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Deutschland steuert seine Zuwanderung

Morgen fällt im Bundesrat eine historische Entscheidung. Seine Mitglieder werden - daran gibt es keinen begründeten Zweifel – mit großer Mehrheit dem Zuwanderungsgesetz zustimmen. Ein Gesetz, das erstmals den Grundgedanken aufgreift: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Von Reiner Scholz | 08.07.2004
    Vor einer Woche bereits hat das Zuwanderungsgesetz den Bundestag passiert. Mit Ausnahme der PDS votierten – nach vielen Jahren zäher Verhandlungen - alle Parteien dafür.
    Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, der für die CDU die Verhandlungen führte, ist mit dem Kompromiss zufrieden:

    Die Elemente der Begrenzung, der Steuerung, der Zuwanderung, die Verbesserung der Integration, alles das ist völlig anders als ursprünglich konzipiert. Es ist mittlerweile ein wirkliches Steuerungsgesetz und deshalb sehe ich der Verabschiedung mit positiven Gefühlen entgegen.

    Dennoch trifft das Gesetz in der Öffentlichkeit nicht nur auf Zustimmung. Kritiker stoßen sich vor allem daran, dass es in den letzten Monaten fast nur noch um die Ausländerkriminalität ging.
    So Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs und guter Kenner des internationalen Migrationsgeschehens:

    Der wesentlichste Kritikpunkt liegt darin, dass in einer unnötigen Art und Weise Dinge zusammen vermengt in ein Gesetz gegossen werden, die im Prinzip genauso gut oder besser in verschiedenen, getrennten Gesetzen abgehandelt werden könnten. Nämlich Zuwanderung auf der einen Seite, dann auf der andere Seite alle Fragen mit Sicherheit, mit der inneren Sicherheit, mit Terror, mit Abschiebemöglichkeiten.

    Das Zuwanderungsgesetz ist von seinem Umfang her ein Schwergewicht. Auf 250 Seiten bietet es vielfach nur den Rahmen, der im Einzelnen ausgestaltet werden muss.
    So gesehen sei die Debatte noch lange nicht zu Ende, gibt Marie-Luise Beck zu bedenken, die grüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung:

    Für mich ist sehr stark das Gefühl: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ich weiß, dass in diesem Gesetz sehr viele Ermessensspielräume sind. Das birgt Chancen und Risiken.

    Fast vier Jahre lang haben die deutschen Politiker an dem Gesetz gearbeitet – es ist oft verändert worden und mittlerweile so komplex, dass Experten das Werk bereits mit deutschen Steuergesetzen vergleichen – hoch kompliziert und auslegungsbedürftig.
    Jetzt, so Marie-Luise Beck, komme es auf die Ausgestaltung vor Ort an. Die mache ihr durchaus noch Sorge, wenn sie an so manche Ausländerbehörde denke:

    .... wo man realistischerweise davon ausgehen muss, dass das nicht immer die bestgeschultesten Mitarbeiter sind. Und deswegen gehe ich einfach davon aus, dass es eines sehr, sehr intensiven Nacharbeitungsprozesses bedarf: Einmal nämlich nochmal klar herauszuarbeiten, was der Gesetzgeber gemeint hat und vor allen Dingen die Institutionen auf veränderte gesetzliche Grundlagen hinzuweisen, sie einzuüben und damit zu möglichst gerichtsfesten Entscheidungen zu kommen.

    Das Zuwanderungsgesetz hat eine Geschichte, reich an Höhen und Tiefen hinter sich. - Bis hin zu jener Politgroteske im März 2002. Das Land Brandenburg war bei der ersten Abstimmungsrunde über das Gesetz zu einem einheitlichen Votum nicht fähig.
    Der damalige Bundesratspräsident Wowereit wertete das unklare Verhalten dennoch als Zustimmung. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dies später für verfassungswidrig.
    Bei dem erneuten Anlauf ein Zuwanderungsgesetz zu zimmern, legten sich führende Grüne quer.
    Im Mai 2004 stellten sie ihre weitere Mitarbeit ein, das Projekt drohte abermals zu scheitern. Doch hat die Weigerung der Grünen den Entscheidungs-Prozess am Ende eher noch beschleunigt.

    Alles begann mit einer Überraschung. Im Februar 2000 teilte Bundeskanzler Schröder der staunenden Öffentlichkeit mit, die Bundesregierung wolle über eine unbürokratische Greencard-Regelung ausländische Computerspezialisten ins Land holen. Die würden von der deutschen Industrie dringend gebraucht. Damit war der Anwerbestopp von 1973 erstmals durchbrochen.
    Im Juli 2000 berief die Bundesregierung – sehr zum Unmut von CDU und CSU – ausgerechnet unter dem Vorsitz der Christdemokratin und ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth eine Zuwanderungskommission ein. Ihr gehörten Mitlieder aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen wie Wirtschaft und Kirchen an.

    Deren Bericht vom Juli 2002 sollte – so die Initiatoren – Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland machen. Die Erkenntnis: Deutschland drohe zu überaltern. Das Land brauche den Zuzug ausländischer Fachkräfte.
    Wohlfahrtsverbände und Kirchen, vor allem aber auch die Wirtschaft waren davon angetan, so Thomas Straubhaar:

    Ursprünglich war ja gedacht, dass mit einem Punktesystem jene ausgewählt werden würden, die ein Recht haben sollten, für den Arbeitsmarkt nach Deutschland zu kommen. Dieses Punktesystem wäre deshalb besonders attraktiv gewesen, weil es erlaubt hätte, zwei Dinge positiv miteinander zu kombinieren, nämlich erstens eine Begrenzung, zu sagen, soundsoviele Menschen dürfen pro Jahr nach Deutschland kommen und – die Zahl hätte auch Null sein können, der Zuwanderungsstopp hätte in dem Sinne weiterhin auch gültig bleiben können – und zweitens jene eben, die das Recht haben sollten, wenn man eine Zahl festgelegt hat, dann wäre der Zuteilungsmechanismus gewesen, Qualifikation, Sprachkenntnis und Alter.

    Obwohl auch die CDU anfangs ein Punktesystem favorisierte, war diese Idee politisch nicht durchsetzbar. Die Opposition beharrte schließlich darauf, Deutschland dürfe bei vier bis fünf Millionen Arbeitslosen keine neuen Arbeitskräfte ins Land lassen. Sie ist heute stolz darauf, aus dem geplanten Zuwanderungsgesetz ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz gemacht zu haben. Peter Müller:

    Es werden verbessert die Zuwanderungsmöglichkeiten für Höchstqualifizierte, für Selbständige, für Menschen, die einen Beitrag leisten können zum wirtschaftlichen Wohlergehen der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden ein geringeres Maß an Zuwanderung in die Sozialsysteme haben und wir werden insbesondere dafür Sorge tragen können, dass weniger Menschen hierher kommen, die bereit sind und die das Ziel haben, kriminelle Handlungen zu begehen.

    In zwei Bereichen bringt das Gesetz wesentliche Verbesserungen. Da ist zum einen die Integration. Der Bund verpflichtet sich, jährlich 235 Millionen Euro für Sprach- und Integrationskurse zu zahlen. Sie sind für solche Ausländer künftig Pflicht, die keinem anderen EU-Staat angehören. Die Kurse sollen nicht nur Neu-Zugewanderten, sondern auch denen zugute kommen, die schon länger in Deutschland sind. Ausländer, die derartige Kurse nicht besuchen, müssen damit rechnen, geringere Sozialleistungen zu erhalten.

    Verbesserungen gibt es auch beim Asyl. Künftig sollen auch Flüchtlinge anerkannt werden, die ihr Land wegen ihres Geschlechtes oder nichtstaatlicher Verfolgung verlassen haben. In der Vergangenheit hatte es beispielsweise immer wieder Probleme mit Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland Sudan gegeben.
    Deutsche Richter verweigerten ihnen Asyl mit der Begründung: von staatlicher Verfolgung könne keine Rede sein. Im Sudan existiere nämlich keine staatliche Zentralgewalt.

    Das Gesetz bringt zudem Veränderungen für bestimmte Personengruppen mit sich, etwa für ausländische Studenten. Für diejenigen, die bereits ihr Studium in Deutschland abgeschlossen hatten, war es bisher besonders schmerzlich. Sie mussten die Bundesrepublik sofort verlassen. Jetzt haben sie ein Jahr lang Zeit, sich einen Arbeitsplatz in Deutschland zu suchen.

    Auch für so genannten Hochqualifizierte, die die Bundesrepublik ins Land holen möchte, gibt es Verbesserungen.
    Davon profitieren können Menschen, die ein Gehalt beziehen, das mindestens so hoch ist wie das Doppelte der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie können von Beginn an eine so genannte Niederlassungserlaubnis erhalten. Ihre Ehegatten dürfen künftig sofort in Deutschland arbeiten, ihre Kinder dürfen sie – ohne Altersbegrenzung - mitbringen. All dies ist derzeit noch untersagt.

    Zuwandern dürfen auch Selbständige, sofern sie mindestens eine Million Euro in Deutschland investieren und zehn Arbeitsplätze schaffen. Wenn ihre Geschäftsidee gut ist, so steht es im Gesetz, können die Hürden etwas niedriger gehängt werden.

    Von den ehrgeizigen Plänen, den Anwerbestopp ganz aufzuheben, ist dennoch nicht viel geblieben. So rechnet die Migrationsbeauftragte Marie-Luise Beck ab Januar 2005, wenn das Gesetz in Kraft tritt, nicht mit einer großen Zuwanderungsbewegung:

    Ich gehe davon aus dass die Zuwanderung sich in der tat in sehr schmalen Segmenten abspielen wird. Wir sind 82 Millionen Menschen. Die Greencard-Zuwanderung, die ja der Einstieg war in eine Anwerbung von hochqualifizierten Leuten, ist etwa auf 16.000 gestiegen im Laufe von drei Jahren. Also ich gehe davon aus, dass diese Zuwanderung in diesen höchstqualifizierten Bereichen sich vermutlich weit unter 50.000 bewegen wird.

    Das halten viele Experten für zu wenig, um die negative demographische Entwicklung in Deutschland zu stoppen und die Wirtschaft anzukurbeln. In vielen Bereichen deutet sich bereits ein Fachkräftemangel an, den man mit ausländischen Arbeitskräften gerne verringern würde. Das Argument, solange Deutschland so viel Arbeitslose wie derzeit habe, dürfe es keine Einwanderung geben, lässt der Wirtschaftswissenschaftler Straubhaar dabei nicht gelten. Andere Länder wie die Schweiz und die USA zeigten, dass mit Zuwanderung sogar Arbeitsplätze geschaffen werden können:

    Also Zuwanderung ist auf jeden Fall zuallererst eine qualitative Herausforderung, weil hier Lücken des Arbeitsmarktes gefüllt werden können. Und jene Länder, die interessanterweise die höchsten Zuwanderungsraten haben, haben gleichzeitig auch ein vergleichsweise hohes Pro-Kopf-Einkommen, vergleichsweise eine geringe Arbeitslosigkeit, vergleichsweise eine gute wirtschaftliche Dynamik, was eben genau zeigt, dass es hier nicht eine substitutive Beziehung, also nicht ein Ersatz von Einheimischen ist, die dann in Arbeitslosigkeit gedrängt werden, sondern dass es eben eine ergänzende Funktion der Zuwanderung gibt.

    CDU und CSU wollen diesmal die Argumente der Ökonomen nicht gelten lassen. Ministerpräsident Müller bezichtigt sie, Eigeninteressen zu verfolgen:

    Dass die Wirtschaftsverbände ein Interesse daran haben, möglichst viel Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung zu haben, weil das die Preise für die Arbeit drückt, weil das die Löhne billig macht, dafür habe ich Verständnis. Insofern haben wir von Anfang an ein Gesetz angestrebt, bei dem wir nicht irgendwelche Lobbyisten befriedigen. Wir haben das Gemeinwohl im Auge zu behalten und deshalb ist es mir einigermaßen gleichgültig, ob irgendein Interessenverband die Regelung lobt. Entscheidend ist, dass es die Menschen in Deutschland loben und das tun sie.

    Wie groß die Anstrengungen sein müssen, um gute Fachleute ins Land zu holen, zeigt das Beispiel der Greencard. Obwohl ausländischen Informatikern, überwiegend Indern und Osteuropäern ein großzügiges Zuwanderungsangebot gemacht wurde, gab es weniger Interessenten als freie Plätze. 20.000 hätten kommen dürfen, nur 16.000 kamen und etliche sind bereits wieder abgereist, weil das Angebot befristet war und die Familien nicht nachziehen durften. Daraus, so Thomas Straubhaar, sei zu lernen: Werbung für Einwanderung ist ein langwieriger Prozess.

    Der Effekt der Greencard war deshalb gering, weil es eben nicht so einfach ist, dass sie einen Schalter auf Stopp gestellt haben und dann drehen sie ihn um und dann läuft das plötzlich wieder wie bei beim elektrischen Strom. Sondern da geht es um Menschen, diese Menschen haben Erwartungen und diese Erwartungen waren eben nicht so, dass Deutschland sich als ein wirkliches Einwanderungsland versteht und deshalb, wenn Menschen aus Indien schon wegziehen, dann denken die wohl eher, wir gehen gleich nach USA. Wozu noch nach Deutschland gehen und von daher gesehen braucht es eine gewisse Zeit, bis Deutschland als Einwanderungsland in den Köpfen derjenigen ankommt, die wir gerne hier in Deutschland haben möchten.

    Wer Ausländer gewinnen will, der müsse zeigen, dass sie auch wirklich willkommen seien. Doch damit tue sich Deutschland immer noch schwer.
    Im Jahr 2000 brachte das Einbürgerungsgesetz zwar erhebliche Erleichterungen. Doch nach einem anfänglichen Run gilt nun wieder "business as usual". Ließen sich im Jahr 2000 noch 186.000 Ausländer einbürgern, so waren es im vergangenen Jahr nur 140.700.

    Besuch in der Ausländerbehörde in Hamburg. In dem langen öden Gang sitzen einige Antragsteller. Zwei Jugoslawinnen, die in Deutschland geboren sind, wollen sich einbürgern lassen, weil sie Angst haben, sie könnten eines Tages abgeschoben werden. Eine armenische Familie hat längst ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Hamburg und dann sitzt da noch eine junge Türkin, die sich schon seit einem Jahr um eine Einbürgerung bemüht und bereits das dritte Mal hier ist:

    Die Unterlagen muss ich zwar nicht direkt aus der Türkei herholen, aber türkisches Konsulat ist ja hier, dennoch dauert es so lange und halt die Kosten: Ich muss hier Gebühren zahlen, ich muss im türkischen Konsulat Gebühren zahlen, es ist so schlimm.

    Einbürgerung ist nicht billig. Deutschland verlangt 255 Euro – pro Person. Und sie geht nicht schnell. Auf deutscher Seite muss – nicht zuletzt, weil jede Einbürgerung das grüne Licht des Verfassungsschutzes braucht - mit einer Frist von sechs Monaten gerechnet werden. Im Herkunftsland dauert die Beschaffung der Papiere zum Teil noch erheblich länger, so dass Zeiträume von zwei Jahren keine Seltenheit sind.

    Nicht selten sind es marginal erscheinende Vorschriften, die eine erfolgreiche Einbürgerung verhindern. So wie bei der jungen Türkin, die eigentlich schon längst Deutsche ist:

    Ich mache gerade eine Ausbildung und beziehe ein ergänzendes Unterhalt vom Sozialamt und deswegen kann es nicht passieren, dass ich die deutsche Staatsangehörigkeit kriege. Das finde ich schade. Ich bin sechsundzwanzig, ich bin hier geboren, mein Kind ist auch hier geboren und muss ich warten bis ich nach der Lehre direkt einen Job finde, damit ich einen deutschen Pass bekomme.

    Mittlerweile kommt es häufiger vor, dass Eingebürgerte die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten – was noch vor Jahren ein absolutes Tabu war.
    Es gibt nämlich Länder, die ihre Landsleute nicht aus der alten Staatsbürgerschaft entlassen und ihnen somit den Aufbau einer neuen Existenz unmöglich machen.

    Doch die junge Deutsch-Türkin legt auf den türkischen Pass keinen Wert mehr:

    Das reicht mir, die eine Staatsbürgerschaft. Deutsch – und vor allem, ich ms auch hauptsächlich darum, ich möchte endlich mitwählen, das ist es, das ich will.

    Als gleichberechtigte Mitbürgerin anerkannt zu werden, das möchte auch die junge Frau aus Togo, die vor der Tür des gleichen Sachbearbeiters sitzt:

    In mein Land darf ich ja wählen, das heißt ja, dass ich als Bürger bezeichnet bin. Und hier bin ich nutzlos, sozusagen, wenn es irgendwann so weit kommt, dass ich mitwählen kann, dann fühle ich mich ja auch mal wie zuhause, wie akzeptiert, darf ich auch mal mitsprechen, und so und dass ist wichtig für die Bürger.

    Von denen, die sich nach einem Erstgespräch nach den Bedingungen erkundigen, kommt nur die Hälfte wieder: Zuviel Papierkram, zu lange Wartezeiten, zu teuer. Nach internen Berechnungen könnten sich in Hamburg etwa 130.000 Ausländer einbürgern lassen, doch machen von dem Recht nur knapp über fünf Prozent Gebrauch.

    Der Schritt, Deutscher zu werden, sei eben nicht überall besonders attraktiv, sagt die grüne Migrationsbeauftragte Marie-Luise Beck.

    Ich bin immer etwas erschrocken, wenn ich junge Menschen der zweiten und dritten Generation treffe, sie frage, ob sie sich einbürgern lassen und auf ein deutliches Zögern treffe, was zu tun hat mit der Unsicherheit, wieweit sie in Deutschland wirklich als geachtete, respektierte, gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger sicher sind.

    Zu dem negativen Image tragen auch Vorfälle bei, die es in jedem Bundesland gibt. Plötzlich sollen ausländische gut integrierte Familien – oder auch nur einzelne Mitglieder – abgeschoben werden, weil ihnen eine Aufenthaltsberechtigung fehlt - nicht selten als Folge eines formalen Fehlers. Manchmal genießen solche Familien Kirchenasyl. Nach dem neuen Zuwanderungsgesetz können die Bundesländer Härtefallkommissionen einrichten und im Zweifel Gnade vor Recht ergehen lassen. Doch ist dies freiwillig und Hessen hat bereits angekündigt, eine solche Instanz nicht einzurichten, sehr zum Unmut der Grünen:

    Ich hoffe, dass in den Bundesländern vielleicht auch, nachdem die ideologische Schlacht um die Frage von Zuwanderung und Flüchtlingsrecht etwas abflaut, dass die Länder doch die Möglichkeit benutzen, dass in Fällen, die oft von allen als unerträglich empfunden werden, nämlich dass nach jahrelangem Leben hier in Deutschland, nachdem die Kinder hier geboren worden sind, die Sprache des Herkunftslandes der Eltern nicht kennen, dass man dann nicht ganz grob und ohne auf die unglaublichen seelischen Belastungen zu achten, diese Familie, koste es was es wolle, zurückschiebt oder auch nur teilweise zurückschiebt.

    Nicht herangewagt haben sich die Koalitionäre an die so genannten "Altfälle". Was wird mit den Ausländern, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, und, weil sie nicht in ihre Heimat ausreisen konnten, immer wieder Duldungen von einem Jahr oder weniger bekommen – über Jahre. Die Süssmuth-Kommission hatte vorgeschlagen, diesen Menschen mit den, wie sie im Amtsdeutsch heißen, "Kettenduldungen" ein endgültiges Bleiberecht einzuräumen.

    Ab Januar 2005 hat Deutschland ein Zuwanderungsgesetz. Damit vollzieht der Gesetzgeber nach, was ohnehin alle wissen: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das Gesetz wird, richtig umgesetzt, etlichen hier lebenden Ausländern Erleichterungen bringen. Ob es ein modernes Gesetz ist, dass mit ihm eine Antwort gegeben werden kann auf die Herausforderungen der Zukunft, das wird sich erst noch erweisen müssen. Noch überwiegt der Eindruck, es könnte nur zu einem Regelwerk der ängstlichen Abschottung gereicht haben, nicht aber zu einem der mutigen Öffnung.