopflocher hat sich die Mühe gemacht, manches auch nochmal für uns zu beschreiben, solche Listen, damit wir wissen, was sie in diese beiden Koffer gepackt haben. Das haben wir sonst meistens nicht."
In jedem Karton eine Lebensgeschichte
Manchmal können die Archivare vorab nur vermuten, was genau sich in den Nachlässen verbirgt. Das Exilarchiv bekommt sie von den Nachfahren der Exilanten oder kauft vielversprechende Bestände auf Auktionen und in Antiquariaten. Alle Objekte werden in einem Katalog registriert. Dann wird entschieden, welche Dokumente es wert sind, sie detaillierter zu erfassen.
Archivleiterin Asmus geht durch einen langen Gang im dritten Untergeschoss der Nationalbibliothek. Mehrere riesige Lagerräume füllt die Sammlung aus.
In grauen Metallregalen stapeln sich zahllose Archivkartons. Hier liegen Briefe von Lion Feuchtwanger, Manuskripte von Leo Perutz und Lily Körber und Kindheitsdokumente von Stefanie Zweig. In jedem Karton steckt die Geschichte eines Lebens.
Einer der ersten, der diese Geschichten zu sehen bekommt, ist Christian Herbert.
Archivleiterin Asmus geht durch einen langen Gang im dritten Untergeschoss der Nationalbibliothek. Mehrere riesige Lagerräume füllt die Sammlung aus.
In grauen Metallregalen stapeln sich zahllose Archivkartons. Hier liegen Briefe von Lion Feuchtwanger, Manuskripte von Leo Perutz und Lily Körber und Kindheitsdokumente von Stefanie Zweig. In jedem Karton steckt die Geschichte eines Lebens.
Einer der ersten, der diese Geschichten zu sehen bekommt, ist Christian Herbert.
"Man gewinnt ja einen Einblick in das Leben einer Person, den man sonst eigentlich überhaupt nicht hätte. Zum Beispiel bei dem ersten Nachlass, den ich erschlossen hatte, war das für mich so ein Aha-Effekt zu sehen: es gab so ein Konvolut von Ausweisen und man hat gesehen: Die Person wird eigentlich immer älter auf diesen Passfotos. Und das ist schon irgendwie auch ein emotionaler Eindruck."
Manchmal muss der Archivar der Versuchung wiederstehen, sich an den Dokumenten festzulesen. Schließlich warten noch tausende Seiten darauf, erschlossen zu werden. Und die Sammlung wächst immer weiter.
"Im Falle von Leo Perutz war das so. Der Nachlass liegt schon lange hier. Und vor Kurzem hat die Enkelin noch ein ganzes Konvolut handschriftlicher Briefe von Leo Perutz an seinen Bruder geschickt. Das passiert ganz häufig, dass die Sachen einfach nochmal ergänzt werden."
Auch bei den Büchern ist kein Ende absehbar: Wie viele Titel im Exil überhaupt veröffentlicht wurden, das weiß niemand so genau. Immer wieder tauchen neue, bisher unbekannte Werke auf.
Manchmal muss der Archivar der Versuchung wiederstehen, sich an den Dokumenten festzulesen. Schließlich warten noch tausende Seiten darauf, erschlossen zu werden. Und die Sammlung wächst immer weiter.
"Im Falle von Leo Perutz war das so. Der Nachlass liegt schon lange hier. Und vor Kurzem hat die Enkelin noch ein ganzes Konvolut handschriftlicher Briefe von Leo Perutz an seinen Bruder geschickt. Das passiert ganz häufig, dass die Sachen einfach nochmal ergänzt werden."
Auch bei den Büchern ist kein Ende absehbar: Wie viele Titel im Exil überhaupt veröffentlicht wurden, das weiß niemand so genau. Immer wieder tauchen neue, bisher unbekannte Werke auf.
Anlaufstelle für Forscher weltweit
Der Grundstock für die Archivsammlung wurde schon kurz nach Kriegsende gelegt. Doch bis zur ersten öffentlichen Exilausstellung dauerte es noch bis 1965. In der Nachkriegszeit war das Interesse für die Exilliteratur eher gering. Manchen galten die Exilanten gar als "Landesverräter".
Dass sich der Blick heute grundlegend geändert hat, ist auch dem Exilarchiv zu verdanken. Für Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt ist das Archiv eine wichtige Anlaufstelle. Seit März 2018 gibt es neben dem Eingang der Nationalbibliothek auch eine kleine Dauerausstellung. Ausgewählte Stücke aus dem Exilarchiv vermitteln eindrucksvoll Flucht- und Exilgeschichten.
Dass sich der Blick heute grundlegend geändert hat, ist auch dem Exilarchiv zu verdanken. Für Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt ist das Archiv eine wichtige Anlaufstelle. Seit März 2018 gibt es neben dem Eingang der Nationalbibliothek auch eine kleine Dauerausstellung. Ausgewählte Stücke aus dem Exilarchiv vermitteln eindrucksvoll Flucht- und Exilgeschichten.
In einer Vitrine liegt eine unscheinbare Zugfahrkarte: 23. April 1933, Köln-Aachen, Hin- und Rückfahrt. Mit ihr fuhr der Publizist Walter Zadek in die Nähe der Grenzstadt Aachen – um dort über die grüne Grenze in die benachbarten Niederlande zu fliehen. "Fahrkarte in die Freiheit", hat Zadek auf die Rückseite notiert. Die Rückfahrkarte war nur Tarnung, erklärt Archivleiterin Asmus.
"Das ist das Anliegen der Ausstellung: zu zeigen, es gibt nicht das Exil. Es gibt viele Wege individuelle Wege und Erfahrungen und disparate Objekte, die für das Exil stehen. Und das wollten wir zeigen in der Ausstellung."
"Das ist das Anliegen der Ausstellung: zu zeigen, es gibt nicht das Exil. Es gibt viele Wege individuelle Wege und Erfahrungen und disparate Objekte, die für das Exil stehen. Und das wollten wir zeigen in der Ausstellung."