Freitag, 19. April 2024

Archiv


Deutschland als grüner Revolutionär

Die nächste Bundesregierung wird die Frage beantworten müssen, wie sie Wachstum nach der Eurokrise verstehen will. Für den Grünen-Politiker Ralf Fücks wird das nicht ohne eine ökologische Transformation möglich sein. In seinem aktuellen Buch beschäftigt er sich mit intelligentem Wirtschaftswachstum.

Von Klemens Kindermann | 25.02.2013
    "Alle scheinen im Bann der grünen Ideologie zu stehen", klagte der Ökonom Hans-Werner Sinn vor fünf Jahren in seinem Buch "Das grüne Paradoxon". Mit Thesen, die - sehr grob gesagt - darauf hinauslaufen, dass Energiesparen nur hierzulande wenig bringe im Kampf gegen den globalen Klimawandel, eroberte der streitbare Wirtschaftsexperte neoliberale Herzen und konservative Meinungslager. Nun ist das Gegenbuch erschienen. Grün zwar, aber: ohne Ideologie. Ein konstruktives, vorausschauendes Buch: "Intelligent wachsen. Die grüne Revolution" von Ralf Fücks. Leidenschaftlich, hellsichtig und inspirierend hat es das Zeug zu einer grünen Charta für ein mögliches Regierungsprojekt nach der Bundestagswahl in sieben Monaten. Denn Fücks‘ Buch trifft den Kairos, den richtigen Augenblick: Die nächste Bundesregierung, womöglich mit grüner Beteiligung, wird die Frage beantworten müssen, wie sie Wachstum nach der Eurokrise verstehen will, ob sie Wachstum anstrebt, vor allem aber: was für ein Wachstum. Für Fücks ist klar, dass dieses nicht ohne eine ökologische Transformation möglich sein wird:

    "Das alte Modell, das auf fossilen Energien, auf Raubbau an der Natur gegründet war, ist nicht mehr haltbar, das läuft in massive ökologische Krisen hinein. Das heißt: Wir brauchen einen großen Sprung in eine nachhaltige Produktionsweise, die mit der Natur und nicht mehr gegen sie wächst, die auf der Basis erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe operiert und die mit der Produktivität der Natur arbeitet. Das ist die Idee, die hinter dieser ökologischen Transformation steht."

    Der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen konstatiert eine schwer greifbare Müdigkeit in Europa, das Gefühl, als habe es schon seine besten Zeiten hinter sich, während China und Afrika die Zukunft gehört. Die Eurokrise hat viele in den politischen Klassen zum Nachdenken gebracht, die Forderung nach Wachstumsverzicht ist zu hören, gerade auch bei der deutschen Grünen-Basis. Doch diese Wachstumsskepsis teilt Fücks nicht:

    "Ich teile die Diagnose, dass es für Europa sinnlos ist, dem alten Wachstum hinterherzulaufen. Alt steht hier für schuldenfinanziert und ressourcenintensiv. Man kann weder der wirtschaftlichen noch der ökologischen Krise mit ‚mehr vom Gleichen‘ entkommen. Aber folgt daraus, dass wir uns definitiv vom Wachstum zu verabschieden haben? Mitnichten."

    Fücks zeigt Wege, wie Europa an der von Asien und Afrika angetriebenen Wachstumsdynamik teilnehmen kann, nämlich indem es eine Vorreiterschaft für die von ihm sogenannte grüne Revolution einnimmt. Vonnöten sei ein "Green New Deal", wie ihn übrigens auch der Grünen-Bundesvorstand versteht:

    "Ein großes Innovations- und Investitionsprogramm, das vor allem in Bildung, Wissenschaft und Forschung investiert, und zum anderen der Umbau der öffentlichen Infrastruktur – Energiewende, Investitionen in die Modernisierung des europaweiten Eisenbahnnetzes, Stadtumbau, Wärmedämmung – der also über öffentliche Infrastrukturausgaben einen Innovationsprozess in Gang setzt, der zu neuen Jobs führt, der privaten Investitionen im großen Stil auslöst und der die europäische Volkswirtschaft insgesamt nachhaltiger und damit zukunftsfähiger macht."

    Der ehemalige Bremer Senator für Umwelt- und Stadtentwicklung wird in seinem Wachstumsbuch angenehm konkret: Er durchmustert die Tauglichkeit biotechnologischer Forschung zu künstlicher Fotosynthese, Pflanzenschutz, Strömungswiderständen oder der Effektivität von Mikroorganismen. Gleichzeitig geht er den Chancen von ressourceneffizienten Technologien, ökologischem Bauen oder einer Hightech-Biolandwirtschaft nach. In den "Machern" der grünen Revolution, in den Unternehmen sucht er – nicht ganz selbstverständlich für grüne Urgesteine – Verbündete:

    "Man tut der ökologischen Frage keinen Gefallen, wenn man sie als trojanisches Pferd des Antikapitalismus benutzt. Wer sich in den alten Schützengräben verschanzt, verschenkt damit Bündnismöglichkeiten bis in die Unternehmen hinein. ‚Die Wirtschaft‘ ist kein homogener Block. Es gibt Gewinner und Verlierer der ökologischen Transformation, potenzielle Alliierte und sture Gegner, die ihr überholtes Geschäftsmodell verteidigen. Dazwischen liegt ein weites Feld von Unternehmen, die noch mit einer Hand gegen schärfere Umweltauflagen kämpfen und mit der anderen bereits an grünen Innovationen arbeiten."

    Es ist dieser realistische, die Wirtschaft als Partner anerkennende Grundton, der Fücks´ Buch in die Mitte einer künftigen Debatte um Deutschlands Wachstumskurs führt. Grüne Revolution statt grünem Paradoxon: Die Stärke von "Intelligent wachsen" liegt darin, dass der Autor höchst spürbar Begeisterung weckt für das Projekt, vorangetrieben nicht nur von der Politik alleine, sondern gemeinsam mit Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Unternehmen. Fücks´ Schrift ist ein Appetitanreger, ein Mach-Mit-Buch. Es stellt neue Ideen in den Raum, wie zum Beispiel die Einrichtung einer Klimabank analog zu einer Notenbank. Es argumentiert immer auf der Höhe der Zeit, etwa in den Passagen über die wachsende Rolle von Werten für die Ökonomie. Vor allem aber ist der Blick weit: Wenn demnächst neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, mit eigenen Ambitionen und eigenem Unternehmergeist, dann muss sich Deutschland ganz vorne als grüner Revolutionär bewähren:

    "Dafür müssen wir der Vorreiter sein, der zeigt, dass Wohlstand ohne Naturzerstörung möglich ist. Das ist die Modellfunktion, die die Bundesrepublik haben sollte."


    Ralf Fücks: Intelligent wachsen: Die grüne Revolution, Carl Hanser-Verlag, 362 Seiten, 22,90 Euro, ISBN: 978-3-44643-484-4