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"Deutschland ist von der Bildungsrepublik ziemlich entfernt"

Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, fordert die Förderung aller sozialen Schichten für den Hochschulbesuch. Europaweit rangiert Deutschland bei der Zahl der Hochulabsolventen laut einer heute vorgestellten OECD-Studie unter dem EU-Durchschnitt. Deutschland müsse daher noch mehr in Bildung investieren, so Thöne.

Ulrich Thöne im Gespräch mit Sandra Pfister | 09.09.2008
    Sandra Pfister: Mal wieder Noten für die deutsche Bildungspolitik. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, ist diesmal der große Schulmeister, der das Zwischenzeugnis ausstellt. Ulrich Thöne, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, hat die Ergebnisse des Bildungsberichts vorliegen. Herr Thöne, das Zeugnis liest sich ja so wie eins aus der ersten oder zweiten Klasse, wo die Lehrer noch keine Noten vergeben, sondern die Leistungen zu umschreiben versuchen. Aber bringen Sie es für uns doch einfach mal auf den Punkt. Welche Note kommt dabei raus?

    Ulrich Thöne: Ja, noch keine gute, weil Deutschland ist von der Bildungsrepublik ziemlich entfernt. Das haben die Vertreter dieser Pressekonferenz von Seiten der Regierung auch nicht anders darstellen können. Es ist wieder mal ein internationaler Bildungsbericht, der deutlich macht, dass Deutschland in der Bildung Stück für Stück abgehängt wird, statt zuzulegen.

    Pfister: Nach PISA haben wir ja geglaubt, dass unser dickstes Problem die Schulen wären. Aber jetzt kriegen wir von der OECD zum wiederholten Mal die Quittung, dass auch die Spitzenausbildung an den Hochschulen schlecht dasteht. Bei der Ausbildung von qualifiziertem Nachwuchs fallen wir immer weiter zurück, so steht es im Bericht. Was machen wir?

    Thöne: Ja, nun, da wird aber jetzt seit Jahren schon vor gewarnt, dass unsere Ausbildung nicht nur mit der sozialen Auswahl darüber entscheiden, wer studieren darf und wer nicht, sondern dass das auch Folgen hat für die gesamte Ausbildungskapazität. Wir haben die Situation, dass Eltern von Akademikerkindern mit dafür sorgen, dass ein ungeheuer hoher Anteil von Akademikerkindern wieder studieren. Das ist gut so. Aber wenn wir weiter ausbauen wollen, wenn mehr studieren können sollen, dann müssen wir alle fördern. Der Gedanke daran, dass wir den größten Teil der Gesellschaft außen vor lassen, das ist unmöglich und das schlägt sich in den verdammten Ideen, Studienzahlen international gesehen nieder. Und wenn wir hier nicht anfangen, aufzuhören mit der Auslese und uns auf den Gedanken begeben, dass alle gefördert werden müssen, dann kriegen wir genau diese Quittung, vor der in der Tat schon seit längerem gewarnt wird, die OECD jetzt nachdrücklich noch mal warnt.

    Pfister: Das heißt, wir müssen doch wieder bei den Schulen anfangen, bei der Auslese?

    Thöne: Nein, wir müssen mit der Auslese anfangen, aber wir müssen die Hochschulen auch entsprechend ausbauen. Wir haben ein System, was genau darauf aus ist, einen geringen Anteil auch nur studieren zu lassen. Wir haben Universitätskapazitäten, ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben, ob Sie Menschen kennen mit Kindern, die an Universitäten studieren, das ist fürchterlich schwierig, heute in Deutschland zu einem Studium zu kommen. Sie werden abgeschreckt, sie werden abgestoßen, sie werden nicht, in der Tat werden nicht eingeladen, an Universitäten zu kommen und werden dort entsprechend auch als willkommen aufgenommen, sondern sie müssen sich in überfüllten Sälen rumdrücken und hinter allem und jedem hinterherlaufen und was dergleichen mehr ist.

    Pfister: Liegt es denn nur am Geld, wie es die OECD ja auch reinschreibt, wir geben viel zu wenig Geld für die Bildung aus?

    Thöne: Ja, es liegt auch am Geld. Wir müssen jetzt erst mal darüber reden, dass wir die Bildungsfinanzen sichern. Die sind zu wenig, das kriegen wir zum x-ten Mal bescheinigt und wer nicht bereit ist, hier zu investieren und die Finanzreform zum Beispiel als Möglichkeit nutzt, die Bildungsfinanzen endlich auf einen anderen Stand zu bringen, der versündigt sich gewissermaßen an diesen Zielen.

    Pfister: Die anderen Länder, vor allem Nordeuropa, die stecken ja mehr Geld in die Hochschulen, aber sie verlangen auch ganz ordentlich Studiengebühren. Eine Botschaft dieses Berichts scheint mir auch zu sein, dass die Länder, die kostendeckende Studiengebühren verlangen, damit besser fahren. Dass Sie damit einverstanden sind, das würde mich wundern.

    Thöne: Ja, das können Sie sich vorstellen. Deutschland gibt insgesamt, was den Bereich der privaten Investitionen in die Bildung angeht, gibt insgesamt schon verdammt viel aus im Vergleich zum OECD-Schnitt und dass wir jetzt durch Privatisierung der Bildung im Hochschulbereich auch noch besser fahren würden, das kann ich wirklich nicht erkennen. Und wenn wir jetzt auch noch Studiengebührengrenzen nach oben ziehen, dann wird das mehr abschrecken, als dass das was fördert. Wir müssen insgesamt zu mehr öffentlicher Bildung kommen. Und wenn wir Skandinavien nennen, nur als Beispiel, wenn die im Grundbereich total gefördert haben und im tertiären Bereich zu anderen Finanzierungsmodellen kommen können, dann kann man das so nicht vergleichen mit Deutschland.

    Pfister: Aber wo kommt denn das Geld her, wenn es eben nicht von den Eltern und den Studenten selbst finanziert werden soll?

    Thöne: Ja nun, das muss von der Öffentlichkeit erbracht werden. Und wenn man sich nur anguckt, wie viel Steuermilliarden wir in den letzten Jahren auf Grund der Senkung vor allen Dingen im oberen Steuerbereich verschenkt haben, dann kann man sehr klar sehen, wo wir Geld liegen lassen, was wir dringend für die Bildung bräuchten.

    Pfister: Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW. Danke, Herr Thöne.

    Thöne: Bitteschön.

    Hintergrund: Deutschland verliert bei der Ausbildung von hochqualifizierten Nachwuchskräften im internationalen Vergleich weiter an Boden. Das geht aus dem in Berlin veröffentlichten Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, hervor. So stieg der Anteil der Hochschulabsolventen in Deutschland vom Jahr 2000 bis 2006 zwar von 18 auf 21 Prozent je Jahrgang. Im OECD-Schnitt aber kletterte der Anteil deutlich stärker, und zwar von 28 auf 37 Prozent. Die Entwicklung der Studienanfängerzahlen lasse erwarten, dass dieser Trend sich noch fortsetzen werde. Mit der eigenen Ausbildungsleistung könne Deutschland seinen Bedarf an hoch qualifizierten Fachkräften in Zukunft kaum decken, heißt es in dem Bericht.