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Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
"Trump will Europa und China spalten"

Der Präsident des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher hat im Dlf vor einem globalen Handelskrieg gewarnt, den die USA anzetteln könnten. Europa müsse dem mit einem multilateralen Freihandelsabkommen entgegentreten, bilaterale Abkommen reichten nicht aus.

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Dirk Müller | 20.07.2018
    Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher.
    Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. (imago / IPON)
    Dirk Müller: Es sind unzählige Tonnen aus Stahl, die für den amerikanischen Markt bestimmt sind, zum Beispiel aus China. Aber wegen der Strafzölle wandern diese Exporte aus China nun nach Europa und machen den hiesigen Produzenten riesige Sorgen. Brüssel hat nun reagiert. Neben Whisky, Jeans und Harley-Davidson gibt es seit gestern Sonderzölle auf Stahlprodukte – vielleicht auch, um die Verhandlungsposition der Europäischen Union zu stärken. Denn Jean-Claude Juncker, der Kommissionspräsident persönlich, versucht, in der kommenden Woche in Washington eine Lösung mit der Trump-Regierung zu finden.
    Zahlreiche Handelsexperten und Ökonomen halten die Sonderzölle aus Europa für absolut kontraproduktiv. Die Automobilkonzerne schlagen Alarm, befürchten Racheaktionen von Donald Trump, Strafzölle auf deutsche Autos. Das könnte die Konsequenz sein. Die europäischen Stahlbauer hingegen begrüßen ausdrücklich die neuen europäischen Sonderzölle.
    Am Telefon ist nun Marcel Fratzscher, Präsident des arbeitnehmernahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Guten Morgen!
    Marcel Fratzscher: Guten Morgen!
    Müller: Herr Fratzscher, macht die EU jetzt alles noch schlimmer?
    Fratzscher: Nein. Ich denke nicht, dass die Europäische Union einen Fehler macht, denn die Frage ist ja, wie kann man eine Eskalation eines Handelskrieges verhindern, wie kann man Donald Trump daran hindern, dass er immer weitermacht, dass er immer wieder auf neue Produkte, jetzt gerade auf deutsche Autos Strafzölle auferlegt. Da muss die EU reagieren. Die Europäische Union hat die größte Volkswirtschaft der Welt, neben den Amerikanern. Irgendjemand muss Trump Paroli bieten. Und wenn die Europäer es nicht tun, wer soll es sonst tun. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, Donald Trump zu signalisieren, bis hierhin und nicht weiter. Der EU bleibt keine andere Wahl.
    Müller: Aber das hört sich so an, als würden Gegenmaßnahmen zur Beruhigung beitragen.
    Fratzscher: Zur Beruhigung würde ich nicht sagen, weil man muss jetzt erst mal sehen, wie reagiert Donald Trump darauf. Ich befürchte, nicht gut, denn er hat ja sich erst mal China vorgeknöpft. Er hat China jetzt Strafzölle auf mehrere hundert Milliarden Euro angedroht, wirklich eine Größenordnung, die richtig wirtschaftlichen Schaden anrichten würde. Und als die Chinesen dann gesagt haben, das machen wir auch, wir schlagen zurück, wir legen eigene Zölle auf amerikanische Produkte auf, hat er noch mal eskaliert. Und das ist die Sorge, dass wir hier in einen Strudel kommen, in eine Spirale, indem man sich gegenseitig hochschaukelt und dann ein enormer Schaden entsteht.
    Müller: Das ist meine Frage. Das könnte jetzt auch mit Europa passieren?
    Fratzscher: Das kann auch mit Europa passieren. Aber es kann auch passieren, wenn Europa nichts tut, wenn Europa nur auf den Händen sitzt und sagt, nee, wir warten mal ab, er wird das schon nicht machen.
    Klar: Das was Jean-Claude Juncker und auch viele andere machen wollen, nämlich verhandeln, sprechen mit den Amerikanern, sagen, besinnt euch doch, ein Handelskrieg hat nur Verlierer – auch die USA gewinnt davon ja nichts, sondern ganz im Gegenteil. Auch in den USA gehen Arbeitsplätze verloren. Letztlich ist alles eine Verhandlung. Bisher hat es nicht geklappt und ich habe Zweifel, dass es in der Zukunft funktionieren wird.
    "Es geht darum, wirklich glaubwürdig zu sein"
    Müller: Die deutschen Autobauer schlagen Alarm und sagen, das können wir nicht machen, denn dann schlägt Trump, wie Sie gerade am Beispiel China geschildert haben, Herr Fratzscher, dann auch zurück und droht mit 50, 60 Milliarden Euro. Das wäre ja dann auch sehr relevant. Wie groß ist diese Gefahr?
    Fratzscher: Die Gefahr ist groß. Die Frage ist, wie man am besten reagiert. Wenn man von europäischer Seite jetzt nichts macht und sagt, okay, er hat "nur" auf Stahl und Aluminium aus Europa auferlegt, das ist schon nicht so schädlich, lasst uns mal besser nichts machen, dann läuft man Gefahr, dass er sich dann erst ermutigt sieht und sagt, jetzt mache ich erst recht weiter, und dass es dann Europas Glaubwürdigkeit schadet.
    Es geht darum, wirklich glaubwürdig zu sein und Donald Trump zu sagen, nein, wir werden nicht nachgeben, Du musst hier Dein Verhalten ändern, und nur Diplomatie kann das lösen. Ich bin überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Die EU, Europa muss hart bleiben, kann sich hier nicht den USA ausliefern. Deshalb sehe ich nicht wirklich eine Alternative dazu.
    Fratzscher: Man muss sicherstellen, dass ein fairer Wettbewerb besteht
    Müller: Schauen wir noch einmal, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, auf die Marktsituation. Ich hatte das eben gesagt: Stahlschwemme, davon ist schon die Rede. Das heißt, chinesische Produkte, die für die USA vorgesehen waren, die jetzt bezollt werden, wandern nach Europa und deswegen haben hier die Produzenten große Probleme.
    Auf der anderen Seite brauchen Autobauer, Bauunternehmen sehr, sehr viel Stahl. Für die ist das gar nicht so schlimm, verbilligt sich dann vielleicht auch. Nach Angaben der zuständigen Verbände soll 18 Prozent mehr Stahl inzwischen auf dem europäischen Markt angekommen sein. Ist das so?
    Fratzscher: Ja, sicherlich ist das genau die Wirkung. Das heißt, weniger Stahl geht in die USA, dafür mehr Stahl nach Europa, das drückt die Preise. Von solchen Dingen profitieren meistens einige wenige, aber viele haben hohen Schaden und einen hohen Preis, gerade natürlich europäische Unternehmen, die selber Stahl herstellen. Die Gefahr ist, dass die, wenn das zu lange dauert, aus dem Markt gedrängt werden könnten, also gar nicht mehr aktiv sein können, und dass dann mittel- bis langfristig die Gefahr besonders groß ist, dass dann Preissteigerungen kommen aus China oder den USA, aber keine europäischen Unternehmen mehr sagen können, okay, dann bieten wir mehr unseres eigenen Produktes an, sodass man hier in eine Abhängigkeit kommt, die man nicht wirklich will.
    Deshalb muss man hier wirklich frühzeitig gegenlenken und sicherstellen, dass ein fairer Wettbewerb besteht. Darum geht es ja. Es ist ja in Ordnung, dass China günstigen Stahl exportiert, aber nicht, wenn es ein unfairer Wettbewerb ist, wenn hier Dumping betrieben wird, Preise angeboten werden, die unter den Herstellungskosten sind. Das ist die Sorge. Deshalb reagiert Europa richtig.
    Müller: Das war aber jetzt, wenn ich das richtig verstanden habe, noch gar nicht die Kritik. Ich verstehe das nicht ganz. Inwieweit ist das ein Widerspruch? Jetzt kommt billiger chinesischer Stahl und Stahlprodukte kommen hier auf den europäischen Markt. Die sind billiger als das, was wir vorher hatten. Dann können sich doch viele, die Stahl brauchen, freuen. Ist das nicht freier Markt?
    Fratzscher: Nein, das ist kein freier Markt. Freier Markt heißt, dass alle miteinander im Wettbewerb stehen, aber auch wirklich die Preise anbieten, die notwendig sind, um die Produkte herzustellen. Die meisten Strafzölle, die in der Welt heute entstehen, sind sogenannte Zölle auf Dumping-Produkte. Das heißt, das Ursprungsland oder Unternehmen im Ursprungsland verkauft ein Produkt oder exportiert Produkte unter dem Herstellungspreis.
    Müller: Machen das die Chinesen jetzt in diesem Fall?
    Fratzscher: Ja! Das ist ja genau der Punkt.
    "China ist hoch protektionistisch. In dem Punkt hat Donald Trump nicht Unrecht"
    Müller: Aber können dann nicht die Europäer dementsprechend Zölle darauf beschließen?
    Fratzscher: Genau. Das wäre die Antwort darauf, was dann wiederum problematisch ist, weil dann kommt man eventuell mit China in einen Handelskonflikt, wenn man sagt, nee, ihr könnt eure Produkte nicht unter Herstellungskosten hier verkaufen, weil ihr damit europäische Stahlhersteller in Bedrängnis bringt. Da legen wir deshalb Strafzölle auf, damit weiter ein fairer Wettbewerb besteht. – Zölle können dafür dienen, Wettbewerb zu verhindern, das was Donald Trump macht, aber Zölle können auch dafür genutzt werden, um Wettbewerb sicherzustellen, faire Marktpreise, die den Herstellungsprozess reflektieren. In dem Falle wäre es wirklich ein Dumping und Europa müsste sogar handeln, um seine Unternehmen zu schützen.
    "Trump will Europa spalten"
    Müller: Aber, Herr Fratzscher, dann könnten wir jetzt feststellen: Wir reden über Europa und Donald Trump und die USA, über die Strafzölle, und heraus kommt in unserem Gespräch, dass die Chinesen unfair sind.
    Fratzscher: Ja, in dem Fall ja. Das ist ja auch nicht der erste Fall. China hat das Problem häufiger, dass es Dumping begeht, dass intellektuelle Eigentumsrechte missbraucht werden. Es gibt auch in China große Probleme. Das ist nichts Neues. China ist hoch protektionistisch. In dem Punkt hat Donald Trump nicht Unrecht. Das macht es so schwierig, China als Partner zu gewinnen, mit China eine gemeinsame Sache gegen die Amerikaner zu machen, weil China selbst sehr hoch protektionistisch ist und viele deutsche Unternehmen leiden darunter, dass ihre Innovationen, ihre Rechte in China nicht wirklich gewahrt bleiben.
    Das ist genau, befürchte ich, das Ziel eines Donald Trumps. Er will Europa spalten, zwischen Deutschland und Frankreich einen Keil schlagen. Das sind zum Beispiel die Strafzölle auf Autos, was Deutschland sehr hart trifft, Frankreich kaum. Er will Europa und China spalten, was ihm eventuell jetzt mit diesen Strafzöllen auch wieder gelingt, weil Europa sich schützen will vor Dumping-Exporten aus China. Das ist die große Sorge, dass Donald Trump nicht nur bilateral einen Konflikt anzettelt, sondern etwas, was wirklich global zu einem Handelskrieg führen könnte, und das muss unbedingt verhindert werden.
    Müller: Herr Fratzscher, jetzt haben wir nur noch eine halbe Minute. Wir wollen nicht Europa vergessen. Europa hat auch protektionistische Schranken, wie auch immer definiert. Wird sich das ändern? Wird Jean-Claude Juncker sagen, das geben wir auf?
    Fratzscher: Nein. Das ist leider meine Sorge. Die Antwort der Europäer war, dass sie ein Handelsabkommen mit Japan machen, mit JEFTA, was diese Woche ja kam. Das ist ja im Prinzip gut und richtig. Aber es ist wieder ein bilaterales Abkommen. Das, worum es Europa gehen müsste, ist wirklich ein globales, multilaterales Abkommen, das auch schwachen Ländern in Afrika, in asiatischen Ländern Marktzugang gibt.
    Die Politik in Deutschland streitet viel zu viel darüber, wie man Grenzen schließen kann, aber nicht, wie man Fluchtursachen bekämpft, und dafür wäre ein wirkliches globales, multilaterales Freihandelsabkommen, das alle mitnimmt, extrem wichtig – auch für deutsche Unternehmen, die davon profitieren würden. Das wäre wirklich eine starke Antwort auf Donald Trump. Die bilateralen Abkommen, die Europa jetzt macht, sind es sicherlich nicht.
    Müller: 8:21 Uhr in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Marcel Fratzscher war das, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Fratzscher: Sehr gerne. Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.