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"Deutschland ist ein schönes Land"

Die Jury der Casting-Show "Voice of Germany" will mehr erreichen, als junge Menschen vor einem Millionenpublikum quotenwirksam anzupöbeln. Im Interview erzählt Jurymitglied Rea Garvey von seinem Fernsehjob und davon, wie er sich selbst aus der Arbeitslosigkeit nach ganz oben gesungen hat.

Moderation: Fabian Elsäßer |
    Fabian Elsäßer: Rea Garvey, man hört so oft von professionellen Bands, deren Musiker nebenbei noch Brotberufe ausüben müssen. Tu Fawning zum Beispiel, eine Band, die von ganz vielen Kritikern gelobt wird, aber irgendwie nicht über die Runden kommt, trotz Plattenvertrag. War das vor zehn Jahren auch schon so, als sie mit Ihrer Band angefangen habe, und sie hatten einfach nur Glück, oder wäre das damals nicht denkbar gewesen?

    Rea Garvey: Nein, das war eigentlich genauso. Ich kann mich noch erinnern, dass wir an der Tankstelle, obwohl wir mit Supergirl schon recht erfolgreich waren, da wurde eine EC-Karte nach der nächsten eingezogen und dann hatten wir nichts mehr und mussten die Plattenfirma anrufen und sagen: Hey, wir brauchen Geld, um hier weiterzukommen.

    Und ich kenne das schon von vielen Bands. Im Moment ist aber mehr Gesprächsthema, was die Piraten so vorschlagen, dass Musik einfach nichts kosten sollte. Dann muss man sich fragen, wovon soll der Musiker leben.

    Ich hatte den Riesenvorteil, dass ich halt bei der ersten Welle dabei war, die erste Single hat sich knapp eine halbe Million mal verkauft. Da kann ich nicht klagen, ich hab ein tolles Leben und bin sehr glücklich. Natürlich betrifft es mich auch, aber am meisten betrifft es halt die jungen Bands, die jetzt anfangen. Was viele vielleicht nicht sehen: Diese Musikindustrie wird immer als Riese dargestellt. Für mich zumindest: ich dachte anfangs, boah, der Plattenfirma-Chef, das muss so ein ganz alter gruseliger Typ sein …

    Elsäßer: …. so ein Ahmet Ertegun.

    Garvey: Ihr Vergleich, nicht meiner! Aber auf jeden Fall haben viele Leute, die ich da jetzt kenne, eine Liebe zur Musik, die wollen auch mit Musikern arbeiten, sind zwar nicht Musiker an sich, aber gehören dazu. Ich denke es ist heute viel schwieriger zu beschließen, dass man jetzt von Musik leben will, als es das früher war. Und ich finde das schade. Weil ich finde, dass Musik einen Riesenwert in unserer Kultur hat, in jeder Kultur, und sie muss auch so behandelt werden.

    Elsäßer: Sie sind einer der Juroren von "Voice of Germany", einer Casting-Show mit Menschen, die nachweislich professionelle Ambitionen haben und keine Klassenclowns sind. Ist das einer der Gründe, warum Sie da mitmachen, um eben einen humanen Weg ins Musikgeschäft zu ermöglichen?

    Garvey: Ich glaube, mit "The Voice" ist das Ziel mehr als alles andere, tatsächlich den Menschen zu zeigen, wer hinter dieser Platte, wer hinter dem Mikrofon steckt und singt. In der Hoffnung auch, wenn einer davon nach vorne kommt, dass Menschen einsehen, dass das eine echte Unterstützung ist, wenn sie eine Platte von diesem Menschen kaufen.

    Ich habe das bei mir immer so geschätzt. Als Arbeitsloser in Irland, da habe ich mein Geld zur Seite gelegt und immer so zwei Wochen lang gedacht "Ich will diese Platte haben". Ich hatte immer so einen Rhythmus. Und dann habe ich mich wahnsinnig darüber gefreut und den Abend mit dieser Platte verbracht, mit einem Sechserpack Bier, das war mein Abend.

    Ich schätze es auch sehr, wenn jemand in einen Laden geht und meine CD kauft, weil das meine Beziehung zu diesem Prozess ist, und bei vielen ist es eben auch so. Aber weil der Bildschirm vom Computer das so anbietet, dass man nicht im Laden ist, hat man nicht so die Beziehung zu diesem Menschen.

    Elsäßer: Es fehlt die Magie eigentlich des Suchens ...

    Garvey: Ja, durch diese Platten zu gehen und wirklich alles zu sehen. Du fängst meinetwegen bei "R" an und landest irgendwann bei Z und wusstest nicht, dass es so viele Bands gibt, die mit "Z" anfangen. Man kann so viel entdecken. Ich glaube, dass die Einstellung im Moment einfach falsch ist, und die Menschen merken es nicht.

    Ich habe einen jungen Cousin, der mit Top-100–Downloads erwischt wurde. Und jetzt hat er eine Strafe von 30.000 Euro am Hals. Der ist 13!

    Meine Frau und ich haben viel mit ihm gesprochen, weil wir natürlich davon betroffen waren. Es war tatsächlich auch ein Lied von mir dabei. Und dann haben wir mit ihm und deren Anwalt so lange gesprochen, bis wir die Summe reduziert haben. Jetzt waren es 2500 Euro, die er zahlen musste. Wahnsinnig viel Geld für 100 Lieder, muss man ehrlich sagen. Es ist vorbei, aber ich würde es jedem gerne ersparen.

    Elsäßer: Das bringt uns zurück zu ihrer Jugend oder ihrer Teenager-Zeit. Sie sagten gerade, Sie seien damals arbeitslos gewesen. Ist das der Grund, warum Sie nach Deutschland ausgewandert sind. Und warum gerade Deutschland? Sie als native speaker hätten es ja auch erstmal in den USA oder Großbritannien versuchen können.

    Garvey: Das ist so witzig. Wenn du in Irland fragst: Was machst du? und jemand sagt: Musiker, ist die nächste Frage automatisch: Ja, aber was machst du? Weil jeder Musik macht. Ich war arbeitslos, weil ich als Musiker keinen richtigen Job behalten konnte. Es war nicht mein Wunsch, arbeitslos zu sein, aber es war eben mein Weg, damit ich verschiedene Sachen als Musiker machen konnte.

    Ich hatte eine irische Band, aber wir waren unter Vertrag bei einer deutschen Firma. Und da wurde mir klar, dass Deutschland ein wahnsinnig schönes Land ist, die Liebe zu Musikern ist riesig. Die Menschen hier lieben es, Musiker auf der Bühne zu sehen. Das finde ich toll, und Deutschland hat auch eine reiche Musikszene. Bands, die jetzt so kommen, wie Casper und Kraftclub, entdecken gerade Neues für sich, mit unglaublich guten Texten auf Deutsch. Obwohl Deutsch nicht meine erste Sprache ist. Wenn ich sehe, wie Leute darauf reagieren, freut mich das.

    Elsäßer: Sie sagten, Deutschland ist ein schönes Land. Ich habe mal nachgelesen, wo Sie sich überall aufgehalten haben. Sie kommen aus einem kleinen Städtchen mit 20.000 Einwohnern, Tralee in Irland, waren dann aber, statt in die Metropolen zu gehen, irgendwo bei Ravensburg in einem Örtchen namens Wilhelmsdorf, das kenne ich sogar. Und jetzt wohnen Sie glaube ich in Hadamar bei Limburg. Sie haben es offenbar mit der Provinz.

    Garvey: Es war tatsächlich Ilmensee. Neben Wilhelmsdorf, das ist sogar noch kleiner. Da hatte ich Freunde, die ich durch meine ersten Kneipenshows kennen gelernt habe, mit meiner irischen Band. Und dann bin ich dahin gezogen, weil ein Dach über dem Kopf natürlich wichtig ist, und Freunde, die einem ein bisschen den Weg zeigen. Dann habe ich in Freiburg gewohnt, dann in Hamburg, dann Berlin. Dann Hadamar für eine Weile, jetzt wieder zurück nach Berlin.

    Ich bin als Kind schon ein paar Mal umgezogen, und mir ist klar, dass der Inhalt eines Hauses viel wichtiger ist als das Haus selbst. Und es ist ein Luxus, immer dahinzuziehen, wo es passt. Aber das ist der Luxus, den ich mir mit meiner Familie gönne, dass wir zusammen sind. Ich denke auch, auf dem Land bin ich am glücklichsten. Ich gönne das auch meiner Familie, das zu erleben, was ich als Kind hatte.

    Elsäßer: Aber Sie könnten fast schon diesen JackieLeven-Song geschrieben haben, den mit den ganzen deutschen Städtenamen, "I’ve been everywhere man". Der hätte auch von Ihnen sein können …

    Garvey: Ich habe auf jeden Fall mehr Städte in Deutschland erlebt als in Irland, das sage ich ganz ehrlich. Das ist so witzig.

    Elsäßer: Sie machen auch solche Projekte wie alive and swinging, auch viele ehrenamtliche Sachen für einen guten Zweck. Sind Sie Workaholic?

    Garvey: Nein, aber ich bin jung genug, das immer noch zu genießen. Meine Arbeit ist auch meine Liebe. Die sozialen Projekte, zum Beispiel dieses neue Projekt, das ich mit meiner Frau ins Leben gerufen habe, das Clearwater -Projekt, so etwas ist mir einfach über den Weg gelaufen.

    Es macht total Sinn für mich, die einheimischen Menschen in Ecuador – 2000 Familien – mit sauberem Wasser zu versorgen. Das ist ein tolles Projekt, es funktioniert, es wird ein Ziel erreichen, vor allem mit der Unterstützung der Zuhörer und aller Fans, die ich habe. Das freut mich sehr. Wir sind ja auch der Grund dafür: Wir fahren unsere Autos, wir fliegen mit Flugzeugen, wir verlangen halt das Öl.

    Der Unterschied ist, ob man das Öl mit Rücksicht auf die Menschenrechte aus der Erde holt, oder ob man sagt, "Nein, Eure Existenz ist uns nicht wichtig." Und das war der Fall, als Texico in den 60er-Jahren dort gebohrt hat. Sie haben das Land in rack and ruin gelassen: Erde, Luft, Wasser – es war alles kontaminiert.

    Wenn in 20 Jahren der Amazonas oder der Regenwald zerstört ist, und unsere Kinder würden uns angucken und sagen: 'Aber du wusstest das damals, warum hast du nichts gemacht …' Ich will meinem Kind in die Augen gucken und sagen, ich habe das Beste gemacht, was ich konnte. Und wenn wir das alle in irgendeiner Form versuchen würden, dann würde es auch reichen.

    Elsäßer: Rea Garvey, vielen Dank für das Gespräch.

    Garvey: Dankeschön.