Deutsch-Ostafrika
Wie Deutschlands koloniales Erbe in Tansania aufgearbeitet wird

Die deutsche Kolonialgeschichte war voller Gewalt und Gräuel. Afrikanische und deutsche Forscher versuchen, die Geschichte in Tansania aufzuarbeiten. Dabei geht es auch um die Rückgabe von Kunstschätzen und Knochen. Eine neue Erinnerungskultur entsteht.

    Ein Diener zieht eine mit Blumen geschmückte Rikscha mit drei weißen Kindern am vom Frauenverein des Roten Kreuzes organisierten "Margaritentag" in Daressalam (1912).
    Die deutschen Siedler waren in Ostafrika in der Minderheit. In der Hauptstadt Daressalam herrschte Rassentrennung. (picture alliance / SZ Photo / Scherl)
    Das Deutsche Kaiserreich begann erst spät - Mitte der 1880er-Jahre - mit der Kolonisierung der Welt, stieg dann aber zur drittgrößten Kolonialmacht auf. Zu seinen Kolonien gehörten Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, Kamerun, das heute Teile von Kamerun und Nigeria umfasst, Togo, sowie Deutsch-Südostafrika, zum Großteil das heutige Tansania.
    Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verlor Deutschland seine Kolonien. Sie wurden im Versailler Vertrag von 1919 unter Mandate des Völkerbunds gestellt oder an andere Kolonialmächte wie Großbritannien, Frankreich oder Japan übergeben. Danach geriet die deutsche Kolonialgeschichte weitgehend in Vergessenheit, auch in Tansania. Erst vor einigen Jahren hat die Aufarbeitung begonnen und es entsteht eine neue Erinnerungskultur in beiden Ländern.

    Inhalt

    Wie verlief die Kolonialgeschichte in Deutsch-Ostafrika?

    Das Land, das zu Deutsch-Südostafrika werden sollte, hieß ursprünglich Tanganjika und umfasste neben dem heutigen Tansania auch Teile Ruandas und Burundis. Der Kolonisator Carl Peters gründete 1884 die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ und erkundete im selben Jahr das Küstengebiet von Tansania. 1885 erhielt er von Kaiser Wilhelm I. einen „Schutzbrief“ und verwandelte seinen Kolonialverein in die „Deutschostafrikanische Gesellschaft“ (DOAG). Als „Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet“ bekämpfte er die Aufstände der einheimischen Bevölkerung und ließ ihre Anführer hinrichten. Peters galt als Sadist, ließ Menschen auspeitschen und sogar eine junge Frau, mit der er ein sexuelles Verhältnis hatte, und seinen Diener aufhängen.
    Deutsche Kommandeure mit der afrikanischen Askari-Schutztruppe im Deutsch-Ostafrika der 1900er-Jahre.
    Die deutschen Kolonialisten ließen mit der Askari-Schutztruppe Einheimische als Soldaten für sich kämpfen. Ohne sie hätte die weiße Minderheit ihre Gewaltherrschaft nicht durchsetzen können. (IMAGO / United Archives / IMAGO / United Archives / Hansmann)
    In den ungefähr drei Jahrzehnten der deutschen Herrschaft in Ostafrika herrschte fast immer Krieg. Als Erste wehrten sich im Jahr 1889 die sogenannten Küstenleute, die enge Handelsbeziehungen mit dem Sultan von Sansibar unterhielten, gegen die deutschen Kolonisatoren. Von 1890 bis 1900 kämpften die Hehe im Südwesten des Landes unter ihrem Anführer Mkwawa gegen die deutschen Schutztruppen, in der Kilimandscharo-Region leisteten die Dschagga unter ihrem Führer Mangi Meli Widerstand.
    Bei der Verfolgung von Mkwawa und seinen Widerstandskämpfern setzten die Deutschen systematisch Dörfer und Felder in Brand, raubten das Vieh und verursachten so eine Hungersnot. Frauen und Kinder wurden verschleppt, Kriegsgefangene exekutiert. 1898 stellten die deutschen Soldaten Mkwawa schließlich im Busch. Er erschoss sich selbst.
    Der Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1907 kostete Schätzungen zufolge etwa 300.000 Ostafrikanern das Leben. Sie starben im Gefecht, aber auch durch Hunger und Krankheiten. Auslöser des Krieges war die Auflehnung der örtlichen Bevölkerung in der Region Kilwa gegen die von den Deutschen erzwungene Steuererhebung und Zwangsarbeit.

    Wie wird der deutschen Kolonialzeit in Tansania gedacht?

    In Tansania sind äußerlich nur wenige Spuren der deutschen Kolonialzeit geblieben, und die Verbrechen der deutschen Schutztruppen, die Hunderttausende Menschen das Leben kosteten, sind in der tansanischen Bevölkerung oft unbekannt. Anführer Mkwawa wird allerdings als Nationalheld verehrt. Seine Geschichte kennen die meisten Tansanier und er gilt als Held für alle antikolonialistischen Bewegungen in ganz Afrika. Sein rückgeführter Schädel wird im Mkwawa Memorial Museum in Kalenga ausgestellt – allerdings ist es zweifelhaft, ob dieser authentisch ist.
    Foto des Häuptlings Mkwawa im Nationalmuseum von Daressalam
    Häuptling Mkwawa leistete den deutschen Kolonialherren mit seinen Guerilla-Taktiken lange Widerstand. Sein Schädel war lange verschollen, an der Authentizität des gefundenen gibt es Zweifel. (picture alliance / dpa / Carola Frentzen)
    Ein weiteres Problem dabei: In der Region gibt es keine Kultur der Ausstellung von Schädeln zu Erinnerungszwecken. Die Hehe ehren ihre Toten nicht, indem sie deren Gebeine zeigen, sondern indem sie sie in Gräbern bestatten. Wenn jemand stirbt, wird er ein Ahnengeist. Für den Daressalamer Historiker Frank Edward ist die Ausstellung von Mkwawas Schädel daher eine aufgezwungene Form der Erinnerungskultur.

    Gebäude aus der Kolonialzeit

    Deutsche Denkmäler, wie etwa von Gouverneurs Hermann von Wissmann, der den Krieg gegen die Abushiri anführte und dabei grausam gegen Aufständische vorging, wurden abgebaut. Dafür erinnert in Kilwa Kivinje eine Statue des Bauern und Maji-Maji-Heilers Kinjikitile Ngwale an den Widerstand.
    Viele deutsche Gebäude der Kolonialzeit stehen noch: etwa das Gerichtsgebäude, in dem heute das Handelsgericht untergebracht ist, oder der Gouverneurspalast, der im Ersten Weltkrieg bombardiert wurde. Auch das historische Rathaus existiert weiterhin und wird heute von der Daressalamer Stadtverwaltung benutzt. Kirchen aus der deutschen Zeit sind ebenfalls erhalten, zum Beispiel die 1899 bis 1902 im neogotischen Stil errichtete Jerusalem-Kirche.
    Allerdings wurde die Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit von der nachfolgenden britischen Herrschaft verdrängt. Die Briten etablierten eine eher indirekte Herrschaft, indem sie die lokalen Führer anerkannten und respektierten, so konnten sie Kriege vermeiden. Heute spricht man in Tansania Englisch und kein Deutsch mehr.

    Wie wurde die Kolonialzeit in Deutsch-Ostafrika in Deutschland aufgearbeitet?

    Während in den vergangenen Jahren vermehrt an den Völkermord in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) erinnert wurde, blieb die deutsche Gewaltherrschaft in Deutsch-Ostafrika weitgehend unbekannt. Das ändert sich allmählich.
    Aus Tanganjika kamen 10.200 geraubte Objekte allein in die Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Die Erforschung der Provenienz ist für die postkolonialen Aktivisten nur der erste Schritt hin zu ihrer Restitution und darüber hinaus zu einer Umgestaltung der ethnologischen Museen in Deutschland. Inzwischen haben erste Restitutionen stattgefunden, Gesten der Wiedergutmachung sind populär geworden, während gleichzeitig Forderungen nach finanziellen Reparationen mit Hinweis auf geltende völkerrechtliche Regelungen abgewiesen wurden.

    Denkmäler für Wissmann und Askari

    Viele Straßen, die an den Kolonialherrn Hermann von Wissmann erinnern, wurden mittlerweile umbenannt. Allerdings gibt es noch eine solche Straße in Bad Lauterberg (Harz), wo auch ein Denkmal für den ehemaligen Reichskommissar steht. Eine Tafel bezeichnete ihn als Kämpfer gegen den Sklavenhandel und die Freiheit der Unterdrückten – das Gegenteil war der Fall. Nach einer Diskussion um das Denkmal entfernte man 2021 die Tafel und errichtete daneben eine neue, die über Wissmanns Verbrechen informiert. Aus dem Denkmal ist ein „Mahnmal“ geworden.
    Denkmal für Herrmann von Wissmann am Kurhaus Bad Lauterberg, Harz
    Hermann von Wissmann ließ als Befehlshaber der ersten deutschen Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika Dörfer niederbrennen, Felder verwüsten und Menschen versklaven. Sein Denkmal in Bad Lauterberg ist umstritten. (imago images / Joerg Boethling)
    Nach wie vor umstritten ist der Hamburger „Tansania-Park“ mit zwei in der NS-Zeit entstandenen Terrakotta-Reliefs, die die deutsche Kolonialgeschichte und die Rolle der Askari verklärt darstellen. Der Park wurde nach einigen Widerständen nie wie geplant eröffnet und ist für die Öffentlichkeit geschlossen.
    Das Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal (auch Askari-Relief genannt) im sogenannten Tansania-Park auf dem Gelände der ehemaligen Wehrmacht Kaserne Lettow-Vorbeck in Jenfeld (Hamburg)
    Das Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal (auch Askari-Relief genannt) wurde 1938 von Bildhauer Walter von Ruckteschell geschaffen. Heute steht es im sogenannten Tansania-Park in Hamburg. (IMAGO / Joerg Boethling / IMAGO / Joerg Boethling)

    Öffentliche Entschuldigung

    2023 kam Bundespräsident Walter Steinmeier nach Songea in Tansania, um das Maji-Maji-Museum zu besuchen und mit Nachfahren von Chief Songea Mbano zu sprechen. Ihnen gegenüber sagte er: „Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben [...] Deutschland ist bereit zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit.“
    Seit 2024 heißt ein Teil der ehemaligen Petersallee im Afrikanischen Viertel von Berlin-Wedding Maji-Maji-Allee. Die Umbenennung gilt als ein weiteres Zeichen für ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für die lange verdrängte deutsche Kolonialgeschichte.

    Schädel überführt

    Weiterhin ungelöst ist das Rätsel von Mkwawas Schädel. Die Spur führt nach Deutschland, wo viele der aus Tansania geraubten Schädel und Gebeine, die sogenannten Human Remains, in der Sammlung der Berliner Charité landeten. Vor einigen Jahren begannen deutsche Wissenschaftler, die lange unbeachteten Sammlungen zu erforschen, und bemühten sich, Schädel zu identifizieren, nach denen die tansanischen Nachkommen der Ermordeten heute oft verzweifelt suchen. Restitution ist in dem Fall nicht nur eine kulturpolitische Forderung, sondern Ausdruck religiöser Verpflichtung: Man will die Gebeine der ermordeten Ahnen an den Ort ihrer Herkunft zurückholen, um sie dort rituell beizusetzen.
    Doch lassen sich die in den deutschen Sammlungen befindlichen Gebeine oft nicht klar zuordnen. Auch der Schädel von Chief Meli, der gegen die kolonialen Invasoren kämpfte und im Jahr 1900 mit 18 anderen Chiefs gehängt wurde, soll nach Deutschland verschifft worden sein und konnte bis heute nicht gefunden werden.
    Inzwischen haben die Nachforschungen der Historiker immerhin Hinweise auf andere Schädel der Familie Mkwawa ergeben. Zwölf von ihnen konnten nach historischer und bio-anthropologischer Forschung Angehörigen der Hehe zugeordnet werden. Am 16. Januar 2025 wurden diese an eine tansanische Delegation übergeben, die von einem Ururenkel Mkwawas, dem heutigen Oberhaupt der Hehe, Adam Abdul Sapi Mkwawa II., geleitet wurde.

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