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"Chabad möchte Juden zu orthodoxen Juden machen"

Chabad Lubawitsch ist eine chassidische Richtung innerhalb des orthodoxen Judentums, die Ende des 18. Jahrhunderts in Russland entstand. Vom Hauptsitz in Brooklyn aus werden Chabad-Rabbiner in alle Teile der Welt geschickt, um Gemeinden zu gründen. Bei vielen Juden, auch in Deutschland, stoßen diese Aktivitäten aber nicht nur auf Zustimmung.

Von Michael Hollenbach | 25.06.2015
    Der Schriftzug "Rohr Chabad Zentrum" steht am 08.10.2014 in Berlin am Eingang zum jüdischen Bildungszentrum.
    Der Schriftzug "Rohr Chabad Zentrum" steht am 08.10.2014 in Berlin am Eingang zum jüdischen Bildungszentrum. (dpa / picture alliance / Lukas Schulze)
    Shlomo Bistritzky wünscht sich ein lebendiges jüdisches Leben in Hamburg. Deshalb hat er junge Familien an die Elbe geholt. Insgesamt gibt es zehn Plätze im neuen Seminar, wo sich die jungen Väter dieser Familien zum Chabad-Rabbiner ausbilden lassen:
    "Hinter der Idee steckt der Wunsch, dass man in Hamburg einen Ort hat, wo Menschen den ganzen Tag sitzen und studieren Thora, Talmud und jüdische Studien."
    Finanziert wird die Ausbildung durch eine großzügige Spende von Garegin Tsaturov, Chef und Miteigner der Pella-Sietas-Werft in Hamburg. Er hat die Stiftung "Jüdische Zukunft" ins Leben gerufen. Die Ausbildung bei Chabad sei sehr traditionell, sagt Alisa Bach von der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover. Das sei nicht zu vergleichen mit einer Rabbinerausbildung an einer deutschen Hochschule.
    "Das ist eine nicht-wissenschaftliche Ausbildung. Moderne Rabbiner müssen eine Doppelausbildung absolvieren: einmal eine Rabbinatsausbildung, sie müssen aber auch eine wissenschaftliche Ausbildung absolvieren. Chabad-Rabbbiner brauchen das nicht, es reicht das traditionelle Talmud-Studium. Das heißt, wenn man Chabad-Rabbiner betrachtet, dann sind das keine Theologen."
    Alisa Bach, hauptberuflich Leiterin des Jugendamtes der Region Hannover, kritisiert, dass Chabad theologisch nicht auf dem Boden der Aufklärung stehe:
    "Das äußert sich darin, dass die Schriftauslegung ohne wissenschaftliche und ohne die historisch kritische Methode erfolgt. Trotzdem ist Chabad dem traditionellen Lernen aufgeschlossen, aber trotzdem begreifen sie die Gebote als gottgegeben. Das bedeutet zum Beispiel, dass Chabad naturwissenschaftliche Erklärungen der Weltentstehung ablehnt."
    Konservatives Weltbild bei den Geschlechterrollen
    Shlomo Bistritzky ist in Israel geboren, er hat in New York, Manchester und Berlin jüdisches Gesetz studiert und ist seit drei Jahren Landesrabbiner in Hamburg. Im April hat er sich einbürgern lassen – in jener Stadt, aus der sein Großvater vor rund 80 Jahren fliehen musste. Shlomo Bistritzky ist ein strenggläubiger Rabbi; für ihn steht in der Tora unmittelbar das Wort Gottes:
    "Ich verstehe nicht: Wie kann jemand das Gesetz studieren, und wenn der fertig ist mit dem Studium, der geht nach draußen und vergisst das alles, und macht was anderes."
    Man könne das Wort Gottes nicht einfach unter den Bedingungen des modernen Lebens verändern. Augenfällig ist bei den Lubawitschern das konservative Weltbild bei den Geschlechterrollen. Die Religionswissenschaftlerin Ina Wunn hat sich intensiv mit Chabad befasst:
    "In dieser Hinsicht ist Chabad erzkonservativ. Es findet eine absolute Geschlechtertrennung statt, Mädchen und Jungen durchlaufen unterschiedliche Ausbildungsstränge, die Frauen dürfen auch nicht die Thora berühren."
    Für jeden sichtbar wird die Geschlechtertrennung zum Beispiel bei Empfängen, zu denen der Landesrabbiner oft mit seiner Frau eingeladen wird.
    Shlomo Bistritzky
    "Ich habe nur eine Schwierigkeit, und das ist, dass meine Frau gibt fremden Mann keine Hand, und ich gebe auch fremder Frau keine Hand. Manche sind dann beleidigt."
    Aber es gehe ihm nicht um eine Benachteiligung der Frau, beteuert der 37-jährige Vater von bald acht Kindern, sondern um den Schutz zwischen den Geschlechtern.
    Shlomo Bistritzky:
    "Ich finde, das ist auch ein Schutz für die Frauen, dass nicht jeder kann kommen und die Frauen anfassen. Wenn alle so handeln würden und klare Grenzen haben, dann hätten wir auch nicht so viele Probleme mit Gewalt und anderen Sachen."
    Shlomo Bistritzy kam vor zwölf Jahren nach Hamburg. Er wurde von der Chabad-Zentrale in Brooklyn nach Hamburg entsandt, um in der Hansestadt das jüdische Leben erblühen zu lassen:
    "Das gehört zum System von Chabad: es kommt eine Person und ist bereit, sein ganzes Leben zu geben für sein Ziel."
    Chabad will Juden missionieren
    Und er verkündet stolz, dass sich in Hamburg zahlreiche Juden wieder ihrer Religion zugewandt hätten.
    "Es liegt daran, weil die Rabbiner von Chabad, die sind für kein Gehalt gekommen, sondern um zu arbeiten. Die sind gekommen als Gesandter von dem Rebbe."
    Der Rebbe, das ist der geistliche Führer von Chabad, Menachem Mendel Schneerson, der 1994 in New York starb.
    "Der Rebbe hat einen klaren Weg beschrieben, und die sind sozusagen Soldaten von dem Rebbe. Und die kommen mit ganzem Herz und ganzer Kraft, den Menschen alles zu geben."
    Chabad hat das klare Ziel, Juden zu missionieren, und steht deshalb bei anderen jüdischen Verbänden in der Kritik, sagt Alisa Bach:
    "Chabad möchte Juden, die nach ihrer Meinung nicht jüdisch leben, dazu zählen alle, die nicht nach Chabad-Regeln leben, zu orthodoxen Juden machen. Also es ist eine innerjüdische Mission, die sehr aggressiv ist. Chabad hat ein ausgesprochen effektives System der Missionierung und sie trennen sehr stark zwischen Menschen, die sie für sich gewinnen wollen als Anhänger und Menschen, die innerhalb der Organisation als Aktivisten fungieren. „
    Für Alisa Bach stellt sich die Frage, ob solch ein Agieren mit dem Charakter einer jüdischen Einheitsgemeinde, der Shlomo Bistritzky in Hamburg ja vorsteht, vereinbar ist. Damit hat der Landesrabbiner aber keine Probleme:
    "Im Alltag geht es darum, dem jüdischen Gesetz zu folgen und zu beten und das sind Grundlagen, die sind für alle gleich. Der einzige Unterschied wird sein, dass ein Chabadnik wird viel positiver denken und fröhlicher sein, weil durch die Lehre von Chabad bekommt der Mensch eine andere Sicht am Leben."
    Da trifft es sich doch gut, dass Shlomo Bistritzky als Leiter der Chabad-Gruppe zehn neue Rabbiner ausbilden lässt.