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Deutschland-Frankreich
Klischees und Realität in der Arbeitswelt

Die Klischees über unser Nachbarland Frankreich sind vielfältig und oft bunt ausgeschmückt. Die französische Botschaft in Berlin hat deshalb eine Veranstaltung zu einer besonderen Frage organisiert: Halten die gängigen Vorurteile - bezogen auf die Arbeitswelt beider Nationen - einer Realitätsprüfung stand?

Von Johannes Kulms | 04.05.2015
    Die deutsche und die französische Nationalflagge wehen aus Anlass des Besuches von Frankreichs Regierungschef Manuel Valls vor dem Bundeskanzleramt in Berlin am 22.09.14.
    Die französische Soziologieprofessorin Dominique Méda hat die Arbeitswelt in Frankreich und Deutschland untersucht und Klischees auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. (afp / Odd Andersen)
    "Also eigentlich, wir sind so nah, wir sind Nachbarn und wir kennen uns ziemlich gut glaube ich. Also, da sind sehr viele Austausche und sehr viele Städtepartnerschaften und so weiter. Ich glaube, man kennt sich. Aber ich glaube, in der Arbeit ist es schon anders."
    Seit fünf Jahren arbeitet Marine Caron in Deutschland - derzeit als Referentin bei einer Organisation im Feld der Entwicklungszusammenarbeit.
    Hierarchien spielen in Frankreich eine größere Rolle
    Schon bei ihrem deutsch-französischen Studium hat Caron gemerkt, dass in Frankreich Hierarchien meistens eine stärkere Rolle spielen als in Deutschland. Eine Beobachtung, die sie auch in ihrem Job macht:
    "Ich merke das in Sitzungen, da wird viel mehr diskutiert und viel mehr Wert auf Partizipation gelegt auch. Und ich finde in Deutschland hat man deswegen auch mehr Mut, zu sagen, wenn man so einen Ratschlag braucht. Und ich glaube, dass man in Frankreich ein bisschen strategischer auch - mit wem gehe ich Mittagessen und wie kann ich mich positionieren und... genau."
    Die ausgiebigen Mittagessen in ihrem Heimatland vermisst Caron dagegen ein wenig, denn die böten, auch Gelegenheit zum stärkeren persönlichen Austausch mit den Kollegen. Trotzdem fühlt sie sich wohl mit ihrem Job in Berlin:
    "Also, ich habe den Eindruck, ich muss mich nicht stark positionieren oder gegen eine Autorität auftreten, um gehört zu werden. Ich kann meine Meinung sagen und meine Meinung ist genauso Wert wie ein anderes Mitglied im Team. Und ich mag auch viel mehr diesen Teamgeist, den ich in Deutschland erlebt habe."
    Auch viele der rund 180 Besucher in der französischen Botschaft dürften Erfahrungen gemacht haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt. An diesem Abend bekommen sie eine wissenschaftliche Einordnung von Dominique Méda.
    Franzosen arbeiten nicht weniger
    Die französische Soziologieprofessorin hat die Arbeitswelt in Frankreich und Deutschland untersucht und Klischees auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Vor allem jenes, wonach die Franzosen nur wenig arbeiten und stattdessen lieber der Freizeit frönten:
    "Wenn man sich aber die Statistiken genauer anguckt - zum Beispiel die Arbeitszeiten im Jahre 2013 - dann sieht man, dass man in viele anderen europäischen Ländern weniger arbeitet als in Frankreich zum Beispiel in Deutschland, Dänemark oder den Niederlanden. Das gilt für die Wochen - aber auch für die Jahresarbeitszeit. Es ist also falsch zu sagen, dass die Franzosen weniger arbeiten als die anderen. Man muss allerdings darauf achten, sowohl die Beschäftigten in Teilzeit wie auch in Vollzeit einzurechnen."
    Denn da unterscheiden sich die beiden Nachbarn deutlich - seit den Hartz-Gesetzen ist der Anteil an Teilzeitarbeit in Deutschland. stark angestiegen, in Frankreich dagegen relativ stabil geblieben.
    Ein weiteres wichtiges Thema, bei dem es große Unterschiede gibt: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf:
    "Wenn Sie in Deutschland eine gut ausgebildete Frau sind und Sie wollen sich emanzipieren, unabhängig sein, also viel zu arbeiten, dann haben Sie kein Kind. Ich glaube auch, dass die Geburtenrate von gut ausgebildeten Frauen in Deutschland sehr niedrig ist. Das ist in Frankreich völlig anders. Da gibt es mittlerweile auch Frauen mit sehr hohen Positionen, die sehr viele Kinder haben - zwei, drei oder vier."
    Weder Baguette noch Rotwein
    Méda widerspricht auch der These, wonach der französische Arbeitsmarkt besonders starr sei.
    "Noch nie sei es für ein französisches Unternehmen so einfach gewesen wie heute, sich von einem Mitarbeiter zu trennen."
    Für das Ende der Veranstaltung steht ein "Umtrunk" auf dem Programm. Doch tatsächlich gibt es an diesem Abend in der französischen Botschaft weder Baguette noch Rotwein. Gereicht werden stattdessen Bretzel, Wasser, Orangensaft - und, weder deutsch, noch französisch: Coca Cola.