Archiv


Deutsches Glück

Wer - als deutscher Besucher - sich in den letzten Wochen in französischen Buchläden umsah, um sich über den französischen Blick auf Deutschland zu informieren, hat sich bisweilen wohl verwundert die Augen gerieben. Da vertritt eine Yvonne Bollmann in ihrer Streitschrift "La tentation allemande" - "Die deutsche Versuchung" die Auffassung, Deutschland strebe mit aller Macht die Vorherrschaft in Europa an. Philippe Delmas, ehedem Berater im französischen Aussenministerium, provoziert mit dem Werk "De la prochaine guerre avec l'Allemagne" - "Vom nächsten Krieg mit Deutschland". Und das einflussreiche Magazin "L'express" stellte auf seinem Titelblatt zum 10. Jahrestag des Mauerfalls süffisant die Frage "Peut-on enfin aimer l'Allemagne?" - Kann man Deutschland endlich lieben"? - illustriert mit einem Foto des deutschen Models Claudia Schiffer. Über solche antideutschen Ressentiments ärgert sich die in Berlin lebende französische Journalistin Pascale Hugues:

Günter Beyer |
    "Ich fand diesen Titel eine Frechheit. Also das würde man nie schreiben- "Peut-on aimer l' Italie?"- Kann man Italien lieben? Oder England. Aber dass man sich diese Frage stellt, für mich ist das selbstverständlich. Natürlich kann man Deutschland lieben. Das ist ein sehr liebenswertes Land. Aber dass eines der bekanntesten Nachrichtenmagazine diese Frage stellt, ist das schon ein Zeichen von der Stimmung, die immer noch in Frankreich herrscht, wenn man über Deutschland spricht."

    Unter dem Titel "Le bonheur allemand" legte Pascale Hugues vor einem Jahr in Paris eine Sammlung brillant geschriebener Reportagen über Deutschland vor, die nun unter dem Titel "Deutsches Glück" bei uns erschienen sind. Deutsches Glück? Die 40-jährige Deutschland-Korrespondentin des Magazins "Le Point" weiss, dass dieser Titel Widerspruch erntet - jenseits und diesseits des Rheins:

    "Viele Leute reagieren sehr gewundert und fragen: "Haben Sie eine Parodie geschrieben? Ist das jetzt eine Satire Über Deutschland?" Ich sage: Nein, nein, das ist sehr ernst gemeint. Es ist ein Buch über das deutsche Glück. Es gibt sehr traurige Kapitel, aber es gibt auch sehr viele Leute in dem Buch, die glücklich sind und nach Glück streben."

    Ironisch spielt Pascale Hugues mit einem doppellten Begriff von Glück. Da ist einmal das persönliche Glück, das nach ihrer Beobachtung viele Deutsche geniessen, vielleicht ohne sich des Privilegs bewusst zu sein, in einer reichen und freien Gesellschaft zu leben. Zum anderen wagen sich manche Nationen, so auch die deutsche, weit vor, ihren Bürgerinnen und Bürgern politische Glücksversprechungen zu geben. Recht, Freiheit und vor allem Einigkeit besingt etwa das "Deutschlandlied" lyrisch als "des Glückes Unterpfand", in dessen "Glanze" sich das "Vaterland" in blühende Landschaften verwandelt. Pascale Hugues kam zwei Monate vor dem Mauerfall nach Deutschland, hat als Korrespondentin Montagsdemonstrationen und Mauerspechte miterlebt. Die friedliche Schaffung der deutschen Einheit müßte die Deutschen eigentlich zu einer glücklichen Nation machen - aber sind sie's? Eher sind die Boches "auf ihre Art:" glücklich". Glücklich in ihrem Engageinent gegen die Atomkraft, gegen das Vergessen der Opfer des Nationalsozialismus. Glücklich, das Leben in ihrem Viertel und das Leben ihrer Kinder mit: viel Bedacht mitzugestalten", vermutet Hugues im Vorwort.

    Die elf Reportagen beschreiben eine amüsante, ironisch und klug gebrochene Reise auf der Suche nach dem Kern eines "deutschen Wesens", an dem längst nicht mehr die Welt genesen soll. Doch wo ist diese ominöse "deutsche Seele" zu Hause? Hugues recherchiert in einem mittelständischen Unternehmen, um das sogenannte "deutsche Modell" aus der Nähe zu betrachten:

    "Da ist eine Papierfabrik im Schwarzwald. Ich hab mich immer gewundert, ich bin Elsässerin, und habe immer meine Grossmutter gehört: "Die Deutschen haben den Krieg verloren", aber dieses Wirtschaftswunder, die haben das innerhalb von wenigen Jahren geschafft, wieder das erste wirtschaftliche Macht in Europa zu werden. Zum Beispiel diese Sätze wie "Wir schaffen das!" und "Wir packen das schon!", und dieser unglaubliche Eifer, Energie und Erfolg auch nach dem Krieg, und jetzt immer noch und ich wollte wissen: woran liegt das?"

    Mit wachem Auge und spitzer Feder beschreibt Hugues die Verkörperung dessen, was unter Helmut Schmidt einmal "Modell Deutschland" hieß. Ein Unternehmen, dem es gut geht, in dem der Arbeitsplatz faktisch vom Vater auf den Sohn vererbt wird und in dem Geschäftsleitung wie Betriebsrat darauf stolz sind, dass noch nie gestreikt wurde. Viele französische patrons loben das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft, preisen die Unternehmenskultur des friedfertigen miteinander als vorbildlich. Pascale Hugues kehrte allerdings ernüchtert aus dem Schwarzwald zurück.

    "Ich wollte beobachten die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften oder den Betriebsräten, und dem Patron, warum es da diesen Konsens gibt, also dass man nie zum grossen Streiten und großen Auseinandersetzungen kommt. Ich bin die ganze Woche dort geblieben, es war spannend, weil alles auf Konsens, Harmonie, "Streitkultur" und Konfliktpartnerschaft hinauslief. Aber das ist auch extrem langweilig."

    Es sind stets die schräge Perspektive und die genaue Beobachtung, die den Reiz der Hugue'schen Expeditionen ins "deutsche Glück" ausmachen. Sie trifft den archimedischen Punkt, von dem aus deutscher Alltag, der uns selbstverständlich und vertraut ist, ausgehebelt und auf einmal in einem anderen Licht erscheint. Ein solches geduldiges Sich-Einlassen auf fremde Alltagswelten ist man von politischen Korrespondenten nicht gewohnt. Und wenn Pascale Hugues beobachtet, dass in der Schwarzwälder Papierfabrik Besucher bei Geschäftsleitung und Betriebsrat aus demselben Typ Thermoskanne bewirtet werden, so sagt das mehr aus als die betuliche Festschrift der Firma oder Streikstatistiken. Ausgerechnet in Fürth, der Geburtsstadt von Ludwig Erhard, dem Begründer der Sozialen Marktwirtschaft und des Nachkriegs-Imperativs vom "Masshalten", geht sie dem Mythos von deutscher Mark und Sparsamkeit am "Tatort" Städtische Sparkasse nach. "Deutsches Glück" ein ewigwährender Weltspartag und an keinen besonderen Ort gebunden. Auch die türkische Inhaberin eines Kosmetik-Salons in Berlin hat Teil am "deutschen Glück". Und die jungen Mütter, die sich regelmässig zu einem gesunden, ökologisch und politisch einwandfreien "Frauenfrühstück" barfuss in einer Altberliner Wohnung treffen, praktizieren nach Hugues' Urteil einen sonderbaren, sehr deutschen Lebensstil, den es in Frankreich nicht gibt. Überhaupt erscheinen die kleinen, überschaubaren Szenen, in denen sich Gesamtschullehrerinnen, Anti-Atom-Aktivisten und Müsliesser zusammenfinden, als ambivalente Brutstätten "deutschen Glücks", ein bisschen provinziell und warmherzig zugleich. Da aber das "typisch Deutsche" in einer multikulturellen Gesellschaft verschwimmt, sucht Pascale Hugues Orte und Situation, wo deutsches Glück in Reinkultur, fernab postmoderner Auflösungen, vermutet werden darf. Im fernen Kasachstan etwa besucht Pascale Hugues Angehörige der deutschen Gemeinde, die geduldig auf ihren Koffern sitzen, um endlich ins Gelobte Land an Rhein und Elbe auszureisen, das sie nur vom Hörensagen kennen:

    "Also die Kasachstan-Deutschen, zum Beispiel, die haben mich zutiefst berührt. Das Kapitel heisst "Die Vergessenen", weil die sind nicht mehr deutsch, das sind die nicht mehr nach 200 Jahren, auch wenn die noch ein bisschen deutsch sprechen, die sind sehr sehr russifiziert, und dann kommen sie nach Deutschland voller Hoffnungen, Illusionen, endlich die Heimat, und erwarten, dass Deutschland sie mit offenen Armen,und die erwecken auch einen bestimmten Rassismus, das ist sehr schwierig für diese Leute. Auf der anderen Seite sind die auch so extrem altmodisch. Die Frauen mit Kopftüchern, die Männer mit goldenen Zähnen vorne, die haben ein Sprache wie vor 200 Jahren, die konserviert ist ."

    Pascale Hugues begleitet eine Reisegruppe betagter "Nostalgietouristen" ostpreussischer Herkunft bei einem Besuch in Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg. Sie wird vorstellig im Atelier eines ehedem erfolgreichen Bitterfelder Malers, der das Ende der DDR und des Sozialistischen Realismus nicht verkraftet. Ein unglücklicher Deutscher, aber zugleich anrührend in seiner verletzten Würde, wenn ihm beim Abschied die Tränen in den Augen stehen. «Nach Abschluss ihrer Recherchen, die ursprünglich meist die Blätter "Libération" und "Le Point" in Auftrag gegeben hatten und die für das Buch erweitert wurden, hat sie ein missverständliches deutsches Wort besser verstanden, das im Französischen nur unzulänglich übersetzt werden kann:

    "Ich hab viele, viele Leute gefragt innerhalb dieser ganzen Jahre in Deutschland, was das Wort "Heimat" für die weckt für Gefühle, und was es eigentlich heisst, Heimat. Das hat mit Kindheit zu tun, mit Erinnerung zu tun. Es ist nicht immer geografisch bedingt. Und ich finde das ein sehr, sehr schönes Wort."