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Deutschkurse für Flüchtlinge
Hilfe zur Selbsthilfe

Flüchtlinge, die noch kein Bleiberecht haben, haben auch kein Recht auf vom Staat finanzierte Sprachkurse. Hier setzt die Idee einer Computerexpertin aus Bad Tölz an – sie bietet Online-Deutschkurse an, die nichts kosten und bei denen jeder Flüchtling das Tempo selbst bestimmen kann.

Von Julia Smilga | 11.11.2014
    Eine Person bedient einen Laptop mit einer Mouse.
    Über das Internet können Flüchtlinge Deutsch lernen, bevor der offizielle Sprachkurs beginnt. (picture-alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    "Frau Haase, mein Kursplan ist nicht da!" "Wo ist meiner?"
    "Mit was bis du eingeloggt? Hat sich jemand eingeloggt und nicht ausgeloggt?"
    Ein kleiner Computerraum im Jugendzentrum in Bad Tölz: fünf ältere Rechner, ein paar Laptops. Der 16-jährige Emran sucht nach seinen letzten Übungen im Computer. Er lernt Deutsch online - ein kostenloses Angebot der "Deutschen Welle."
    "Meine Muttersprache ist Englisch – ich spreche auch Spanisch und Deutsch. Hallo ich heiße Roberto!"
    "Verstehst du das?"
    "Ja"
    "Diese Programme - einfach hören und schreiben. Alles ist in diesem Programm für eine Person, wenn sie richtig lernt - dann ich sage drei Monate, wenn nicht perfekt Deutsch, dann mindestens 70 Prozent Deutsch. Ist ok, wenn richtig gelernt."
    Als der ehemalige Kuhhirte aus einem afghanischen Bergdorf vor 10 Monaten nach Deutschland kam, war er Analphabet. Einen Computer hatte Emran vorher noch nie gesehen.
    "Er setzt sich am Computer - das ist ein Computer. Und ich sage: Schau her, da ist das Kabel, das da rausgeht - da bist du mit der ganzen Welt verbunden. Und dann haben wir halt angefangen, Wörter zu lernen mit Bilder. aus Google. Und dann hab ich gesagt: So, und jetzt setz dich einfach hin, wir machen den Deutschkurs bei der Deutschen Welle. Hören-lesen-hören-lesen. So ist angegangen.
    Heute, nach zehn Monaten, kann Emran so gut Deutsch, dass er an der Berufsschule in Bad Tölz lernt und parallel ein Praktikum als Automechaniker macht. Alles dank des Online-Unterrichts aus Kopfhörern.
    Das Beste aus verschiedenen Programmen
    Die ehrenamtliche Helferin Waltraud Hasse lächelt - eine Zauberkünstlerin sei sie keineswegs. Haases Idee ist so einfach wie genial: Die Mathematikerin, Linguistin und Computerexpertin hat verschiedene kostenlose Sprachkurse aus dem Netz gebündelt:
    "Das sind Programme von Anbietern im Internet, die erfahren sind und hohe Qualifikation bieten. Das einzige, was ich getan habe - sie zusammen zu tragen und unter einer Browseroberfläche mit minimalen Mitteln so bereitzustellen, dass jeder die gleiche Oberfläche hat. Das sind ganz normale Sachen, die gibt's kostenlos im Internet, man muss halt drauf kommen und ein bisschen Freude am Computer muss man auch haben, das Alter spielt keine Rolle - ich bin 67."
    Die Sprachprogramme sind als Lesezeichen im Internet-Browser abgelegt. Die ersten Schritte macht man gewöhnlich mit dem Lernprogramm des Goethe-Verlags. In 50 Weltsprachen kann man sich selbst den einfachsten deutschen Sprachschatz beibringen:
    "Ich und Du - also Sie hören es das erste Mal. Sie haben hier die arabische Schrift und das arabische Wort - und jetzt haben Sie hier das deutsche Wort "wir beide". Sie können also sehen, wie das arabische "wir beide"- in Deutsch geschrieben wird und wie es in der lateinischen Schrift aussieht. Und die, die ich jetzt gehabt habe - die haben sich hingesetzt und haben sich die Gegenüberstellung der beide Alphabete selber erarbeitet und da braucht man nicht ein dreifachdiplomierter Ingenieur zu sein, um das zu können."
    Lernen auch ohne offiziellen Deutschkurs
    Seit Anfang des Jahres hat Waltraud Haase 70 Flüchtlinge in ihr kostenloses System eingeloggt. Ihr Mann, auch Computerexperte, hat mehrere gespendete alte Laptops umgerüstet. Mit Hilfe eines Internet-Sticks könnte nun jeder lernwillige Asylbewerber in jeder Sammelunterkunft kostengünstig Deutsch lernen Es sei echte Hilfe zur Selbsthilfe, sagt der Syrer Mafael Mufti. Vor einem Jahr hat er mit dem Onlinelernen angefangen - lange bevor ihm ein Integrationskurs bewilligt wurde. Mittlerweile hat Mufti das fortgeschrittene Niveau B1. Fast jeden Tag ist der Syrer in den Nachmittagsstunden im Jugendzentrum, als Helfer und Ansprechpartner für die neuen Sprachschüler:
    Die ersten sechs Monate ich kann nicht gehen zu Deutschkurs, so ich habe viel Zeit lernen mit Computer. Und das hilft uns so viel. Weil sie können machen so viel falsch und es ist ok, weil manchmal, wenn sie sprechen mit anderen, sie haben Angst, weil die anderen vielleicht lachen. Diese, mit Computer - niemand will lachen. Jeden Tag kommt besser und besser mit Deutsch - und das ist sehr schön.
    Waltraud Haase hat ihr Projekt bereits der bayerischen Regierung vorgelegt und hofft nun auf finanzielle Unterstützung. Ihr Ziel: ein Netzwerk zu schaffen, über das computererfahrene Flüchtlinge ihr Sprachlernsystem gegen ein kleines Gehalt an andere Lernwillige weitervermitteln.