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Deutschland lässt lieber Richter als gewählte Politiker entscheiden

Das Bundesverfassungsgericht soll darüber entscheiden, ob ESM und Fiskalpakt verfassungsgemäß sind. Doch als die Verfassung geschrieben wurde, gab es weder die EU noch den Euroraum, kritisiert Alois Berger das blinde Vertrauen der Deutschen in ihre obersten Richter.

Von Alois Berger |
    Alle Jahre wieder lädt die Bundesregierung ausländische Journalisten nach Berlin ein, um ihnen die deutsche Europapolitik zu erklären. Beim letzten Mal trafen die Kollegen auch den Verfassungsrichter Peter Michael Huber. Huber, ein Mann klarer Worte, erklärte den Journalisten aus England, Frankreich und anderen Ländern, welches Korsett das Bundesverfassungsgericht der deutschen Regierung in der Europapolitik bereits angelegt hat und wie die obersten Richter gedenken, der Regierung auch weiterhin ihre Grenzen aufzuzeigen.

    Den meisten dieser ausländischen Journalisten, so erzählten sie später, sei bei diesem Gespräch erst klar geworden, wie eingeklemmt die deutsche Regierung in Europafragen ist, wie klein ihr Spielraum, wenn es um grundlegende Entscheidungen geht. Das hat durchaus Verständnis geschaffen für die oft sehr starre Haltung von Angela Merkel in Brüssel.

    Aber einige der ausländischen Kollegen waren auch erstaunt darüber, welche Macht wir in Deutschland den Verfassungsrichtern einräumen. Dass Juristen, die von niemandem gewählt wurden, so offensichtlich Politik machen dürfen. Richter, die nicht halb so gut in die Materie eingearbeitet sind wie die Politiker, denen sie die Hände binden. Die auch nicht so gut eingearbeitet sein können, weil das nicht ihr Berufsfeld ist und weil sie bei den unzähligen Gesprächen mit Fachleuten und mit Politikern anderer Länder nicht dabei sind. Richter, die sich deshalb in ihren Entscheidungen vor allem auf Gesetze und Verfassungsartikel stützen. Artikel, die allerdings zu einer Zeit geschrieben wurden, als es weder den Euro noch die Bankenkrise noch die Finanzspekulation in der heutigen Form gab.

    Als Deutscher reagiert man auf solche Argumente erst mal etwas angestochen. Ist unser Grundgesetz nicht das weltweit beste – ein hochgelobtes und viel kopiertes Vorbild in vielen junge Staaten? Und unsere Verfassungsrichter, das sind doch keine einfachen Juristen, das sind Koryphäen ihres Fachs. Nach allen Umfragen genießen die Verfassungsrichter in der Bevölkerung ein weit höheres Vertrauen als die Regierung.

    Aber wenn man ein paar Schritte zurücktritt und das Ganze mit etwas Abstand anschaut, dann ist es schon komisch, dass die Deutschen einer Regierung, die sie selbst gewählt haben, weniger vertrauen als den Verfassungsrichtern. Verfassungsrichtern, von denen nur ganz wenige Menschen sagen könnten, wie sie heißen, und noch weniger, wie und von wem sie ernannt wurden.

    Dahinter stehen sicher ein grundsätzliches Misstrauen gegen die Politiker und ein noch grundsätzlicheres Unbehagen, wenn es um den Euro geht. In solch unsicheren Zeiten neigen wir nun mal dazu, nach einem festen Halt zu suchen. Und am Grundgesetz, da kann man sich doch festhalten.

    Das Problem ist nur, dass das Grundgesetz gerade in Europafragen nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit ist. Natürlich wäre es schön, wenn der Bundestag sein grundgesetzlich verbrieftes Haushaltsrecht ganz allein ausüben dürfte. Aber die Wirklichkeit ist leider rücksichtslos. Konjunktur und Rezession und Börsenhändler entscheiden schon heute mit, wie es in der Staatskasse aussieht. Und wenn uns die Währungsunion um die Ohren fliegt, dann ist das Haushaltsrecht des Bundestages ohnehin Makulatur.

    Beim europäischen Rettungsschirm geht es um die Frage, ob man einfach zuschauen kann, wie die Häuser der Nachbarn abbrennen, oder ob man vielleicht doch die Feuerwehr schicken sollte, bevor das Feuer aufs eigene Haus übergreift. Im Grundgesetz ist dieser Fall leider nicht vorgesehen, deshalb werden die Verfassungsrichter heute nichts anderes machen als die Politiker: Sie wägen ab, was uns teurer kommt.

    Und wenn sich die Richter täuschen? Dann kann man sie nicht mal abwählen, geschweige denn zur Rechenschaft ziehen. Sie müssen sich nicht einmal rechtfertigen.

    Für unsere ausländischen Kollegen fällt mir kein rechtes Argument mehr ein, warum wir in Deutschland über unsere Zukunft lieber Richter entscheiden lassen als gewählte Politiker.