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Deutschland kann nach Ansicht Israels eine Schlüsselrolle im Nahost-Konflikt spielen

Deutschland kann nach Ansicht des israelischen Außenministers Schalom eine wichtige Rolle bei den Nahost-Friedensbemühungen spielen. Die Haltung der Bundesregierung zum israelisch-palästinensischen Konflikt sei ausgewogen, sagte Schalom. Dies könne wesentlich zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der arabischen Welt beitragen. Schalom äußerte sich besorgt über die Demonstrationen von Neonazis in Deutschland. Der Antisemitismus sei aber ein europäisches Phänomen und müsse daher europaweit bekämpft werden.

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Klein: Eine Studie des American Jewish Comitee in Berlin hat dieser Tage seltsame Dinge zu Tage gefördert. In Deutschland existieren heute noch Lücken beim Wissen um den Holocaust. Fast die Hälfte unterstellt, Juden den Nazi-Mord politisch instrumentalisieren zu wollen. Ob das alles ein Zeichen für Antisemitismus ist, sei dahingestellt. Ressentiments sind jedoch offenkundig, so meinen Experten dazu. Auch vor diesem Hintergrund erscheinen die Beziehungen zu Israel nicht so, wie zu irgendeinem anderen Land, und das obwohl sie auch eine 40jährige Erfolgsgeschichte beschreiben. Der israelische Außenminister Silvan Schalom hat in diesen Tagen Deutschland besucht aus Anlass des Jubiläums der diplomatischen Beziehungen, auch um die Ausstellung "die neuen Hebräer" im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu eröffnen, und er war der erste Minister seines Landes, der das neue Holocaust-Mahnmal in Berlin besucht hat. Mein Kollege Hans-Joachim Wiese hatte gestern Gelegenheit, mit Silvan Schalom über die Beziehungen zu Deutschland zu sprechen.

    Wiese: Herr Außenminister, 60 Jahre nach Kriegsende und 40 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sagte Bundespräsident Horst Köhler bei seinem Besuch in Jerusalem, zwischen Deutschland und Israel kann es nicht das geben, was man Normalität nennt. Stimmen Sie ihm zu?

    Schalom: Es ist schon möglich, dass wir keine normalen Beziehungen wie mit anderen Ländern haben können. Wir können und wir werden niemals vergessen, dass die Deutschen, die Nazis sechs Millionen Juden ermordet haben. Aber wir haben große Fortschritte gemacht und unsere Beziehungen sind in allen Bereichen viel besser als vor 30 oder 40 Jahren. Ich habe zu Bundeskanzler Schröder gesagt, wir müssen sicherstellen, dass derjenige, der in 40 Jahren Bundeskanzler ist, genauso viel über die Geschichte weiß wie er und dass er sich genauso verpflichtet fühlt wie er. Vor zwei Wochen wurde eine Umfrage veröffentlicht die zeigte, dass 40% der unter 24jährigen Deutschen überhaupt nicht wissen, was die Nazis den Juden angetan haben. Das ist sehr bedenklich. Wir sind hier, damit jeder sich erinnert und niemand vergisst, und zugleich, um unsere Beziehungen zu verbessern.

    Wiese: In Israel gilt Deutschland als der zweitengste Partner nach den USA. Warum? Was zeichnet die deutsch-israelischen Beziehungen aus, wenn sie doch nicht normal sind?

    Schalom: Ich glaube Deutschlands Haltung gegenüber dem israelisch-arabischen Konflikt ist ausgewogener als die der meisten anderen europäischen Länder. Deutschlands freundschaftliche Haltung ist sehr gut bekannt. Gerade jetzt drängt Deutschland die anderen europäischen Länder, ihre Haltung zu überdenken. Das wird den europäischen Ländern helfen, im nahen Osten eine Schlüsselrolle zu spielen. Wenn Deutschland sich auch künftig so verhält, wird es sowohl für die EU als auch für Israel sehr wichtig sein.

    Wiese: Aber ist es für Israel nicht sehr bequem, in Europa einen Partner zu haben, der gerade wegen seiner Vergangenheit niemals so kritisch Israel gegenüber sein wird wie zum Beispiel Frankreich?

    Schalom: Unglücklicherweise kann ich nicht behaupten, dass es hier keine Kritik gegenüber Israel gäbe. Manchmal gibt es in den deutschen Medien sehr scharfe Kritik. Ich kann nicht sagen, dass wir das sehr schätzen. Aber noch einmal: wir haben zu Deutschland Beziehungen wie zu keinem anderen Land der Welt. Es hat lange gedauert, bis wir akzeptiert haben, keine normalen, aber doch annähernd normale Beziehungen zu Deutschland zu haben. Wir sollten in die Zukunft blicken, ohne die Vergangenheit zu vergessen. Dazu muss die junge Generation erzogen werden und es ist die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die junge Generation weiß, was damals geschah, damit es sich niemals wiederholt.

    Wiese: Herr Außenminister, wie in jedem anderen europäischen Land gibt es auch in Deutschland Antisemitismus. Während der Gedenkfeiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es eine Neonazi-Demonstration in Berlin. Sind die deutschen Juden heute sicher, oder sagen Sie ihnen kommt nach Israel, man kann nie wissen?

    Schalom: Wir sind sehr besorgt über diese Demonstrationen, nicht nur in Berlin, sondern auch in Dresden vor einiger Zeit. Das war die größte Demonstration von Neonazis seit dem Zweiten Weltkrieg und es war beängstigend, so etwas über 60 Jahre nach Kriegsende in Deutschland sehen zu müssen. Das sollten wir gemeinsam mit der Bundesregierung und allen anderen europäischen Regierungen bekämpfen, denn das ist kein typisch deutsches Phänomen. Wir finden es in allen europäischen Ländern. Natürlich wollen wir, dass alle Juden, egal wo sie leben, in den jüdischen Staat kommen, das heißt nach Israel.

    Wiese: Sie sagten vorhin, Deutschland sei ein sehr enger Partner Israel. Wie kann dieser Partner den Israelis und den Palästinensern helfen, zusammen zu kommen und Frieden zu schließen? Kann Deutschland dabei eine Vermittlerrolle spielen?

    Schalom: Ich habe zu Außenminister Fischer und zu Bundeskanzler Schröder gesagt, dass Europa und auch Deutschland eine Schlüsselrolle im nahen Osten spielen können, indem sie uns helfen, unsere Beziehungen zur gesamten arabischen Welt zu normalisieren. Entscheidend ist, eine neue Road Map zum Frieden zu entwickeln, die den Völkern in der Region Vorteile bringt, um sie zu ermutigen, eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern zu unterstützen. Europa kann dabei eine Schlüsselrolle spielen, aber dazu ist eine ausgewogene Haltung notwendig. Sie, Herr Außenminister, sagten kürzlich, Israel müsse seinen Rückzug aus dem Gaza-Streifen überdenken, sollte die Hamas dort die Parlamentswahl im Juli gewinnen. Ist das immer noch Ihre Meinung?

    Schalom: Ich habe gesagt, dass es mir unlogisch erscheint, den Gaza-Streifen der Hamas zu übergeben, falls sie die Wahl gewinnen sollte. Denn das Hauptziel der Hamas ist doch die Zerstörung Israels. Aber ich bin ohnehin nicht sicher, dass diese Wahlen stattfinden werden. Es scheint, dass die palästinensische Autonomiebehörde sie auf die Zeit nach unserem Rückzug verschieben will. Wenn die Hamas aber gewinnen sollte, werden sich viele Israelis überlegen, was getan werden muss.

    Wiese: Falls das palästinensische Volk in einer demokratischen Wahl für die Hamas stimmt, hat Israel dann das Recht, sich einzumischen?

    Schalom: Nein. Wir wollen uns ja gar nicht einmischen. Aber können Sie sich vorstellen, dass wir mit einer Organisation zu tun haben, deren Ziel es ist, uns zu töten? Sie haben doch hier in Deutschland ein sehr gutes Beispiel von jemandem, der eine demokratische Wahl gewonnen hat. Was heißt das? Heißt das, nur weil er demokratisch gewählt wurde, sollten wir ihn akzeptieren, egal was er am nächsten Tag plant, dass wir seine Ideologie ignorieren sollten? Versöhnung können sie nur mit jemandem haben, der ihnen das Recht zugesteht zu existieren, nicht mit jemandem, der sie töten und sie aus dem Land verjagen will, in dem sie leben.

    Klein: Der israelische Außenminister Silvan Schalom. Das Gespräch hat mein Kollege Hans-Joachim Wiese geführt.